Ab jetzt Rekordzinsen: Aber mit welcher Rechtfertigung?
Warum die jüngste Zinserhöhung ein Rätsel und die Europäische Zentralbank im Daten-Blindflug unterwegs ist.
Die Zehner-Karte ist voll, die Wirtschaft dafür tief in der Krise. Am gestrigen Donnerstagmorgen haben sich die europäischen Notenbankchefs getroffen, um eine Zinsentscheidung zu treffen. Ergebnis: Es geht weiter rauf, um 0,25 Prozentpunkte steigt der Leitzins auf nun 4,5 Prozent an. Das ist die zehnte Zinserhöhung seit Juli letzten Jahres und das höchste Zinsniveau seit Einführung des Euro. Ein Rekord, nur eben kein rühmlicher.
Die Entscheidung ist zwar genauso falsch wie die neun Erhöhungen vorher, in ihrer Ignoranz vor der Wirtschaftslage aber wohl der Gipfel. Höhere Zinsen helfen nicht gegen einen Energiepreisschock, erzeugen aber ganz viele neue Probleme. Die Kreditvergabe stottert, die Firmen horten Geld, statt zu investieren; in der Baubranche brechen Aufträge und Genehmigungen stärker ein als in der Finanzkrise; Einzelhandel und Gastro machen preisbereinigt noch immer weniger Geschäft als 2019 und die energieintensive Industrie produziert 20 Prozent weniger als vor dem Krieg. Kurz: Die Wirtschaft läuft mies.
Das gesteht die EZB in ihrer Pressemitteilung zum Zinsentscheid sogar ein. Sie erwartet kleinere Wachstumsraten für Europa – als Folge ihrer Geldpolitik. Das liest sich dann so:
»Die bisherigen Zinserhöhungen des EZB-Rats zeigen weiterhin eine starke Wirkung. Die Finanzierungsbedingungen haben sich weiter verschärft und dämpfen zunehmend die Nachfrage. Dies ist ein wichtiger Faktor bei der Rückführung der Inflation zum Zielwert. Aufgrund der zunehmenden Auswirkungen dieser geldpolitischen Straffung auf die Binnennachfrage und der Abschwächung des internationalen Handels haben die Fachleute der EZB ihre Projektionen zum Wirtschaftswachstum erheblich gesenkt. Sie erwarten für die Wirtschaft des Euroraums nun ein Wachstum von 0,7 % für 2023, 1,0 % für 2024 und 1,5 % für 2025.«
Dass hinter »starker Wirkung« eine Vollbremsung für die Konjunktur steckt, ohne einen nachweisbaren Effekt auf die Preise zu haben, ist milde ausgelegt technokratischer Schönsprech; und streng ausgelegt: schwarze Rhetorik.
Daten, Daten, Daten: Welche denn?
Wie ein Mantra wiederholen die Notenbanker, die EZB würde alle Entscheidungen »datengestützt« treffen. Das soll der argumentative Blankoscheck für die Entscheidungen sein. Auch in der neuesten Pressemitteilung wieder:
»Bei der Festlegung der angemessenen Höhe und Dauer des restriktiven Niveaus wird der EZB-Rat auch künftig einen datengestützten Ansatz verfolgen.«
Nur: Welche Daten werden denn wirklich genutzt?
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