Bürokratie abbauen, aber links
Wenn Fachkräfte fehlen, müssen Bürokratiemonster und Bullshitjobs weg!
Die Wirtschaft jammert wehleidig, dass sie keine Leute mehr findet. Gleichzeitig sind aber heute so viele Leute wie noch nie erwerbstätig - und noch immer rund fünf Millionen Menschen auf der Suche nach Voll- oder Teilzeitstellen. Nicht abzustreiten gleichwohl: spätestens wenn die Babyboomer bald scharenweise in Rente gehen, geht Wissen und Arbeitskraft verloren.
Gleichzeitig brauchen die großen öffentlichen Aufgaben viel Personal. Die Energiewende braucht Handwerker und Ingenieure; die Verkehrswende Lokführer und Busfahrer; die Bildungsoffensive Lehrer und Erzieher. Schon heute sind viele dieser Berufe unterbesetzt - obwohl, ich muss es nochmal sagen, heute so viele Leute wie noch nie in Deutschland erwerbstätig sind.
Das zeigt: Wir priorisieren offensichtlich heute schon falsch, wofür wir die Köpfe und Hände dieses Landes einsetzen. Was, wenn die auch noch knapp werden?
Verschwendung verboten!
Was knapp ist, sollte man nicht verschwenden. Im Gegenteil: man sollte behutsam darauf aufpassen, man sollte es schützen, und gut einteilen. Salopp gesagt: Wenn Fachkräfte knapp werden, müssen wir sie rationieren. Mindestens für übergeordnete Ziele wie Klima und Bildung!
Das passiert bisher aber nicht und darüber wird auch nicht gesprochen. Stattdessen werden Fachkräfte millionenfach verschwendet. In sinnfreier Bürokratie genauso wie in überdimensionierten, aber wenig wohlstandstiftenden Branchen, wie der Finanz- und Versicherungswirtschaft. Das Klagen über sinnfreie Bürokratie (im Gegensatz zu sinnstiftender) sollten Linke nicht den Rechten überlassen. Und stattdessen gute Vorschläge machen. Ich will damit anfangen.
10-Punkte-Plan gegen Fachkräfte-Verschwendung
Alle Bagatellsteuern abschaffen. Zum Beispiel: Kaffeesteuer, Schaumweinsteuer, Biersteuer, Hundesteuer, Pferdesteuer, Fischereisteuer, Zweitwohnungsteuer, Vergnügungsteuer, Hotelsteuer, Feuerschutzsteuer … und alles, was man noch so findet. Sie alle erzeugen viel Aufwand, beim Staat und in den Betrieben, bringen aber wenig Einnahmen. Die Daseinsberechtigung wird meistens mit der Lenkungswirkung verteidigt. Davon sollte man sich lösen. Ein Staat, der seinen großen Aufgaben in Sachen Klima, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur nicht gerecht wird, braucht nicht im Klein-Klein zu lenken. Die ganzen Buchhalter, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Beamten sind woanders besser eingesetzt. Nebeneffekt: die Güter werden günstiger.
Freibeträge bei allen Steuern erhöhen, um die schiere Anzahl von Kleinststeuerfällen zu reduzieren. Bei der Einkommensteuer etwa die Grenze von fast 11.000 auf 25.000 Euro anheben. Auch bei der Erbschaftsteuer könnten die Freibeträge verdoppelt werden, um viele Fälle einzusparen. Das große Geld ist eh bei Spitzeneinkommen und Hochvermögenden zu holen. Eine gute Idee für mehr Gerechtigkeit wäre freilich, im Gegenzug die Steuersätze ganz oben anzuheben. Das wäre aber ein anderes Ziel.
Kleinunternehmer großzügig von der Umsatz- und Gewerbesteuer befreien. Wer weniger als 100.000 Euro Umsatz macht, sollte von der bürokratischen Last der Umsatzsteuer befreit werden; heute liegt die Grenze bei 22.000 Euro. Der Freibetrag bei der Gewerbesteuer sollte ebenso von 24.500 auf 100.000 Euro angehoben werden. Damit werden Kleinunternehmer, Finanzämter und Steuerberater von Klein-Klein-Fällen entlastet. Ihr erkennt schon ein Muster, oder?
Aus 96 Krankenkassen eine machen. Echter Wettbewerb besteht ohnehin nicht, weil der Staat definiert, was, wie, wem erstattet wird - und was nicht. Eine große Verwaltung ist am Ende kleiner und effizienter als 96 einzelne. Obendrein würde man 96 Marketingabteilungen einsparen und Verbraucher nicht mehr intransparente Policen vergleichen müssen. Win-Win.
