Nächster Halt: Schuldenkrise
Den ärmsten Ländern droht die Staatspleite. Auch wegen der aggressiven Zinsstrategie aus Washington!
Es ist eine Krise mit Ansage. Die ärmsten Länder der Welt schlittern in die Pleite. Vielen von ihnen werden US-Dollar fehlen, um Kredite und Staatsanleihen in Dollar zu bedienen. Wie brutal das werden kann, zeigt der Fall Sri Lanka. Dort fehlen Dollar, um Lebenswichtiges zu importieren: Benzin, Medikamente, Gas, Lebensmittel. 60 Prozent Inflation und Hungerkrise sind der Zündstoff für das politische Fiasko in dem Land, das eigentlich als asiatischer Musterschüler des Neoliberalismus galt. Sri Lanka ist so etwas wie das Chile Asiens. Mittlerweile herrscht Chaos. Nach monatelangen Protesten der Bevölkerung wurden zuletzt Regierungsgebäude besetzt und die Residenz des Präsidenten gestürmt. Der ist nach Singapur geflohen. Armut und Hunger grassieren.
Erst Krise, dann Zinsschock
Nach Schätzungen von IWF und Weltbank stehen mehr als die Hälfte der ärmsten Länder vor der Überschuldung. Zum Beispiel Senegal, Ghana oder Kenia. Hinzukommen noch einige Entwicklungsländer wie Argentinien, Tunesien oder Pakistan. Die Gründe sind schnell ausgemacht.
Erstens: die neoliberale Wirtschaftspolitik der Entwicklungsländer. Üblicherweise sind sie auf Importe angewiesen, die sie in Dollar bezahlen. Treibstoff, Gas, Medizin, Getreide, Lebensmittel, Dünger und so weiter. Dollar können sie natürlich nicht selbst erzeugen, das kann nur die USA. Dollar müssen sie sich also verdienen oder leihen, um Importe zu bezahlen. Deshalb ist die Politik stark auf Exporte und Tourismus ausgerichtet. Für Verkäufe an das Ausland gibt es nämlich Dollar. Ebenso, wenn Touristen aus dem Ausland kommen.
Die Strategie ist aber fast immer eine tickende Zeitbombe. Wenn die Länder irgendwann nicht mehr an genug Dollar kommen oder die Zinslast zu groß wird, müssen sie entscheiden: Zinsen oder Importe bezahlen? Das ist dann der Moment, in dem sie vor dem IWF auf die Knie gehen und gegen neoliberale Auflagen neue Kredite oder Zahlungsaufschübe verhandeln.
Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg war für die Länder ein enormes Problem. Corona hat Lieferketten gebrochen und große Handelsplätze lahmgelegt, dadurch stockte das so wichtige Geschäft im Außenhandel. Auch der Tourismus kam zum Erliegen. Beides hat den Dollar-Fluss trockengelegt. Obendrein stiegen die Gesundheitskosten und Arbeitskräfte fielen krankheitsbedingt häufiger aus. Als wäre das nicht schon Problem genug, hat Putins Angriff auf die Ukraine zudem dafür gesorgt, dass die Preise für Energie und Rohstoffe, die international gehandelt werden, Achterbahn fahren. Das Geschäftsmodell der Entwicklungsländer ist unter die Räder gekommen.
Zweitens: die neue Zinspolitik aus Washington. Die amerikanische Zentralbank, die FED, macht den Dollar gerade teuer, indem sie die Zinsen anhebt. Jüngst wieder um 0,75 Prozentpunkte auf jetzt über zwei Prozent. Damit versucht sie die Inflation zu bekämpfen. Zu den Kollateralschäden gehören neben den Arbeitslosen in den USA auch die höheren Zinskosten für arme Länder. Auch sie müssen dann für neue Schulden, die sie aufnehmen, höhere Zinsen zahlen. Und teilweise auch auf bestehende Schulden. Wie die Grafik unterhalb zeigt, hat der Anteil der Kredite mit variablem Zins über die letzten 15 Jahre drastisch zugenommen, vor allem mit Beginn der Niedrigzinspolitik. Das war günstig, solange Inflation und Zinsen in den USA niedrig waren. Doch heute geht die Wette nicht mehr auf. Das Ergebnis: Rund ein Drittel der Kredite ist schlagartig teurer geworden.
