Die Nullrunde ist falsch, Herr Heil!
SPD-Arbeitsminister Heil verteidigt die Nullrunde beim Bürgergeld. Das ist ein Armutszeugnis und Gift für die Konjunktur
Nun kommt sie also wirklich: die Nullrunde beim Bürgergeld. Auch nächstes Jahr wird der Regelsatz weiter bei 563 Euro liegen. „Und das ist auch richtig so“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil bei der Verkündung im RTL-Interview. Wohlgemerkt: Der Arbeitsminister mit SPD-Parteibuch. Menschen in Existenznot müsse zwar geholfen werden, sagte der SPD-Minister weiter. "Klar ist aber auch: Das ist das Existenzminimum, nicht mehr, aber auch nicht weniger", so Heil.
Die Nullrunde beim Bürgergeld ist Gift für die lahme Konjunktur.
Existenzminimum hat Kaufkraft verloren
Das stimmt nicht. 563 Euro sind nicht mehr das Existenzminimum, sondern eben weniger als das. In den Jahren 2021, 2022 und 2023 ist der Regelsatz nämlich deutlich langsamer gestiegen als die Inflation – und wurde somit entwertet. Im Jahr 2021 um 160 Euro, im Jahr 2022 um 445 Euro und im Jahr 2023 um 407 Euro. Macht in Summe einen Kaufkraftverlust des Existenzminimums von 1.012 Euro.
Dieses Minus wurde auch mit der Zwölf-Prozent-Erhöhung in diesem Jahr nicht ausgeglichen. Wenn die bürgergeldspezifische Inflationsrate am Jahresende bei den prognostizierten 2,8 Prozent liegt, ergibt das zwar einen Mini-Kaufkraftgewinn von 145 Euro. Wer aber vorher schon Bürgergeld bezogen hat, bleibt auf seinen Verlusten sitzen – und hat weniger als das Existenzminimum. Schon jetzt ist außerdem klar: 2025 wird die Kaufkraft des Bürgergeldes absehbar wieder sinken, weil die Nullrunde auf eine prognostizierte Inflation von zwei Prozent trifft.
Sorgen um den Lohnabstand können die Nullrunde indes nicht rechtfertigen. Denn der Mindestlohn ist seit 2021 deutlich stärker gestiegen als das Bürgergeld und wird auch 2025 wieder um drei Prozent steigen. Zum Vergleich: Nächstes Jahr wird der Mindestlohn dann 34 Prozent größer sein als 2021, das Bürgergeld aber nur 25 Prozent.
Auch ist die Warnung vor „explodierenden Bürgergeld-Kosten“ an den Fakten vorbei. Die Grafik unterhalb zeigt, wie sich die Ausgaben fürs Bürgergeld (vormals Hartz IV) im Verhältnis zum Bundeshaushalt und zur Wirtschaftsleistung entwickelt haben. Explosion? Fehlanzeige!
Nullrunde und Sanktionen bei steigender Arbeitslosigkeit?
Heil ist naiv, wenn er glaubt, die lahme Konjunktur mit schärferen Sanktionen und einem Vermittlungsbonus für Langzeitarbeitslose ankurbeln zu können. Seit Mai 2022 steigen die Arbeitslosenzahlen Monat für Monat. Fast 600.000 neue Arbeitslose gibt es seitdem. Die Arbeitslosenquote liegt wieder über der Sechs-Prozent-Marke – obwohl die Zahlen schön gerechnet sind. Die Unterbeschäftigungsquote liegt sogar bei 7,6 Prozent. Dazu kommen 233.000 Menschen in Kurzarbeit und weniger offene Stellen. Langzeitarbeitslose bekommt man mitten in einer Wirtschaftskrise, in der Firmen Stellen abbauen, nicht in den Arbeitsmarkt vermittelt. Auch nicht mit ein bisschen Zuckerbrot und viel Peitsche Das ist schlicht unrealistisch!
Das Gegenteil ist wahr: Die Nullrunde beim Bürgergeld ist Gift für die lahme Konjunktur. Denn Menschen mit kleinen Geldbeuteln tragen jeden Euro, den sie bekommen, wieder in die Geschäfte. Mehr Bürgergeld hätte mehr Konsum bedeutet. Gerade der lahmt ja, weil die Kaufkraft der breiten Masse noch immer geringer ist als 2020. Ein höheres Bürgergeld, eine Kindergelderhöhung und eine stärkere Mindestlohnerhöhung wären ein Segen für den brachliegenden Konsum gewesen. Chance verpasst, Herr Heil!
Wo bleibt die Helm-Ansage für 600.000 Arbeitslose?
Apropos Arbeitslose: Nachdem sich der selbsternannte Respekt-Kanzler Scholz vor zwei Wochen mit aufgezogenem Helm vor die Beschäftigten der Meyer Werft gestellt hat, um den großen Arbeitsplatzretter zu geben, stellt sich die Frage, warum derselbe Respekt-Kanzler zu den 600.000 neuen Arbeitslosen schweigt; warum er stattdessen von Arbeitskräftemangel faselt; und warum weder er noch Heil noch sonst jemand aus der SPD sich für die steigende Arbeitslosigkeit verantwortlich fühlt. Vielleicht weil es dafür keine Bühne gibt, auf der man sich mit Helm inszenieren kann? Weil man dafür makroökonomisch denken und neue Schulden machen müsste? Weil man dann die Schuldkarte nicht ein paar Tausend „Totalverweigerern“ zuschieben kann?
All das zeigt, wie verfahren, ja irrational die ökonomische Debatte gerade ist. Und wie wenig Rückgrat die führenden Sozialdemokraten haben. Denn Heil wie Scholz lassen sich beim Bürgergeld, beim Mindestlohn und bei der Schuldenbremse von den Neoliberalen wie Merz, Weidel und Lindner in die Ecke drängen. Ein Armutszeugnis!
Es ist wirklich traurig, das es momentan keine relevante Partei gibt, die sich für einen sozialverträglichen Weg aus der Krise einsetzt...
Ohne Worte....