Das sagt die MMT nicht
Über die MMT kursieren viele Mythen. Auch unter hochrangigen Funktionären wie der EZB-Direktorin Prof. Isabel Schnabel.
Professor Isabel Schnabel ist Direktoriumsmitglied in der Europäischen Zentralbank. Das Direktorium leitet die Geschäfte der EZB. Eine hochrangige Stelle mitten im Herzen unseres Geldsystems! Wer also sollte sich im Geldsystem und mit Wirtschaftstheorien über das Geldsystem besser auskennen als diejenigen, die den Laden der EZB schmeißen?
Vor kurzem war Schnabel bei Jung & Naiv zum Interview zu Gast und hat ausführlich über ihr Studium, ihren Job und die EZB berichtet sowie die bewusst naiv gestellten Fragen von Tilo Jung beantwortet. Statt gelungener Wissenschaftskommunikation kamen dabei aber eher missverständliche und sperrige Antworten heraus. Im Vorfeld hatte auch ich bei Tilo Jung einige Fragen an Isabel Schnabel eingereicht. Dabei war unter anderem die Frage, ob sie die Modern Monetary Theory (MMT) kennt und welche Literatur sie dazu gelesen hat. Die Antwort war bemerkenswert. Schnabel gestand, dass sie die MMT kennt und “interessant” findet, allerdings noch nicht einen originalen MMT-Text gelesen hat. Lediglich Texte über die MMT hätte sie gelesen - und Mal einen Podcast von Stephanie Kelton gehört. Das war’s. Trotzdem lehnte sie die MMT gleich mit dem flapsigen Spruch ab:
“Bei der MMT ist ja eigentlich für jemanden wie mich kein Platz mehr. Was nicht schlimm ist, aber wir brauchen im Prinzip keine unabhängige Zentralbank mehr, ne?”
Die Originalszene findet ihr hier:
Leider beweist der Spruch, dass sie sich wirklich nicht mit der MMT beschäftigt hat. Viel wichtiger ist aber, dass diese Schlussfolgerung ein verbreiteter Irrtum ist. Das will ich zum Anlass nehmen, um mit diesem und drei anderen Mythen über die MMT aufzuräumen.
Keine unabhängige Zentralbank?
Schnabel liegt aus mehreren Gründen mit der Aussage falsch. Erstens ist die MMT kein politisches Regime oder Reformpaket, das umgesetzt oder eingeführt würde. MMT ist nur eine analytische Linse, die uns das Geldsystem und makroökonomische Zusammenhänge besser erkennen lässt. MMT schreibt nicht vor, sondern MMT beschreibt - zum Beispiel wie die Geldpolitik der Zentralbank heute funktioniert. Diese Erkenntnisse können natürlich für Reformen genutzt werden, aber das wäre dann nicht mehr MMT, sondern Politik. Das T in MMT steht schließlich für “Theory”, nicht für “Policy”.
Zweitens ist Unabhängigkeit hier ein weiter Begriff. Die Zentralbank ist eine öffentliche, aber technokratische Behörde mit einer klaren und eng definierten Aufgabenstellung. Sie soll mit ihrer Geldpolitik für Preisstabilität sorgen – in der Eurozone definiert als Inflation von 2 Prozent. Alles, was die Zentralbank in Sachen Geldpolitik macht, muss sie diesem Mandat unterordnen. Dabei darf sie die Geldpolitik allerdings eigenständig festlegen und umsetzen. Heißt: Sie entscheidet selber, ob die Zinsen hoch oder runter sollen. Hier ist sie unabhängig. Neben der Geldpolitik soll sie außerdem noch Großbanken beaufsichtigen und das reibungslose Funktionieren des Zahlungssystems verantworten. Allerdings ist sie dennoch in anderen Bereichen weisungsgebunden, etwa wenn der Finanzminister eine Überweisung anweist. Sie darf nicht entscheiden, Zahlungen von Christian Lindner nicht auszuführen. Das entspricht nicht dem Mandat. Man könnte also sagen, die Geldpolitik ist unabhängig, aber nicht die Zentralbank in Gänze.
