Eigentor: Darum sollten Linke schwarze Null und Schuldenbremse unterscheiden können
Das eine ist Marketing, das andere Gesetz: dazwischen liegen aber 86 Milliarden Euro. Wer Lindner in Talkshows stellen will, muss den Unterschied kennen.
Passiert regelmäßig, sollte aber nicht passieren: Linke verwechseln die »schwarze Null« mit der Schuldenbremse, halten beides gar für Synonyme. Nein, auf den Unterschied zu pochen, ist keine pedantische Klugscheißerei, sondern strategische Notwendigkeit. Es reicht eine Zahl, um das zu belegen: Dieses Jahr liegen zwischen schwarzer Null und Schuldenbremse immerhin ganze 86 Milliarden Euro. Beides miteinander zu verwechseln, ist wie über Körpertemperatur mal in Celsius und mal in Fahrenheit zu sprechen. Es ist schlicht leichtsinnig unpräzise.
Wenn Linke in Sachen Wirtschaftskompetenz öffentlich nicht weiter als Problemschüler gelten wollen, wenn sie Debatten nicht nur mit Gratisapplaus in der eigenen Instagramblase, sondern auch vor Publikum gegen Christian Lindner und Friedrich Merz gewinnen wollen, ist Präzision das höchste Gut.
Blicken wir also auf die Unterschiede.
Das Gesetz: die Schuldenbremse
Die Schuldenbremse steht in der Verfassung, in Artikel 109. Im Sommer 2009 wurde sie mit Zweidrittelmehrheit und Bundesratszustimmung in ihrer heutigen Form eingeführt. Auch vorher gab es eine Schuldenregel, die war allerdings nicht so streng wie die Schuldenbremse.
Ein generelles Schuldenverbot ist die Schuldenbremse aber nicht. Der Bund darf 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung mehr ausgeben, als er einnimmt. Und sogar noch etwas mehr, wenn die Wirtschaft schlecht läuft – Stichwort: Konjunkturkomponente (was das ist, habe ich hier erklärt). Bei Krieg, Pandemie und andere Krisen darf die Schuldenbremse sogar ausgesetzt werden, wie wir 2020 bis 2022 am eigenen Schicksal gelernt haben.
Außerdem hat die Schuldenbremse einige Ausnahmen. Geld, das für Beteiligungen ausgegeben wird, fällt nicht unter die 0,35 Prozent. Wenn die Ampel für die Rente in Aktien investiert, das Eigenkapital bei der Bahn aufstockt oder den Gasimporteur Uniper übernimmt, fällt das alles nicht unter die Schuldenbremse, muss dafür nicht woanders gespart werden. Genauso wie Sondervermögen, die ins Grundgesetz geschrieben werden, etwa die 100 Milliarden für die Bundeswehr.
Der Haushalt für 2024 sieht deshalb rund 17 Milliarden Euro neue Schulden im Kernhaushalt und 69 Milliarden neue Schulden aus Sondervermögen vor, in Summe ganze 86 Milliarden. 86 Milliarden mehr, als mit der schwarzen Null möglich wären.
Linke, die der Ampel oder Finanzminister Lindner also vorwerfen, der schwarzen Null anzuhängen, machen sich lächerlich. Faktisch ist das einfach falsch.
Der Fetisch: Die schwarze Null
Die schwarze Null gibt es noch nicht so lange wie die Schuldenbremse. Und sie ist auch kein Gesetz. Zur Welt gebracht hat sie im Jahr 2014 das CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble, seinerzeit Finanzminister. In dem Jahr hat der Bund das erste Mal nach 45 Jahren weniger ausgegeben als eingenommen, im Buchhalterjargon: schwarze Zahlen geschrieben. Genau das meint die schwarze Null, gar keine neuen Schulden. Egal wie die Konjunktur läuft oder ob gerade Krieg in Europa tobt. No matter what!
Wenn man es genau nimmt, war die schwarze Null damals eine Frühgeburt. Im Haushaltsplan 2014 standen noch 6,5 Milliarden neue Schulden. Weil die Wirtschaft aber besser lief, mehr Steuern reinkamen und die Zentralbank die Zinsen gesenkt hat, kam die schwarze Null doch schon 2014 zur Welt. Und blieb bis zur Pandemie 2020 und ist ihr gar erlegen.
Der heutige Kanzler und Finanzministernachfolge Olaf Scholz hatte die schwarze Null weitergeführt, bis es nicht mehr anders ging, weil die Pandemiebekämpfung Geld erforderte. Er hütete das Erbe von Wolfgang Schäuble, solange er konnte. Der Grund: Scholz wollte den Konservativen zeigen, dass auch Sozialdemokraten mit Geld umgehen können. (Aus mehreren Gründe eine dumme Idee, wie ich im Buch »GENUG!« erklärt habe.)
