Die falsche Kritik
Die Ampel für die Schuldenbremse zu kritisieren, ist wohlfeil. Zu behaupten, die Ampel habe deshalb Geldsorgen, ist schlicht falsch.
Die Ampel sollte viele Sorgen haben. Corona, Klima, Wirtschaftskrise - es gibt viel zu tun. Die wenigsten Sorgen sollte allerdings die Schuldenbremse bereiten. Entgegen meiner Erwartung hat die Ampel im Koalitionsvertrag fast alle Türen geöffnet, um Geld an der Schuldenbremse vorbei auszugeben. Das scheint nur noch nicht überall verstanden zu sein. Gegen die Finanzierungspläne gibt es nämlich eine außergewöhnliche Allianz: Tagesschau, BILD, ZDF-heute-Show, CDU und LINKE schlagen alle in die gleiche Kerbe. Alle behaupten, die Ampel habe Geldsorgen und kein Finanzierungskonzept. Schließlich werde ja die Schuldenbremse zementiert, von Steuererhöhungen sowie großen Ausgabenkürzungen abgesehen und trotzdem Rekordinvestitionen versprochen. Wie soll das nur aufgehen?
Als Kirsche oben drauf kommt dann meistens noch der Vorwurf, die Ampelpläne seien unehrlich und Schummelei, weil Geld über “Schattenhaushalte” fließen soll. Weder können Medien mit diesem Verständnis aufklären, noch kann eine linke Opposition damit punkten. Im Gegenteil: Für die linke Opposition ist die Strategie eher schädlich, spielt sie doch höchstens der Union in die Karten.
Die Schuldenbremse zementiert?
Die Ampel heute für die Schuldenbremse zu kritisieren, ist wie den Schiedsrichter für bekloppte Spielregeln verantwortlich zu machen. Die Schuldenbremse ließe sich nur mit 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat abschaffen. Die gibt es aber nicht, denn AFD, FDP und CDU sind Fans der Schuldenbremse. Mit ihnen ist da nichts zu machen. Dass die Schuldenbremse ab 2023 also wieder greift, war so klar wie das Amen in der Kirche.
Und zur Erinnerung: Es gibt nicht einmal eine einfache linke Mehrheit im Parlament. Wie bitter ist das eigentlich nach anderthalb Jahren Pandemie mit Wirtschaftskrise? Anderes Thema!
Als ich den Koalitionsvertrag das erste Mal gelesen habe, war die Frage deshalb nicht, ob die Schuldenbremse eingehalten wird oder nicht, sondern: Was passiert, solange sie ausgesetzt ist und welche Türen stößt die Ampel abseits der Schuldenbremse auf? Wer nur das Bekenntnis zur Schuldenbremse gelesen und das Wort “Steuererhöhung” mit Strg+F im Vertrag gesucht hat und daraus Geldsorgen für die Ampel schließt, ist schlecht informiert. Politiker, die so argumentieren, blamieren sich damit zudem in der Fachpresse.
Denn tatsächlich sind im Koalitionsvertrag fast alle möglichen Türen aufgemacht, um mehr Geld auszugeben:
die Corona-Schulden werden später zurückgezahlt;
der staatliche Klimafonds wird vollgepumpt, solange die Schuldenbremse ausgesetzt ist;
die Abflüsse aus dem Klimafonds fallen zukünftig nicht mehr unter die Schuldenbremse;
öffentliche Gesellschaften wie die Deutsche Bahn oder die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) sollen mehr Eigenkapital bekommen und Kredite aufnehmen dürfen;
andere öffentliche Investitionsgesellschaften sollen neu gegründet werden; die staatliche Investitionsbank (KfW, Kreditanstalt für Wiederaufbau) wird gestärkt;
… und ja sogar die Berechnung der Konjunkturkomponente der Schuldenbremse soll auf Änderung geprüft werden. Eine ganze Klaviatur an Finanzierungslösungen also, die viel Spielraum bringt. Damit könnte die Ampel 10 Mrd. oder auch 100 Mrd. € pro Jahr zusätzlich investieren. Gerade die öffentlichen Gesellschaften bieten viel Spielraum. Wie die Lösungen im einzelnen funktionieren, habe ich mit Lukas Scholle in diesem Video und auf seinem Podcast “Wirtschaftsfragen” erklärt.
Auf Lindner kommt es an
Finanzierungswege gibt es auch mit Schuldenbremse genug. Die Türen sind sperrangelweit aufgestoßen. Das kann man der Ampel nur wirklich nicht vorwerfen. Der Haken: Christian Lindner muss durch die Türen gehen. Als neuer Finanzminister sitzt er auf dem Geld. Das verschafft ihm Macht. Leider zu viel Macht. Er kann sogar andere Ausgabenvorhaben blockieren, weil er ein Veto-Recht hat. Wenn Lindner mit zugenähten Hosentaschen und verschränkten Armen in das Finanzministerium einzieht, nützen auch die besten Finanzierungswege nichts. Sollte die Inflationsrate nicht bald sinken oder die pandemische Notlage noch lange anhalten, wird Lindner die Handbremse anziehen und die Türen höchstens zum Lüften nutzen. Geld, das für Pandemiebekämpfung ausgegeben wird, fehlt nämlich dann im Klimafonds. Außerdem glaubt Lindner die Inflation mit Sparpolitik bekämpfen zu können. Lindner könnte einige der Ampelpläne torpedieren.
Zumal im Koalitionsvertrag keine Investitionssummen festgelegt wurden. Überall fehlen Preisschilder. Ja, das hat die Verhandlungen womöglich beschleunigt und ja, das gibt auch Flexibilität. Ich befürchte allerdings, die Flexibilität ist eher zum Nachteil. Denn Lindner hat keinen öffentlichen Druck, Investitionen in bestimmter Summe auch wirklich von der Rampe zu schieben. Unter den Bedingungen - ohne konkrete Investitionssummen und ohne öffentlichen Druck - hat Lindner leichtes Spiel. Ein Grund zur Sorge!
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