Das Grunderbe ist schlechter als sein Ruf
20.000 Euro vom Staat zum 18. Geburtstag: Progressiver Vorschlag oder Ablasshandel für einen maroden Staat?
Wer würde nicht gerne zum 18. Geburtstag 20.000 Euro vom Staat bekommen? Was im ersten Moment nach linker Träumerei klingt, ist ein ernst gemeinter Vorschlag. Grunderbe heißt die Idee, für die sich namenhafte Ökonomen wie Marcel Fratzscher und Thomas Piketty starkmachen. Das Ziel ist ehrenwert: Vermögen gerechter verteilen, indem man den Vermögensaufbau erleichtert, insbesondere denen, die wenig verdienen und erben. Aber kann die Idee wirklich einlösen, was sie verspricht?
Grunderbe = Bedingungsloses Grundvermögen
Vor einem Jahr brachte SPD-Politiker Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, den Vorschlag in die Debatte ein, etwa ein halbes Jahr nachdem das DIW eine Kurzstudie dazu veröffentlicht hatte.
Einfach so aufs Konto überwiesen soll das Geld allerdings nicht werden. Die Australienreise oder ein flotter Gebrauchtwagen nach dem Schulabschluss sollen nicht gesponsert werden, zumindest wenn es nach dem DIW-Vorschlag geht. Dort ist das Geld nur für ganz bestimmte Zwecke vorgesehen: Ausbildungsfinanzierung, Erwerb von Wohneigentum, Selbstständigkeit und Unternehmensgründungen, Weiterbildung oder für Einkommenseinbußen bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit.
Rund 15 Milliarden Euro pro Jahr würden dafür im Bundeshaushalt benötigt. Finanziert werden soll das, so der DIW-Vorschlag, mit höheren Steuern für Millionäre. Idealerweise über die Erbschaftsteuer, im Zweifel aber auch über eine Vermögensabgabe. Hintergrund: Nur die Abgabe landete im Bundeshaushalt, die Erbschaftsteuer und die Vermögensteuer stehen den Ländern zu – herzlich Willkommen im Dickicht des deutschen Steuerföderalismus.
Etwas überraschend: Im Mai diesen Jahres machte CDU-Generalsekretär Mario Czaja einen ähnlichen Vorschlag, 10.000 Euro Startkapital für jeden ab dem 18. Lebensjahr. Selbstverständlich aber ohne Vermögensteuer.
Grunderbe: Was ist davon zu halten?
Zweifelsfrei trifft die Idee einen Nerv. Vermögen ist nämlich extrem ungerecht verteilt. Die Hälfte der Deutschen besitzt quasi nichts, das obere Ein-Prozent hingegen sehr viel, rund ein Drittel aller Vermögen. Wer in einer armen Familie groß wird, hat es schwerer, im Leben zu gutem Bildungsabschluss, gutem Einkommen und nennenswertem Vermögen zu kommen. Ökonomische Sicherheit hilft, sich gut auszubilden, sich unternehmerisch auszuprobieren und eine Familie zu gründen. Richtig ist auch, dass der Staat in die Jugend investiert. Für all das ist das Grunderbe eine scheinbar einfache Lösung, ein Quick-Fix.
Der Schein aber trügt. Warum sollte ein Kind 18 Jahre lang in Armut aufwachsen, bevor es einmalig 20.000 Euro für eine zweite Chance im Leben bekommt? Kein Grunderbe kann den Schaden kompensieren, den marode Schulen, fehlende Kitaplätze, zu kleine Wohnungen, geschlossene Jugendzentren, soziale Isolation und chronische Existenzängste in den ersten 18 Lebensjahren anrichten.
