Wer im letzten Jahr Bitcoins gekauft hat, steht fett im minus. Im Vergleich zum Vorjahr hat der Bitcoin fast 40 Prozent an Wert verloren, seit dem Hoch im November sogar rund 70 Prozent!
In der Bitcoin-Community ist man sich trotzdem einig: Langfristig kann der Bitcoin nur steigen, deshalb: Augen zu und durch! Dass man dabei vor die Wand rennen kann, wird ignoriert. Auch aus Interessenskonflikten. Denn der Bitcoin ist ein großes Schneeballsystem. Und solche Systeme funktionieren nur, solange man immer neue “Dumme” findet, die von hinten neues Geld reinschießen, wenn sie sich einkaufen. Im Englischen sagt man deshalb: Bigger-Fool-Game.
Getragen wird das Ganze von einer Mischung aus gerissenen Spekulanten und einer radikal-libertären Fanbase, die den Bitcoin ideologisch auflädt und als Befreiung von der bösen staatlichen Zwangswährung versteht. Wie staatliche Währungen und moderne Volkswirtschaften funktionieren, verstehen dort die wenigsten. Die ökonomische Grundlage der Bitcoiner ist die österreichische Schule. Deren Vertreter halten Schulden und Geldschöpfung für das größte Übel. Ihre Alternative: Eine knappe Ware sollte als Geld verwendet werden, zum Beispiel Gold. Und das digitale Gold ist eben Bitcoin.
Wieso stürzt der Bitcoin gerade ab?
Der Preis des Bitcoins bestimmt sich - wie alle Preise an Börsen - nach Angebot und Nachfrage. Der Preis fällt, wenn es mehr Verkäufer als Käufer gibt. Warum wollen Anleger also gerade den Bitcoin loswerden? Und warum finden sie weniger Käufer?
Zum einen, weil es jetzt wieder Zinsen auf Guthaben gibt. Zentralbanken erhöhen das Zinsniveau, um gegen die Inflation zu kämpfen. Das ist zwar zum Scheitern verurteilt, wie ich zuletzt hier mit dem Ökonomen Patrick Kaczmarczyk besprochen habe, aber so kommt es jetzt. Wenn Tagesgeld und Staatsanleihen wieder Zinsen bringen, hat der Bitcoin das Nachsehen. Denn beim Bitcoin bleibt nur die Wette auf den Kursgewinn. Wer Bitcoin hält, bekommt keine Zinsen.
Obendrauf leidet der gesamte Kryptomarkt an einem Vertrauensverlust. Zuletzt sind Terra und Luna gecrasht. Zudem stoppten einige Kryptoplattformen wie Celsius Network oder Babel Finance die Abhebungen ihrer Kunden, die dadurch nicht mehr an ihr Geld kamen. Die Krypto-Börse Coinbase entlässt massenhaft Angestellte, fast jeder Fünfte muss gehen. All das schürt große Unsicherheit.
Auch Krypto-Miner fangen an, ihre Bestände zu verkaufen. Miner sind diejenigen, die durch das Lösen komplizierter Rechenaufgabe die Blockchain fortschreiben. Belohnt werden sie dafür mit neuen Bitcoins. Das Mining ist aber teuer, weil es viel Strom und teure Hardware benötigt. Beides müssen die Miner in Vorleistung mit Euro oder US-Dollar bezahlen. Weil die Energiepreise gerade massiv steigen, der Bitcoin aber fällt, wird das Geschäft für die Miner immer unlukrativer. Teilweise sehen sich kleinere Mining-Firmen schon gezwungen, ihre Bitcoin-Bestände zu verkaufen, um laufende Kosten zu decken. Das wiederum erzeugt noch mehr Druck auf die Preise und führt zu einer gefährlichen Abwärtsspirale. An Börsen dominiert eben das Herdenverhalten. Ist die Herde erst mal unterwegs, drohen große Preisausschläge.
“Etliche Milliarden Dollar vernichtet!”
In vielen Überschriften liest man, dass der Kursverlust bei Kryptos Milliarden Euro und US-Dollar vernichtet hätte. Ein logischer Fehlschluss! Denn der Bitcoin ist ein Nullsummenspiel. Es kann nur ausgezahlt werden, was wer anders vorher eingezahlt hat. Wie beim Pokertisch am Casino. Alle Spieler bringen Geld mit und nur das Geld wird am Tisch umverteilt. Geld wird dabei nicht vernichtet, sondern umverteilt. Wer jetzt mit Verlusten ausgestiegen ist, hat anderen Gewinne beschert.