Die CDU hatte einen ausgeglichenen Haushalt nämlich längst zur moralischen Frage umdefiniert. So konnte Schäuble von hohem Ross auf die »Schulden-Griechen« einprügeln, denen die sparsamen Deutschen ihr Geld liehen. Und so konnten Konservative sich daran festhalten in einer Welt, in der immer mehr ins Schwimmen geriet.
Von der Moral ist dann auch nicht weit bis zur Religion und der eigenartigen Überhöhung von Symbolen. Wozu das führt, zeigt das Bild, das die Parteizentrale der CDU vor einigen Jahren postete: Abgebildet war eine schwarze Null mit Mütze, daneben der Text »Wir stehen zu unserem Fetisch«.
Wie wichtig das Symbol war, zeigt auch das hier: Als Schäubles Amtszeit als Finanzminister ablief, verabschiedeten ihn seine Kollegen 2017 mit diesem Foto. In schwarz gekleidet und auf dem Hof als große Null formiert, ließen sie sich für den schwäbischen Sparkommissar Schäuble ablichten. Völlig klar: Die schwarze Null, das war fortan das Symbol für Schäubles Finanzpolitik, das Symbol für konservative Spartugend und haushalterische Disziplin.
Lindner greift die schwarze Null selber an
Die Unterschiede zwischen Fetisch und Gesetz sind groß. Linke, die der Ampel oder Finanzminister Lindner also vorwerfen, der schwarzen Null anzuhängen, machen sich lächerlich. Faktisch ist das einfach falsch. Und da Linken ohnehin das Klischee anhaftet, sich mit Wirtschaft und Finanzen nicht auszukennen, ist das nun wirklich ein einfach vermeidbarer Fehler.
Außerdem: Spätestens seit 2020 ist Lindner zum Gegner der schwarzen Null geworden. Damals, zum Pandemiebeginn, forderte er Finanzhilfen und Konjunkturprogramme. »Jetzt darf die Schwarze Null kein Dogma sein«, so Lindner gegen die Groko gerichtet.
Im einem Interview in diesem Jahr sagte er folgendes, angesprochen auf eine Rückkehr zur schwarzen Null: »In der Sache bin ich ein Verfechter der Schuldenbremse, die im Verlauf der Konjunktur auch begrenzte Kreditaufnahme erlaubt. Die Schwarze Null hingegen hat einen symbolischen Wert, die Schuldenbremse des Grundgesetzes ist aber intelligenter.«.
Letzte Woche im Bundeshaushalt wurde er sogar noch deutlicher. Er griff die CDU für die schwarze Null an. Dafür, dass dem Fetisch erforderliche Investitionen geopfert wurden. Dafür, dass die Ampel einen riesigen Investitionsstau in der öffentlichen Infrastruktur vererbt bekommen hat. Das Zitat aus der Rede:
»Übrigens wurde die Schuldenbremse im vergangenen Jahrzehnt übererfüllt. Im vergangenen Jahrzehnt hatten wir ja eine Politik der schwarzen Null. Das war also mehr als nur die Schuldenbremse. Und gleichzeitig gab es, obwohl es die Reserven gab, sodass Sie noch nicht einmal die Verschuldung der Schuldenbremse ausnutzen mussten, eine so niedrige Investitionsquote. Sie haben nämlich während Ihrer Verantwortungszeit insbesondere Sozialausgaben ausgedehnt, aber haben nicht investiert, weshalb wir die Defizite in der öffentlichen Infrastruktur von Ihnen geerbt haben.«
- Christian Lindner, Haushaltsrede vom 5.09.2023
Mir fällt es schwer, und ich habe das noch nicht oft machen müssen, aber: Lindner hat Recht. Logischerweise gilt der Angriff aber eigentlich nicht nur der CDU, sondern auch der SPD – und auch Kanzler Scholz. Die haben sich in der Groko ab 2017 ja auch an die schwarze Null geklammert und die vorhandenen Spielräume der Schuldenbremse nicht ausgenutzt.
Ganz nüchtern muss man also sagen: Lindner ist der pragmatischste Finanzminister seit Geburt der Schuldenbremse. Niemand hat sie schwerer umgangen oder stärker ausgereizt. Schon gar nicht Olaf Scholz. Wer Lindner mit der schwarzen Null stellen will, entlarvt und überlistet sich nur selbst.
Spätestens der Angriff von Lindner auf die CDU sollte der Beweis dafür sein, dass der Unterschied zwischen schwarzer Null und Schuldenbremse für die politische Auseinandersetzung wichtig ist – und ein Lehrstück für Linke sein, die gedanklich noch in 2014 hängen.
2023 sollten sich Linke auf die Frage konzentrieren, wie trotz (!) Schuldenbremse investiert werden kann. Wie das gehen kann, habe ich in diesem Artikel mal ausgeführt.
Ungenaues Wording in politischen Diskursen ist leider immer wieder gefundenes Fressen für Lindner und Co. 🙄