»Zu glauben, dass Kinder aus armen Familien mit Einmalzahlungen an renommierten Universitäten in teuren Städten studieren, Start-Ups gründen und Eigenheime kaufen – wahrscheinlich noch alles drei gleichzeitig – ist naiv.«
Die Frage stellt sich: Ist nicht jeder Euro in eine funktionierende Daseinsvorsorge besser investiert? Etwa, um moderne Schulen und Kitas zu bauen oder mehr Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter einzustellen. Und wäre es nicht sogar besser, die 20.000 Euro durch 18 Jahre und 12 Monate zu teilen, um das Kindergeld um 92,60 Euro pro Monat zu erhöhen, das Geld also schon ab der Geburt auszugeben und nicht erst ab der Volljährigkeit? Damit läge das Kindergeld übrigens bei rund 343 Euro, aber immer noch 30 Euro unter dem Betrag, den Spitzenverdiener durch den steuerlichen Kinderfreibetrag bekommen – eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Die elendige Debatte um die neue Kindergrundsicherung zeigt übrigens, wie unrealistisch in der Ampel selbst so eine magere Regelsatzerhöhung von 92 Euro wäre. Nicht anders war es beim Bürgergeld. Und, ja, auch ein höheres Bürgergeld würde für mehr Aufstiegschancen armer Kinder sorgen. Nicht nur, weil das Kindergeld heute auf den Bürgergeldsatz angerechnet wird, sondern auch, weil arme Kinder eben Kinder armer Eltern sind. Um Kinderarmut zu vermeiden, muss man also auch Elternarmut vermeiden. Dafür wiederum muss man ran an den Sozialstaat, den Arbeitsmarkt, den Mindestlohn, die Industriepolitik, die Rente und und und. Das ist anstrengend und kleinteilig, eben kein “Quick-Fix”. Dass aber 20.000 Euro Einmalzahlung daran vorbeiführen können, ist eine Illusion.
Ohnehin ist es doch so: Einmalzahlungen versickern in einer Wirtschaft, indem jeder Fünfte zu Niedriglöhnen arbeitet, Mieten und Hauspreise in Schwindelhöhen gestiegen sind und die Daseinsvorsorge kaputtgespart wurde. Zu glauben, dass Kinder aus armen Familien mit Einmalzahlungen an renommierten Universitäten in teuren Städten studieren, Start-Ups gründen und Eigenheime kaufen – wahrscheinlich noch alles drei gleichzeitig – ist naiv. Eine Naivität, die man sonst nur von BGE-Befürwortern gewohnt ist.
Alles, was das Grunderbe verspricht, ließe sich mit anderen Maßnahmen viel besser lösen. Wer studieren oder gründen will, aber kein Geld dafür hat, sollte natürlich gefördert werden. Die Fördertöpfe gibt es aber längst alle. Vom BaFög für Studenten bis zum EXIST-Stipendium für Gründer. Diese Töpfe sollten voller und zugänglicher werden, na klar, das wäre gut. Ein Grunderbe braucht es dafür aber nicht. Im Gegenteil: Die Gefahr besteht, dass all diese Fördertöpfe kleiner oder gar gestrichen werden, wenn ohnehin jeder 20.000 Euro bekommt. Dann wäre wenig gewonnen, aber viel verloren.
Die falsche Idee zur falschen Zeit
Fazit: Das Grunderbe wäre sicher ein netter Bonus in einer idealen Welt mit funktionierender Daseinsvorsorge und einer gerechten Wirtschaft. Die haben wir aber nicht. Im Status Quo ist es viel mehr ein Ablasshandel für marode Schulen, fehlende Kitaplätze und große Ungerechtigkeiten. Ein kurz wirkendes Schmerzmittel gegen die Symptome, aber keine Lösung für die Ursachen.
Wer das Grunderbe wie ein großes Trostpflaster aufkleben will, ändert nichts an den beklagenswerten Umständen, sondern verdeckt sie. Genau das geht übrigens auch bestens mit der neoliberalen “Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied”-Mentalität. Wer es nicht zu Reichtum bringt, hat sein Grunderbe eben nicht richtig eingesetzt. Viel Spaß, sich das von Aktien-Youtubern erklären zu lassen.
Auch ist der Zeitpunkt für die Forderung nach einem Grunderbe denkbar schlecht. Viele Menschen haben Vertrauen in die Politik verloren, bekommen die kaputtgesparte Daseinsvorsorge mit Wucht am eigenen Schicksal zu spüren, sind nach 30 Jahren neoliberaler Politik und drei Jahren Dauerkrise überfordert und die AfD reitet eine große Umfragewelle. Wenn selbst das versprochene Klimageld der Ampel nur ein Papiertiger bleibt, wer soll einem dann die Forderung nach 20.000 Euro Grunderbe abkaufen? Schlechtes Timing!
Auch hier wieder, danke Maurice, für die richtige Einordnung dieses Themas. Alles so treffend...
Sehr gute Analyse.