Das falsche Signal
Die Europäische Zentralbank nimmt den Fuß vom Gas. Das Ende des Corona-Anleiheprogramms mitten in der vierten Welle ist ein Fehler.
Die EZB hat kein leichtes Leben. Wirklich nicht. Erst versucht sie jahrelang mit Nullzinsen und Anleihekäufen Deflation zu vermeiden und die europäische Wirtschaft in Gang zu bringen - erfolglos - und jetzt, mitten in der vierten Pandemiewelle, steigen ihr die Inflationshypochonder aufs Dach.
Am Donnerstag tagte die EZB, um die Lage zwischen Inflation und Pandemie zu beraten. Im Raum stand ein Kurswechsel. Denn am Dienstag hatte die amerikanische Zentralbank bereits angekündigt, ihre Anleihekäufe zu drosseln und den Leitzins im nächsten Jahr zu erhöhen. Die britische Zentralbank fackelte nicht lange und hat ihren Leitzins gleich von 0,1 auf 0,25 Prozent angehoben. Warum? Nun, der Auftrag aller Zentralbanken lautet: stabile Preise. Weil die Inflationsraten gerade steigen, kommen sie alle unter Druck. Liberale und konservative Medien stehen voll mit Forderungen nach höheren Zinsen und weniger Anleihenkäufen. Die Geldpolitik soll den Fuß vom Gaspedal nehmen, so das Credo im Mainstream.
Inflation vs. Pandemie
Die Gemengelage ist aber kompliziert. Sehr kompliziert. Einerseits weil die EZB kaum Einfluss auf die Inflation hat. Die höheren Preise kommen von steigenden Energiepreisen und von pandemiebedingt kaputten Lieferketten. Kaputte Lieferketten meint, dass in China ein Hafen oder in Vietnam eine Produktionsstätte ausfällt. Das führt zu Materialmangel und Lieferproblemen. Dazu kommt in Deutschland der Mehrwertsteuereffekt. Andererseits hat die EZB zu Beginn der Pandemie versprochen, dass sie ihr Anleihe-Notprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) so lange aufrechterhält, bis die Corona die Wirtschaft wieder einigermaßen läuft. Im O-Ton:
Vorgesehen ist die temporäre Maßnahme (PEPP) solange, bis der EZB Rat die kritische COVID-19 Phase als abgeschlossen einschätzt, allerdings mindestens bis Ende März 2022.
Von einem Abschluss der “kritischen Phase” kann nun wahrlich nicht die Rede sein. Wir stecken mitten in der vierten Welle. Obendrauf kommt Omikron. Die Niederlande und Dänemark gehen in den Omikron-Lockdown, um die rasende Verbreitung zu stoppen. Die pandemische Lage ist weiterhin “kritisch”. Ebenso die Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Zwischen diesen beiden Polen muss die EZB nun abwägen: Inflation und Pandemie. Auf die Energiepreise hat es kaum Einfluss, ob die EZB mehr oder weniger Anleihen kauft. Auf die Pandemie hingegen schon. Die Anleihenkäufe halten die Zinsaufschläge auf Staatsanleihen in Schach. Wenn die EZB als großer Käufer für Anleihen am Markt auftritt, gibt es weniger Risiko und die Finanzminister kommen günstiger an Geld. Geld, das sie dringend brauchen, um Wirtschaftshilfen, Kurzarbeitergeld oder Impfstoffe zu bezahlen. Bisher hat PEPP sein Ziel erreicht. Die Grafik unterhalb zeigt das gut. In der Eurokrise vor 10 Jahre sind die Zinsen für Griechenland (grün) noch durch die Decke gegangen und auch für Italien (lila) stark gestiegen. Jetzt in der Corona-Krise sind sie nah an Allzeittiefs, weil die EZB mit ihren Anleihenkäufen dafür gesorgt hat. Gut so!
Immerhin kein kalter Entzug
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