Doch nicht mehr Kindergeld?
Die FDP will die Anhebung des Kindergeldes und den Abbau der kalten Progression nun doch nicht mittragen. Das steckt dahinter
Mehr Kindergeld, weniger Einkommensteuer: Diese und noch mehr Versprechen stecken in dem Gesetz mit dem schrecklichen Namen Steuerfortentwicklungsgesetz. Genau das droht jetzt zu scheitern.
Vor ihrem Aus hatte die Ampel lange über den Entwurf verhandelt. Vor allem weil die Grünen gegen den Abbau der kalten Progression und die FDP gegen fünf Euro mehr Kindergeld waren. Und obwohl es die Ampel heute nicht mehr gibt, haben sich bis zuletzt alle Ex-Koalitionäre dafür ausgesprochen, das Gesetz noch vor dem Jahreswechsel gemeinsam durch den Bundestag zu bringen. Vor zwei Wochen sagte etwa Christian Lindner noch im Handelsblatt-Interview: „Dass es mir nicht schwerfällt, dem von mir selbst als Finanzminister verantworteten Gesetz zur Beseitigung der kalten Progression zuzustimmen, ist klar.“
Lindners 180-Grad-Wende
Jetzt aber gibt es zwei Probleme. Erstens drängt die Zeit, weil es dieses Jahr nur noch eine Sitzungswoche im Bundestag gibt, in der das Gesetz beschlossen werden könnte. Und zweitens hat FDP-Chef Christian Lindner eine 180-Grad-Wende gemacht und will dem Gesetz nun doch nicht mehr zustimmen.
Weil darin Kompromisse enthalten seien, die die FDP nicht mehr mittragen müsse, so Lindner. In dem Gesetz stecke zu viel Bürokratie, sagt er. Eigentlich meint er damit aber: eine Berichtspflicht für Unternehmen und Steuerberater, die künftig inländische Steuersparmodelle unter bestimmten Bedingungen dem Finanzamt anzeigen sollen. Das Ziel der Berichtspflicht: legale Schlupflöcher im Steuersystem finden (nicht die Firmen bestrafen, die sie nutzen). Auch der Steuerberaterverband und einige Arbeitgeberverbände hatten – wenig verwunderlich – gegen die Berichtspflicht gewettert. Natürlich geht es denen ebenso wenig wie der FDP wirklich um die Bürokratie. Das ist nur ein vorgeschobenes Argument. Stattdessen wollen sie schlicht die bestehenden Schlupflöcher verteidigen.
Lindner stellt die wenigen Entlastungen, die es überhaupt gibt, jetzt also auch noch ins Feuer.
Und da jetzt Wahlkampf ist, will Christian Lindner es sich mit der eigenen Klientel (Steuerberater, Vermögensverwalter, Unternehmer) nicht verscherzen. Könnte man meinen. Doch so einfach ist das nicht. Denn im Steuerfortentwicklungsgesetz waren auch Teile aus der Wirtschaftsinitiative: degressive Abschreibungen, Forschungszulagen, einfachere Sammelabschreibungen und vieles mehr. Die sind damit durch die 180-Grad-Wende genauso gefährdet wie die einzige echte Einkommensteuersenkung, die Lindner mit dem Abbau der kalten Progression vorzuweisen gehabt hätte. Lindner stellt die wenigen Entlastungen, die es überhaupt gibt, jetzt also auch noch ins Feuer. Ob das wirklich gut ankommt bei FDP-Wählern? Und ob sich die FDP knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde leisten kann?
Alles Verhandlungstaktik
SPD und Grüne hingegen wirken von der 180-Grad-Wende zwar überrascht, aber zu großen Kompromissen bereit, um doch noch eine Einigung hinzubekommen. Grünen-Finanzpolitikerin Beck sagte etwa gleich: „Über Dinge wie die Anzeigepflichten können wir sprechen.“ Und auch ihr SPD-Kollege Schrodi betonte, gesprächsbereit in derlei Hinsichten zu sein. In dieser Woche wollen die Fachpolitiker von SPD, Grünen und FDP noch mal über das Paket diskutieren.
Schließlich steht in dem Gesetz auch die Anhebung des Kinderzuschlags und des Kindergeldes um fünf Euro pro Monat. Würde die Erhöhung ausfallen, wäre das ein Flop für SPD und Grüne. Außerdem hat sich Olaf Scholz öffentlich für den Abbau der kalten Progression starkgemacht und steht jetzt unter Zugzwang.
Das weiß auch Lindner. Und als geschickter Verhandler nutzt er den Zeitdruck, um SPD und Grünen einen Kuhhandel abzuringen. Mindestens wird er versuchen, die Anzeigepflichten aus dem Entwurf zu verhandeln. Womöglich aber fordert er noch mehr: zum Beispiel die Zustimmung von SPD und Grünen zu seinem noch eigens erstellten Gesetzentwurf zum Altersvorsorgedepot. Die FDP hatte angekündigt, dass noch vor der Wahl durch den Bundestag boxen zu wollen.
Wie schon in den letzten drei Jahren Koalition drohen SPD und Grüne sich am Verhandlungstisch von Lindner vorführen zu lassen, indem sie weniger und Lindner mehr bekommt als ursprünglich vereinbart. Die finale Deadline für das Gesetz ist der 20. Dezember. Das ist der letzte Tag, an dem das Gesetz den Bundestag und den Bundesrat (der ebenfalls zustimmen müsste) passieren könnte. Wenngleich auch das unrealistisch ist, denn die Länder haben längst Widerstand angekündigt. Schließlich würden sie und die Kommunen mehr als die Hälfte der Entlastungen bezahlen müssen. Und Zeit für Gespräche im Vermittlungsausschuss bliebe so knapp vor Weihnachten dann nicht mehr.
Bitter: Schon jetzt ist absehbar, dass die Erhöhung des Kindergeldes, sollte sie doch noch beschlossen werden, zu spät kommen. Die Familienkasse braucht nämlich Zeit, um ihre IT-Systeme rechtzeitig umzustellen und das höhere Kindergeld pünktlich auszahlen können. Die Quittung für das Ampel-Aus und den Verhandlungsstau zahlen also die Familien, die jeden Euro mehr für ihre Kinder dringend gebrauchen können. Mindestens kommt das Geld zu spät, womöglich aber auch gar nicht.
Allerdings würde das Scheitern des Steuerfortentwicklungsgesetzes zum passenden und traurigen Symbol für die gescheiterte „Fortschrittskoalition“ werden.
Ein Grund mehr froh zu sein, wenn die FDP endlich in der Versenkung verschwindet. Eigentlich schade, denn auch liberale (nicht verwechseln mit libertären) Werte und Meinungen sind in einer Demokratie wichtig. Aber als Wähler bin ich nur einmal auf diese Lobby-Partei reingefallen - zum Glück schon lange her.
Sehr, sehr bitter das Ganze! Allerdings sehe ich neben all deinen berechtigten Punkten auch das damit nun fehlende Wiederaufleben der Gemeinnützigkeit von Vereinen. Andererseits besteht die Gefahr, durch den Zeitdruck zu viel "gelbe Tinte" ins Gesetz einzubringen.