Die soziale Frage ist eine ökonomische
Warum die LINKE Wirtschaftspolitik als Gewinnerthema für sich entdecken sollte.
An diesem Wochenende stellt sich die LINKE neu auf. Auf dem Parteitag wird ein neuer Vorstand gewählt. Die Partei steht mit dem Rücken zur Wand. Mit Ach und Krach hat sie es so gerade noch in Fraktionsgröße in den Bundestag geschafft. Zwischenzeitlich lag sie bei Wahlumfragen bei drei Prozent. Mit anderen Worten: Es ist ernst!
Die LINKE ist aber eine Bereicherung für die Demokratie. Sie gibt jenen im Parlament eine Lobby, die sonst keine haben. Deshalb sollt sie überleben. Dem ursprünglichen Anspruch, eine starke Kraft links der SPD zu sein, wird sie allerdings nicht mehr gerecht. Die Wahlergebnisse sprechen für sich. Dabei liegen die Themen auf der Straße. Deutschland ist seit 2020 in der Dauerkrise. Preisschock, Krieg, Gasmangel, Arbeitslosigkeit. Viele Menschen haben Sorgen. Viele bangen um ihre Gesundheit, um ihren Job, um eine warme Wohnung im nächsten Winter und um die Zukunft ihrer Kinder und Liebsten. Warum steht die LINKE also nicht bei 15 Prozent?
Zugegeben: Über die Frage könnte man ein Buch mit 500 Seiten füllen. Offen ausgetragene Streits und diffuse Positionen sind oberflächliche Gründe dafür, dass Wähler ihr Kreuz woanders machen. Wer fast nur mit sich selbst beschäftigt ist und keinen klaren Kurs fährt, der kann Menschen außerhalb der harten Stammwählerschaft nicht überzeugen, erfolgreich für ihre Interessen einzustehen. So weit, so bekannt. Mein Punkt heute ist ein anderer.
Menschen wollen Sicherheit und stabile Verhältnisse. Politik soll genau dafür sorgen, gerade in unsicheren Zeiten wie heute. Sicherheit und Stabilität hat viel damit zu tun, wie die deutsche Wirtschaft läuft. Es geht also häufig um ökonomische Sicherheit. Der riesige Wirtschaftstanker “Deutschland” muss nun mal gesteuert werden. Das aber trauen die Menschen der LINKEN nicht zu.
Sie glauben ihr zwar, dass sie ein sozialeres und ein gerechteres Deutschland will. Aber nicht, dass sie für eine brummende Wirtschaft mit Vollbeschäftigung und guten Aufstiegschancen sorgen kann. Alle sozialen Versprechen verlieren deshalb an Wert und Glaubwürdigkeit - und die LINKE an Überzeugungskraft.
In Auftritten gegen Merz oder Lindner wird das gut deutlich. Der linke Angriffspunkt ist dann meistens ein sozialer, kein ökonomischer. Merz und Lindner werden etwa häufig damit konfrontiert, dass es in Deutschland unsozial zugeht und dass es mehr Sozialstaat bräuchte. So richtig die Forderung ist, so wenig bringt sie Wirtschaftsliberale in Bedrängnis. Denn zum einen können beide leicht sagen, dass sie die Ziele natürlich teilen und sich mit Lippenbekenntnissen mühelos aus der Situation befreien. Zum anderen wechseln beide dann häufig das Spielfeld und bringen ökonomische Argumente. Die Brücke dahin: Ohne brummende Wirtschaft sei mehr Sozialstaat bloßes Wunschdenken. Wie solle das denn finanziert werden? Dafür müsse doch die Wirtschaft brummen. Dann sind weniger Menschen auf den Sozialstaat angewiesen, nur dann sei er finanzierbar.
Genau hier müssten Linke einhaken und auch auf dem ökonomischen Spielfeld angreifen. Sie müssten Merz und Lindners neoliberale Ideen für eine brummende Wirtschaft als untauglich entlarven und bessere Vorschläge machen. Damit kann man beide schlagen. Erst recht, weil die Wirklichkeit das gerade an allen Ecken und Enden bestätigt. Das Bahnchaos, der Gasmangel, die Inflation, die drohende Wirtschaftskrise, die kaputten Straßen, der lahme Wohnungsbau, die schleppende Produktivität, die schlechten Löhne und und und.
Ein Beispiel für die Konfrontation: Lindner spricht sich an jeder möglichen Stelle dafür aus, dass er weniger Schulden und mehr Wachstum will. Zu selten hinterfragen Linke, wie das gehen soll. “Mehr Wachstum und weniger Schulden” klingt erstmal gut. Wachstum wird mit mehr Jobs und mehr Sicherheit verbunden. Klima-Aktivisten haben bei dem Begriff “Wachstum” zwar einen brennenden Planeten vor den Augen, die Mehrheit aber nicht. Malocher sehen neue Stellenausschreibungen und höhere Lohnzettel vor ihrem Auge. Auch Schulden sind privat etwas Schlechtes. Gut also, dass der Finanzminister mehr Wachstum und weniger Schulden will, so die Auffassung beim geneigten Zuschauer. Lindners Argumentation trifft auf intuitive Zustimmung.
Das muss man angreifen. Und zwar, indem man Lindner auf sein eigenes Spielfeld mit eigenem, progressivem Framing zieht. Wie wär’s dann mit so einem Konter:
“Herr Lindner, wenn Sie Schulden abbauen wollen, heißt das: Sie wollen über Steuern mehr Geld aus der Wirtschaft herausziehen, als sie über Staatsausgaben hineingeben. Die Wirtschaft verliert dann also Geld. Erklären Sie doch mal: Wer genau soll das Geld verlieren? Wen wollen sie ärmer machen, Herr Lindner? Und wie soll die Wirtschaft besser laufen, wenn die Leute weniger Geld haben? Wie soll der Bäcker dann mehr Brötchen verkaufen?”
Damit würde Lindner unter Druck gesetzt und müsste seine eigenen Floskeln von Schulden und Wachstum retten. Leider passiert zu oft das Gegenteil.
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie Geld für die Welt, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.