515 Euro für Gutverdiener, 115 Euro für Normalos
Neue Zahlen belegen: Die Steuerpläne der Ampel nützen vor allem Gutverdienern. Das wäre die bessere Alternative gewesen!
Christian Lindner vergießt Krokodilstränen, wenn er über die kalte Progression spricht. Dass also Bürger in höhere Steuertarife rutschen, obwohl die Einkommen nur so schnell wachsen wie die Inflation. Es sei ein Gebot der Fairness, das zu verhindern, so der Finanzminister. Davon hat er auch die Ampel-Kollegen überzeugt, denn diese Woche wird im Bundestag der Gesetzentwurf dazu debattiert.
„Steuerfortentwicklungsgesetz“ nennt die Ampel das Paket, in dem die kalte Progression (neben anderen Maßnahmen) ausgeglichen wird. Dafür werden die Eckwerte der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags erhöht. Den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlt man also zukünftig nicht mehr ab einem zu versteuernden Einkommen von 66.761 Euro, sondern erst ab 68.430 Euro. Einzige Ausnahme: Die Grenze für den 45-Prozent-Reichensteuersatz wird nicht angehoben und bleibt bei 277.825 Euro.
Wichtig: Die Anhebung des Grundfreibetrags ist etwas anderes als der Ausgleich der kalten Progression. Der Grundfreibetrag muss immer um die Inflationsrate steigen, weil das Existenzminimum nicht besteuert werden darf. Sonst gibt es Ärger vom Bundesverfassungsgericht. Für die anderen Eckwerte der Einkommensteuer gilt das nicht. Der Ausgleich der kalten Progression ist eine politische Entscheidung der Ampel, keine rechtliche Notwendigkeit.
515 Euro für Gutverdiener, 115 Euro für Ottonormalos
Die Arbeiterkammer Bremen hat ausgerechnet, wie sich die Ampel-Pläne auf verschiedene Einkommen auswirken. Die einfache Daumenregel: Wer mehr verdient, wird auch mehr entlastet. Das liegt am progressiven Steuertarif. Wer mehr verdient, zahlt höhere Steuersätze und spart entsprechend mehr, wenn die Tarife verändert werden. Der absolute Unterschied zwischen Gut- und dem Medianverdienern ist dennoch bitter. Bei 100.000 Jahreseinkommen (brutto) spart der Single dank der Ampel im nächsten Jahr 515 Euro; der Medianverdiener mit 43.750 Euro aber nur 115 Euro; und Geringverdiener mit 20.000 Jahresbrutto sogar nur 62 Euro. Ähnlich sieht es bei Familien mit Kindern aus.
Dabei haben kleine Einkommen in den letzten drei Jahren deutlich mehr Kaufkraft verloren als große. Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie (IMK) hat die Entwicklung der Nettolöhne, die Entlastungspakete und die haushaltsspezifischen Inflationsraten über die letzten drei Jahre abgeglichen. Das Ergebnis: Ein Spitzenverdiener mit 153.000 Euro Jahresbrutto hat als Single ohne Kind heute 2.109 Euro mehr Kaufkraft als 2021; eine Alleinerziehende mit einem Kind und 44.000 Bruttoeinkommen dagegen 316 Euro weniger. Der größte Verlust tritt in der IMK-Rechnung bei einem Paar mit zwei Kindern auf, wenn nur eine Person erwerbstätig ist und 59.000 Euro brutto verdient: deren Kaufkraft ist sogar um 492 Euro gefallen.
Die Steuerpläne der Ampel gehen also genau an denen vorbei, die am dringendsten eine Entlastung bräuchten: Normalverdiener mit Kindern.
Die Alternative: Abgaben runter, Kindergeld hoch
Um Normalverdiener mit Kindern zu entlasten, gibt es bessere Wege. Zum Beispiel hätte die Ampel das Kindergeld statt nur von 250 auf 255 Euro auch auf 275 Euro erhöhen können und damit sehr einfach, zielgerichtet und fair die Einkommen von Normalverdienern verbessert, wie die Experten der Arbeiterkammer Bremen vorschlagen.