Gut, wenn wir das teure Mining mit dazurechnen, wird es sogar ein Negativsummen-Spiel. Noch schlimmer!
Bitcoin-Befürworter wie Marc Friedrich argumentieren, der Bitcoin könne langfristig im Wert nur steigen - allein schon aus mathematischen Gründen -, denn der Bitcoin sei ja ein begrenztes Gut. Und begrenzte Güter werden immer wertvoller, so seine Annahme. Mit Mathematik hat das, was Friedrich sagt, aber wenig zu tun. Damit der Preis über lange Fristen steigt, muss ja irgendetwas eine Nachfrage nach Bitcoin sicherstellen. Was aber soll das sein?
Bei staatlichen Währungen sorgt zum Beispiel die Steuerpflicht dafür, dass es eine Nachfrage nach der Währung gibt. Ebenso die Tatsache, dass der Euro ein Schuldschein ist. Er entsteht durch Kredite, durch neue Schuldner-Gläubiger-Beziehungen. Wer in Euro verschuldet ist, wer also einen Kredit in Euro zurückzahlen muss, hat immer einen Grund, Euros nachfragen. Beim Bitcoin ist das nicht so. Bitcoin ist eine Ware und kein Schuldschein. Bitcoin entsteht nicht durch Kredit, sondern wird aus einem Informatiknebel gebuddelt - wie Gold aus Minen. Schuldner-Gläubiger-Beziehungen sind nicht in Bitcoin gefasst. Außer einer ideologischen Fanbase, einigen Spekulanten und den Minern, die auf hohe Bitcoinkurse angewiesen sind, um ihre Kosten zu decken, gibt es nichts, was sicherstellt, dass es immer genug Nachfrage nach Bitcoin gibt. Mit einem 5-Euro-Schein kann ich immer Steuern und Schulden in Höhe von fünf Euro begleichen. Mit einem Bitcoin nicht.
Der innere Wert des Bitcoins ist null. Wenn sich das Mining nicht mehr lohnt und die Spekulanten auf fallende Kurse wetten, kann es schnell noch weiter abwärts gehen.
Wir haben ein Bildungsproblem
Richard David Precht, Lars Feld, Hans-Werner Sinn, Marc Friedrich, Christian Rieck, Jörg Krämer, Frank Schäffler und etliche weitere mehr oder minder prominente Stimmen in der Öffentlichkeit propagieren weiterhin den Mythos, dass Inflation durch zu viel Geld entstehe. Noch immer gibt es etliche Professoren, die in ihren Vorlesungen diesen monetaristischen Unfug erzählen. In Schulbüchern findet man die Erzählung genau so. “Deutschlands Hyperinflation kam vom Gelddrucken”, heißt es dann. Und auch auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung findet man:
“Beim Entstehen einer Inflation spielt besonders die Geldmenge in der Volkswirtschaft eine große Rolle. Steht der gesamtwirtschaftlichen Gütermenge eine zu große Geldmenge gegenüber (Aufblähung der Geldmenge), ist eine Bedingung für die Inflation gegeben.”
Die Bundesbank sollte ihrer geldpolitischen Verantwortung nachkommen und in einer großen Kampagne für Aufklärung sorgen. Dass die Bundesbank selbst Tonnen von unnützem Gold bei sich im Keller lagert, hilft bei der Aufklärung allerdings nicht. Damit wird der Eindruck erzeugt, Papiergeld sei durch Gold “gedeckt”. Ein gefundenes Fressen für die Märchengeschichten der Bitcoiner, die permanent suggerieren, das Geldsystem stehe vor dem Zusammenbruch und die Menschen könnten ihre Ersparnisse retten, indem sie den Bitcoin investieren. Der sei vor der inflationären Geldmengenausweitung genauso geschützt wie vor staatlichem Zugriff. Ein feuchter liberaler Traum, der leider bei zu vielen verfängt. Gerade bei jungen Leuten. Aus Verbraucherschutzsicht ein Skandal.
Die Wirklichkeit holt die Märchen gerade ein. Bei einer Inflationsrate von acht Prozent bekommt man heute für jeden Euro acht Prozent weniger als vor einem Jahr. Wenn man den Euro aber vor einem Jahr in Bitcoin getauscht hat und ihn heute nutzen will, hat man zusätzlich zu den acht Prozent Inflationsrate noch fast 40 Prozent Kursverlust. So viel zum Thema “Bitcoin als Inflationsschutz”.
Gedankenexperiment
Warum modernes Fiatgeld dem Bitcoin überlegen ist, zeigt ein kleines Gedankenexperiment.
