Der 50-Milliarden-Schatz, den kaum einer kennt
Die Bundesregierung hat fast 50 Milliarden Euro auf einem Konto, das kaum einer kennt. Für den Schlüssel müsste sie allerdings ein Gesetz ändern.
Diese Woche ist Haushaltswoche im Bundestag. Bisschen spät, könnte man meinen. Denn das Jahr ist dann schon einen Monat alt, wenn der Bundeshaushalt beschlossen wird. Eigentlich sollte schon vor der Weihnachtspause alles beschlossen sein. Eigentlich! Dann aber hat das Bundesverfassungsgericht der Ampel einen Strich durch die Rechnung gemacht, einen ziemlich fetten Strich sogar. Klimafonds, Doppelwumms, Ahrtalfonds: Alles musste plötzlich umgeschichtet werden.
Nicht alles hat die Ampel-Beratungen aber überlebt. Der Bundeshaushalt 2024 ist voller Kürzungen, wie hier schon einmal erklärt. Gewiss nicht, weil das Verfassungsgericht die Ampel zum sparen gezwungen hat, wie Robert Habeck und Olaf Scholz sich gerne herausreden; sondern weil sich Habeck und Scholz am Verhandlungstisch gegen Christian Lindner nicht durchsetzen konnten - oder: wollten. Ein wichtiger Unterschied!
Fast 50 Milliarden an Guthaben
Dabei hätte es viele andere Wege gegeben, um Kürzungen trotz Schuldenbremse zu vermeiden: mehr Eigenkapital für die Bahn, Subventionen für Chipfabriken als Beteiligung, öffentliche Investitionsgesellschaften gründen, die Zinskosten anders verbuchen, EU-Töpfe anzapfen, die Konjunkturkomponente ändern und noch viele mehr.
Und dann ist da noch ein anderer Weg, über den selten gesprochen wurde. Der Bund hat nämlich 47,7 Milliarden Euro auf einem Konto, das fast keiner kennt: Das Kontrollkonto der Schuldenbremse. Noch nie davon gehört? Geht den meisten so.
Das Konto ist mit Einführung der Schuldenbremse eingerichtet worden, um Buch zu führen über die Abweichungen von der Schuldenbremse. Das heißt: Macht der Staat mehr Schulden als unter der Schuldenbremse erlaubt, geht das Konto ins Minus; macht er hingegen weniger Schulden als unter der Schuldenbremse erlaubt, geht das Konto ins Plus, sprich, es entstehen Guthaben. Dazu gibt eine Regel, die besagt, dass das Minus auf dem Konto nicht mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung betragen darf, sonst wird der Spielraum unter der Schuldenbremse eingeschränkt.
Ausgeschlossen davon sind allerdings alle Gelder, die an der Schuldenbremse vorbei laufen, zum Beispiel die Coronahilfen, das Sondervermögen Bundeswehr oder finanzielle Transaktionen wie bei der Aktienrente.
Das Ziel hinter dem Konto: die Einhaltung der Schuldenbremse auch über mehrere Jahre zu kontrollieren. Ein »virtuelles Gedächtnis« nennt das Finanzministerium das Konto. Denn ein Haushaltsplan kann ja mal völlig daneben liegen, wenn zum Beispiel die Wirtschaft kriselt und die Steuereinnahmen am Jahresende deutlich kleiner ausfallen als bei der Haushaltsaufstellung zu Jahresanfang geschätzt. Nicht jeder Plan geht schließlich auf.
Die 47,7 Milliarden kommen aber nicht von kleinen ungewollten Abweichungen, sondern eher daher, dass die Regierungen von 2015 bis 2019 noch sparsamer waren, als es die Schuldenbremse eigentlich verlangt hätte. Scholz und Schäubles schwarzer Null sei Dank!
Mit anderen Worten: Diese 47,7 Milliarden Euro hätten selbst mit der gegenwärtigen Schuldenbremse als Investitionen in die Infrastruktur fließen können. 47,7 ungenutzte Milliarden! Was könnte man damit nicht alles machen? Das ist fast so viel, wie die Ampel sich von dem Coronafonds in den Klimafonds getrickst hat. Mit den Milliarden hätte die Ampel bis zum Ende der Legislatur keine Geldsorgen mehr.