Übrigens: Schon die fünf Euro mehr mussten von SPD und Grünen gegen die FDP hart erkämpft werden und waren bis zum Sommer noch gar nicht vorgesehen. Dafür aber sehr wohl eine Erhöhung des Kinderfreibetrags. Die Folge wäre gewesen, dass Kinder reicher Eltern mehr Geld bekommen und Kinder von Normalverdienern leer ausgehen. Schlimm genug, dass der Kinderfreibetrag in der Spitze noch immer rund 100 Euro mehr Entlastung bringt als das Kindergeld – also Kinder reicher Eltern mehr vom Staat bekommen als Kinder armer Eltern.
Außerdem schlägt die Arbeiterkammer vor, die Milliarden der Steuersenkung lieber für eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge zu nutzen. Mit dem Geld könnten die Beitragssätze zur Pflege- und Krankenkasse um insgesamt 0,8 Prozentpunkte sinken. Die Beiträge belasten kleine und mittlere Einkommen nämlich sehr stark, große Einkommen aber nicht. Das liegt an der Beitragsbemessungsgrenze von 62.100 Euro im Jahr. Für Einkommen darüber fallen nämlich keine Beiträge zur gesetzlichen Kranken- oder Pflegekassen mehr an. Und anders als bei der Einkommensteuer gibt es keinen progressiven Tarif, sondern ab einer gewissen Grenze zahlen alle den gleichen relativen Beitragssatz auf ihr Einkommen.
Das wiederum hat zur Folge, dass eine Beitragssenkung Normalverdiener ähnlich entlastet wie Spitzenverdiener. Ein Single mit Medianeinkommen spart nach dem Entlastungsmodell der Arbeiterkammer 180 Euro, also 65 Euro mehr als bei den Ampelplänen; und ein Single mit 100.000 Euro Spitzeneinkommen 198 Euro, also 317 Euro weniger als bei der Ampel. Bei Familien mit zwei Kindern bewirkt allein die Kindergelderhöhung eine Entlastung von mindestens 600 Euro. Darüber wirkt die Beitragssenkung aber ähnlich wie bei den Singles: Normalverdiener und Gutverdiener liegen nicht so weit auseinander wie bei den Ampel-Plänen.
Ein anderer Vorteil: Die Entlastung würde zum deutlich größeren Teil aus dem Bundeshaushalt bezahlt. Denn Ausfälle bei der Einkommensteuer landen auch bei den Ländern und Kommunen. Von den fast 21 Milliarden Euro, die das Steuerfortentwicklungsgesetz in seiner vollen Jahreswirkung kostet, trägt der Bund nur 8,5 Milliarden, dafür aber die Länder 7,6 Milliarden und die Kommunen 4,8 Milliarden. Mehr als die Hälfte geht also an die Länder und Kommunen, die finanziell deutlich kleinere Schultern haben als der Bund (und eine strengere Schuldenbremse). Die Bundeszuschüsse an die Kranken- und Pflegekassen würden hingegen an den Ländern und Kommunen vorbeilaufen und deren Haushalte schonen.
Die bittere Botschaft: Der Ausgleich der kalten Progression ist die größte Entlastungsmaßnahme im letzten Ampelhaushalt und ausgerechnet die geht an Gutverdiener – und muss von den Ländern und Kommunen bezahlt werden. Der kleinste Koalitionspartner (FDP) hat sich abermals durchgesetzt. Dabei hätte es deutlich bessere Alternativen gegeben. Das haben SPD und Grüne vermasselt – mal wieder!
Ich verstehe deine Argumentation und stimme dir inhaltlich zu. Zur Rhetorik aber eine Frage: Wenn es um Zahlen zur Größe des Haushalts oder der Staatsverschuldung geht, betonst du stets, dass absolute Zahlen nichts aussagen und dass man sie in Relation setzen müsse. Warum ist es in diesem Fall legitim, die absoluten Euro-Beträge zu vergleichen? Was ist der qualitative Unterschied?
Als ob CL sich für die ärmeren Menschen in unserem Land sorgen würde... Ich bin immer wieder perplex, mit welcher Schamlosigkeit er seine Klientel bedient. Und dann wundern sich Kubicki und Konsorten über schlechte Wahlergebnisse. Die liegen nich daran, dass die FDP in der Ampel ist, sondern wie sie sich da benimmt. Es war seinerzeit ein großer Fehler, dass Robert Habeck ihm das Finanzministerium überlassen hat.