Wir sind zurück im Jahr 2020. Die Corona-Pandemie beginnt gerade. Statt Euro gibt es aber nur Bitcoin! Der Staat muss schnellstmöglich Impfstoffe fördern, Firmen retten und Kurzarbeitergeld zahlen. Es braucht jetzt auch dringend mehr Leute im Gesundheitswesen. Außerdem muss der Staat Masken beschaffen sowie Testzentren und Impfkampagnen bezahlen. Woher aber kommt das Geld? Euros hätte er einfach erzeugen können, um die Ausgaben zu tätigen. Mit Bitcoin geht das aber nicht, denn die Menge an Bitcoins ist ja begrenzt.
Wenn der Staat das alles in Bitcoin hätte machen müssen, hätte erst wer anderes seine Bitcoin abgeben oder verleihen müssen. Deutlich mehr Nachfrage wäre auf knappes Angebot gestoßen. Preis und Zins wären durch die Decke gegangen. Vielleicht hätte der Staat auch gar nicht genug Bitcoin bekommen, weil der Preisschub andere Spekulanten auf den Plan gerufen hätte. Und was ist mit den Firmen, die eigentlich investieren wollten? BionTech will forschen und die Produktion ausbauen, andere wollen Schnelltests entwickeln, eine Software-Firma will eine Software für Online-Unterricht bauen. Die Investitionen waren mit Kreditkosten von drei Prozent kalkuliert, jetzt aber kosten Bitcoin-Kredite plötzlich das Vielfache. Einige Investitionen rechnen sich schlicht nicht mehr, die Unsicherheit ist zu groß, die Wirtschaft taumelt in die Krise.
All die staatlichen Krisenmaßnahmen wären mit knappem Bitcoin nicht finanzierbar gewesen. Unser Gesundheitssystem, unsere Wirtschaft und viele Menschenleben hätten gelitten, Massenarbeitslosigkeit wären entstanden und die politische Stabilität in Gefahr. Knappes Geld ist eine dumme und gefährliche Idee.
Bitcoiner erkennen das auch selbst. Sie brüsten sich ja immer wieder mit der These „mit Bitcoin wären Kriege nicht finanzierbar“ und halten das für ein gutes Argument. Die Abwehrschlachten gegen Krisen, Pandemien und Armut sind dann aber auch nicht finanzierbar wären, das verstehen sie nicht.
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Hallo Maurice,
dieser Beitrag gehört in die Schulen und sollte dort ausgiebig besprochen werden.
Es ist erschreckend, wie bekannte Namen logisch erkennbaren Unsinn mit dem Brustton ihrer Überzeugung verkünden.
Was für Bitcoins gilt (Nullsummenspiel) gilt übrigens für alle Aktivitäten auf den Finanzmärkten. Gewinne entstehen hier nur durch Preisveränderungen. Wenn die Herde dann zum Stillstand kommt oder sogar den Rückwärtsgang einlegt, ist es mit den "Gewinnen" vorbei.
Wer glaubt man könne mit Finanzmarkt-Aktivitäten die Rente finanzieren, hat nicht verstanden, dass Rentenauszahlungen immer aus dem aktuellen Topf der bezahlten Leistungen umverteilt werden.
Ich weiss, schwer zu vermitteln aber Rentenauszahlungen sind in keiner Form durch "Sparen" zu finanzieren, weder mit Aktien noch mit anderen Sparmaßnahmen!
Moin Maurice,
wieder ein klasse Artikel, herzlichen Dank dafür! Den derzeitig drastischen Kursverfall des Bitcoins - insbesondere auch mit seinen Gründen - hatte ich so noch nicht auf dem Schirm.
Was mich gefreut hätte, wäre ein Absatz über den Zusammenhang zwischen Casino-Phänomenen à la Bitcoin und der Geldmengenexplosion staatlicher Währungen der letzten Jahrzehnte. Diese hätten uns staatlich angestoßene, realwirtschaftliche Investitionen ermöglichen können, haben uns stattdessen aber solche private Spekulationsblasen beschert. Sicher benötigt es im ersten Schritt den MMT-Blick, um mit einem vernünftigen Verständnis von Staatsausgaben Krisen bewältigen zu können. In einem zweiten braucht es aus meiner Sicht dann aber ebenso wichtig ein Bewusstsein dafür, dass Bitcoin & Co. gesamtgesellschaftlich und realwirtschaftlich ausschließlich Schaden anrichten. Was mir fehlt ist ein mutiger Ansatz, wie hieraus entstandenes, gigantisches Vermögen vernichtet werden kann.