Mit diesem Missverständnis ist häufig ein anderes Missverständnis eng verbunden. Nämlich, dass die MMT fordere, die Zentralbanken sollten die Regierungen direkt finanzieren. Damit ist gemeint, dass die EZB Christian Lindner direkt die Staatsanleihen abkauft, das Fachwort dafür ist “monetäre Staatsfinanzierung”. Auch das ist falsch. Tatsächlich ergibt sich aus einem Verständnis der MMT, dass es für die Wirkung von Staatsausgaben auf die Wirtschaft zweitrangig ist, ob die Zentralbank die Anleihen direkt vom Finanzminister kauft, ob dieser die Anleihen erst an Banken verkaufen muss, ob er gar keine Anleihen verkauft und einfach sein Konto überzieht, ob er Bargeld druck oder, wie in der USA diskutiert, eine Billionenmünze prägen lässt. Das derzeitige System mit dem Verkauf von Anleihen an Banken ist sicher nicht optimal, aber funktionstüchtig. Aus der MMT ergibt sich kein Bedarf für monetäre Staatsfinanzierung. Im Gegenteil: Aus der MMT ergibt Sicht, dass eine solche Reform nichts Signifikantes ändern würde.
Es gibt aber noch weitere verbreitete Mythen. Etwa wird häufig behauptet, mit der MMT würde die Verschuldung ins Unendliche gehen, MMT empfehle Steuererhöhungen gegen Inflation oder - die Krönung - nach der MMT wären Steuern als staatliches Instrument gar völlig egal.
Unendliche Verschuldung?
Häufig wird der Punkt als rhetorischer Trick aufgebracht, ergibt aber nicht wirklich Sinn. Denn in der MMT ist die Staatsbilanz nur Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck - so wie es heute klingt, wenn man Christian Lindner oder Olaf Scholz zuhört. Oder etwa Joe Biden, der sich neulich auf Twitter noch kontextlos dafür feierte, das staatliche Defizit reduziert zu haben.
Die Staatsbilanz an sich hat aus MMT-Sicht ohne Kontext keinen Informationsgehalt. Man muss den Kontext kennen. Läuft die Wirtschaft? Werden die öffentlichen Aufgaben gut erfüllt? Läuft der Klimaschutz? Haben alle Menschen gute Arbeit? Genau davon würde eine MMT-informierte Wirtschaftspolitik abhängen. Von realen Zielen! Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Inflation, Verteilung, Emissionen, Qualität der öffentlichen Infrastruktur und und und, aber nicht von der Staatsbilanz. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es Staatsausgaben und eine kluge Steuerpolitik. Die Ausgaben sollten nur derart erhöht werden, dass die Wirtschaft nicht überhitzt. Vereinfacht: Die Staatsausgaben müssen so hoch, dass Vollbeschäftigung bei stabilen Preisen erreicht wird, aber nicht mehr. Die Realität ist natürlich deutlich komplexer, weil alles dynamisch ist und weil man nicht einfach an einem Hebel zieht und direkt die Auswirkungen in der Wirtschaft sehen kann. Wenn Vollbeschäftigung erreicht ist, sollten die Ausgaben nicht weiter erhöht werden, sofern nicht anderswo auch reale Ressourcen freigesetzt werden, die mit diesen Ausgaben dann mobilisiert werden sollen.
Wie hoch dabei das staatliche Defizit ist, ist zum Zeitpunkt der Ausgaben noch offen. Das weiß man erst später, denn das Defizit ist eine ex-post-Variable, die hinten rausfällt, wenn in einem Jahr alle Ausgaben getätigt und alle Steuern erhoben wurden. Je nachdem, wie gut die Wirtschaft gelaufen ist, sind die Steuereinnahmen höher oder niedriger. Heißt: Wenn die Wirtschaft brummt, wird das Defizit kleiner, wenn der Motor stottert, wird es größer. Erst am Ende des Jahres kann die Frage nach dem Defizit geklärt werden. Durch das progressive Steuersystem ist es allerdings so, dass eine gut laufende Wirtschaft mit steigenden Einkommen, automatisch zu deutlich mehr Steuereinnahmen führt. Vielleicht sogar zu einem staatlichen Überschuss. Andersherum gilt das aber auch. Ausgabenkürzungen können die Wirtschaft so hart abwürgen, dass die Steuereinnahmen noch drastischer fallen. Sparpolitik kann das Defizit vergrößern. Griechenland lässt mit schmerzverzerrtem Blick grüßen!
Bottom Line: Ausgaben per se sagen also wenig über die spätere Staatsbilanz aus. Und die ist sowieso nur Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck. MMTler achten auf die Auswirkungen in der Wirtschaft, nicht auf kontextlose Buchhaltungsergebnisse. Ob dabei mehr Schulden gemacht werden? Schulterzucken. Spätestens wenn die Wirtschaft brummt, wird das Defizit automatisch kleiner. Heißt auch: es gibt gute und schlechte Defizite.
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