Die Truhe ist verschlossen
Das alles bleibt aber Konjunktiv. Denn es gibt ein Problem: Die Guthaben auf dem Kontrollkonto darf die Regierung nicht einfach im Haushalt einsetzen. Das hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages schon einmal geprüft. Dort heißt es:
»Ein positiver Saldo des Kontrollkontos stellt keinen aus Guthaben bestehenden Kreditrahmen dar, der zur Erweiterung des Nettoverschuldungsspielraums genutzt werden kann. Seine Verwendung ist gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 4 GG auf die Verrechnung mit tatsächlichen Kreditüberschreitungen im Haushaltsvollzug beschränkt.«
Der Schlüssel zu dem 50-Milliarden-Schatz ist also eine Gesetzesänderung. Selbst die konservative Bundesbank schlägt deshalb vor, das Guthaben auf dem Konto nicht verfallen zu lassen, sondern es mit den Schulden während der Notlagen zu verrechnen, etwa jene für die Coronahilfen, den Ahrtalfonds oder die Energiepreisbremsen.
Die Notlagen-Schulden selbst gehen zwar an der Schuldenbremse vorbei, allerdings müssen diese Schulden getilgt werden und die Tilgungen laufen unter die Schuldenbremse, reduzieren also den Spielraum der Schuldenbremse. Und zwar ab 2028, dann beginnt die Tilgung, die bis 2058 dauert. Mit der Änderung ließen sich also zumindest die Tilgungspflichten deutlich verringern.
Was noch gut ist: Dafür müsste nicht das Grundgesetz geändert werden, sondern nur das Ausführungsgesetz zur Schuldenbremse. Das geht also auch mit einfacher Mehrheit, ohne Stimmen der Union, ohne Zweidrittelmehrheit.
Der Vorschlag der Bundesbank würde also helfen, nur hätte die Ampel in den nächsten zwei Jahren nichts davon, sondern erst die kommende Regierung. Womöglich muss der geheime Schatz also noch bis dahin schlummern. Vergessen sollten wir ihn nicht!
Interessanter Artikel! Also gibt es ja doch das Sparschwein von Schäuble, das für schlechte Zeiten im Keller liegt. 😅 Aber ich fürchte dieses Sparschwein meinte das ZDF nicht als es Schäuble nach seinem Tod als „legendären Finanzminister“ bezeichnet hat, dank dessen Sparpolitik „wir gut durch die Krise gekommen sind“.
Dieses „Sparschwein“ gleicht dann doch eher einem Token mit unbekanntem Key, auf dem die Nettodefizite jahrzehntelanger Abschreibungen, also jahrzehntelangem Kaputtsparens als Guthaben gesammelt wurden. Und der Einzige, der den Key kennt, nutzt ihn nicht, weil er weiß, dass er das Guthaben nicht für sich nutzen und politisch instrumentalisieren kann.
Wir haben uns mit der Schuldenbremse schon ein krankes System der Selbstzerstörung erschaffen. Was zwar hier und da umgangen werden kann, aber so komplex, missverständlich und unflexibel ist…
- …, dass man nur mit unmöglichen Mehrheiten eine Veränderung realisieren kann.
- …, dass sich bei einem Regierungswechsel Nachteile für die jetzigen Regierungsparteien ergeben würden.
- …, dass die Politiker dem Wähler die Umgehung nicht schlüssig verkaufen könnten oder die Opposition die Umgehung mit falschen Narrativen ins schlechte Licht rückt.
- …, dass die Politiker den Sachverhalt selbst nicht verstehen.
Letzteres ist wahrscheinlich das Hauptproblem. All diese negativen Folgen (selbst bei einer Umgehung der Schuldenbremse) sind auf lange Sicht demokratiegefährdend und die Schuldenbremse selbst ist es sowieso. Trübe Aussichten. 🫣
Die CDU würde eher die Armen verrecken, Infrastruktur komplett verfallen lassen, und die AfD weiter bewerben, um dann alles der Ampel zuzuschieben. Und wenn sie dann regieren, all das tun, wofür sie gegen Ampel hetzen, statt mit dem Schlüssel mitzumachen.