Obendrauf kommt die Abwertung. Dollar und US-Staatsanleihen gelten weltweit als risikolose Anlage, als Anker des Finanzmarktes. In unsicheren Zeiten gehen Anleger deshalb raus aus dem Risiko, raus aus Anleihen armer Länder, rein in den Dollar, rein in US-Anleihen. Erst recht, wenn es dafür jetzt auch wieder Zinsen gibt. Der Dollar hat daher gegen fast alle anderen Währungen der Welt massiv an Wert gewonnen - außer gegen den russischen Rubel und den brasilianischen Real.
Willkommen in der Todesspirale
Die Abwertung macht die lebenswichtigen Importe in Dollar gerechnet teurer und dadurch für arme Länder unerschwinglich. Weil das die Inflation befeuert und das Geschäftsmodell ins Wanken bringt, stufen Ratingagenturen die Anleihen dieser Länder als riskanter ein, was noch mehr Anleger verschreckt und die Risikoaufschläge ihrer Anleihen steigen lässt. Willkommen in der Todesspirale, die alte und neue Schulden für arme Länder immer teurer macht. Für Ghana etwa haben sich die Zinsen für dreimonatige Anleihen seit März verdoppelt.
Je mehr Dollar für Zinsen draufgehen, desto weniger Dollar bleiben für andere Ausgaben. Im Gegensatz zur eigenen Währung ist Fremdwährung nämlich immer knapp. Der Blick auf die Zins-Steuer-Quote der ärmsten Länder ist schockierend. Sri Lankas zahlt derzeit mehr für Zinsen, als es an Steuern einnimmt. In Ghana und Ägypten sind die Zinsausgaben immerhin halb so hoch wie die Steuereinnahmen. Hohe Zinsen in Fremdwährung schneiden den Ländern die Luft zum Atmen ab. Zum Vergleich: In Deutschland belief sich die Quote 2021 auf historisch niedrige 2,0 Prozent.
Was Sri Lanka gerade erlebt, könnte dann auch in anderen Ländern folgen. Solange die Länder klein sind, ist die Ansteckungsgefahr einer Staatspleite nicht groß. Es droht nicht gleich also eine globale Finanzkrise. Trotzdem ist es eine weitere Krise neben all den anderen. Und je aggressiver die FED ihre Zinsen anhebt und je länger die Weltwirtschaft durch Pandemie und Krieg gebeutelt bleibt, desto schlimmer wird es, desto mehr Entwicklungsländer kommen ins Straucheln.
Deutschland sollte sich international für Schuldenerlasse und Zinsstreckungen einsetzen - und ohnehin mit mehr Geld eine progressivere Entwicklungspolitik betreiben. Der IWF und die Ökonomenzunft hingegen müssen sich endlich eingestehen, dass die exportorientierte Entwicklungsstrategie gescheitert ist. Die neue Schuldenkrise ist ein weiterer Beweis. Einer, der schmerzt und den es so eigentlich nicht mehr gebraucht hätte. Übrigens: Ob die FED mit ihrer aggressiven Zinserhöhung die Inflation in den Griff bekommt, darf auch bezweifelt werden.
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Wie sieht das „Dollar verdienen“ technisch aus? Ist es nicht in der Regel so, dass zum Beispiel ein US-Tourist für den Urlaub Dollar gegen die Währung des Entwicklungslandes tauscht und damit diese (aggregiert auf viele) aufwertet aber nicht direkt Dollar liefert? Oder wird gerade in vielen Entwicklungsländern durch Währungsinstabilität tatsächlich nur/überwiegend in Dollar gezahlt (Ankerwährung)?
Hi Maurice, im ersten Absatz ist ein kleiner Schreibfehler: Das vorletzte Wort sollte sicherlich "Hunger" statt "Hunter" heisen. =)
LG
Philipp