ÖPNV ticketfrei und gratis machen. Das Motto: einfach einsteigen. Null statt 49 Euro. Kein-Ticket statt Deutschland-Ticket. Nicht nur würde der ÖPNV attraktiver, sondern auch die ganze Ticketinfrastruktur gespart. Die ganzen Schalter, die aufgestellt, gewartet, programmiert und betreut werden müssen; die Handwerker, die Ingenieure, die IT-Spezialisten, die damit zu tun haben; die Service-Mitarbeiter, die verzweifelten Kunden beim Ticketkauf helfen müssen; und die ganzen Ticketkontrolleure. Dafür müsste man bundesweit 15-20 Milliarden pro Jahr zusätzlich ausgeben, spart aber wertvolle Ressourcen. Angesichts von Klimakrise und alternder Gesellschaft: No-Brainer.
Unnütze Versicherungs- und Finanzprodukte verbieten. Damit würde die überdimensionierte Versicherungs- und Finanzwirtschaft automatisch verkleinert. Sachbearbeiter, Verkäufer und Mathematiker sind in diesen Bullshitjobs verschwendet. Welche Produkte genau darunter fallen und welche nicht, würde hier den Rahmen sprengen.
Löhne im öffentlichen Dienst massiv anheben. Der Staat konkurriert mit der Privatwirtschaft um Arbeitskräfte. Pfleger, Erzieher, Lehrer, Busfahrer: all diese Jobs müssen gut besetzt sein, um öffentliche Daseinsvorsorge am Laufen zu halten. Logisch also, diese Jobs massiv aufzuwerten, mit mehr Geld, mehr Ansehen und besseren Arbeitsbedingungen. Da schon längst Mangel herrscht, sollten große Imagekampagnen und Quereinsteiger-Programme mit symbolisch hohen Bonuszahlungen auf den Weg gebracht werden.
Das Handwerk aufwerten. Auch hier braucht es eine Imagekampagne und Anreize, damit mehr Menschen wieder eine klassische Handwerksausbildung machen, statt - mit Verlaub - Philosophie und Politikwissenschaft zu studieren. Berufsschulen müssen entsprechend modernisiert werden. Warum nicht 10.000 Euro staatlichen Bonus für jede Absolventen einer handwerklichen Ausbildung? Warum nicht Betriebe ab einer bestimmten Größe zur Ausbildung junger Leute verpflichten? Warum nicht als Staat in großem Stil selber in den wichtigsten Gewerken ausbilden und den Unternehmen dafür eine Ausbildungsabgabe aufdrücken? Wir müssen Handwerker mobilisieren, um den Krieg gegen die Erderwärmung zu gewinnen.
Öffentliche Investitionsoffensive in die Infrastruktur. Moderne Infrastruktur ist energieeffizient und attraktiv. Wenn Schulen zu den modernsten Gebäuden der Stadt werden, haben Lehrer und Schüler gleich mehr Motivation und Möglichkeiten. Deutschland ist eine Wissensgesellschaft, das sollte man den Schulen schon von außen ansehen!
Schuldenbremse beerdigen, Kommunen auskömmlich finanzieren. Ressourcen sind knapp, Geld nicht. Die Schuldenbremse bei Bund und Ländern wird dieser trivialen Einsicht nicht gerecht. Wir verschwenden Ressourcen, um willkürliche Haushaltsziele zu erreichen. Das passt nicht in die Zeit, schon gar nicht in die Zukunft. Genaueres dazu bald!
Zugegeben: Der Plan ist aus der Hüfte geschossen und ambitionierter Pragmatismus. Natürlich ist er unvollständig, manche Zahlen sicher diskussionswürdig. Ich hoffe aber, der Appell ist eindeutig. Knappe Köpfe und Hände sollten wir nicht länger verschwenden!
Danke für diese schöne Zusammenfassung, die auf den ersten Blick ein wenig naiv daherkommt aber im Grunde nur deshalb, weil man sich fragt, warum das alles noch nicht längst umgesetzt wurde :-)
Tatsächlich ist es wahrscheinlich einfacher als man denkt, das umzusetzen, wenn man die systemischen Hindernisse verstanden und einen Umgang damit gefunden hat.
Wir befinden uns in einer Zeit, die nicht nur Veränderungen braucht, sondern einen Reset. Einfach mal alles in Frage stellen und neu denken, bevor das Leben uns zwingt, das zu tun. Schluss mit der Verschiebung auf die nächste Legislatur oder spätere Generationen. Veränderungen in der Verwaltung sind anstrengend aber wenn man es anpackt, dann geht es.
Daher nochmal danke, lieber Maurice.
Hallo. Ich hatte gedacht jetzt kommt die klassische Linke Bombe. Dagegen lese ich gute und sinnvolle Vorschläge. Kann man Sie dauerhaft sinnvoll fördern? Mfg Prof. Zimmermann