Bazooka oder Mogelpaket?
Die Ampel bringt das dritte Entlastungspaket auf den Weg. Was taugt es?
Eine wochenlange Hängepartie gipfelte in Verhandlungen bis tief in den Morgen. Seit Samstagvormittag steckte der Koalitionsausschuss die Köpfe zusammen, um das dritte Entlastungspaket auf den Weg zu bringen. Neben Kanzler Scholz hatten die Minister Habeck, Lindner, Wissing, Heil und Baerbock an den Verhandlungen teilgenommen. Ebenso die Spitzen der drei Bundestagsfraktionen und Parteien.
Die Sonne war schon wieder aufgegangen, als die Verhandler das Kanzleramt verließen, um ein paar Stunden Schlaf zu sammeln. Die Sitzung zog sich wie ein Kaugummi. Die Fronten waren nämlich verhärtet. Über Wochen hinweg forderten die Parteien vor laufenden Kameras jeweils etwas, was die anderen strikt ablehnten. Die Parteispitzen von SPD und Grüne forderten zum Beispiel eine Übergewinnsteuer, Lindner war strikt dagegen. Die FDP wiederum wollte unbedingt die sogenannte kalte Progression dämpfen, daran störten sich aber vor allem die Grünen. Eine Herausforderung für den Koalitionsfrieden in der Ampel. Die Fronten waren aber auch verhärtet, weil im Koalitionsvertrag verabredet war, an der Schuldenbremse festzuhalten und keine Steuern zu erhöhen. Die Wirklichkeit des Krieges in der Ukraine und die Unwuchten der Inflation stellen beides infrage. Das dritte Entlastungspaket hat nur eine der beiden Haltelinien überlebt: Die Schuldenbremse. Zumindest vorläufig.
Löschzüge und Luftnummern
Müde und geschafft sehen die Gesichter von Scholz, Nouripour, Esken und Lindner aus, als sie zur Pressekonferenz Platz nehmen. Mitgebracht haben sie ein 65 Milliarden schweres Entlastungspaket. Ein Lächeln kommt nur Christian Lindner über die Lippen. Hat er wieder einen Sieg eingefahren? Hat sich der kleinste Koalitionspartner mal wieder durchgesetzt? So sieht es aus, wenn man sich etwas durch das Dickicht des neue Entlastungspakets gekämpft hat. Was nicht einfach ist! Denn die schiere Anzahl an Maßnahmen ist wieder so groß, dass sich damit zwar gut Polit-PR machen lässt, aber niemand außerhalb der Berliner Politikblase einen Durchblick hat. Schon gar nicht die, die die Entlastungen bekommen.
Lindners Vorschlag zur Dämpfung der kalten Progression, das sogenannte Inflationsausgleichsgesetz, hat überlebt. Ebenso die Fortführung der gesenkten Mehrwertsteuer für die Gastronomie. Eine echte Übergewinnsteuer ist hingegen abgewendet. Alle Energiekonzerne dürfen ihre fetten Gewinne behalten. Lediglich am Strommarkt will die Ampel eingreifen und eine Erlösobergrenze einführen. Alle Erlöse über der Grenze sollen abgeschöpft werden. Nicht rückwirkend allerdings, nur für die Zukunft. Wo die Grenze liegen soll? Ab wann sie gelten soll? Dafür haben die 22 Stunden Verhandlung nicht gereicht. Die Einnahmen sollen für eine Strompreisbremse genutzt werden, indem ein vergünstigter Basisverbrauch ermöglicht wird. Ab wann und welchem Preis die Bremse greift? Auch das bleibt offen. Die Idee einer umgekehrten EEG-Umlage, also eine Abgabe der Stromerzeuger für die Verbraucher, ist gut. Wie viel sie hilft, steht aber in den Sternen. An einen Deckel für den Basisverbrauch beim Gas hat sich die Ampel nicht herangetraut. Dafür soll lediglich eine Expertenkommission gegründet werden. Wie heißt es so schön? Wenn man mal nicht weiter weiß, gründet man einen … Arbeitskreis.
Rentner und Studenten wurden beim zweiten Entlastungspaket noch vergessen, werden jetzt aber mitbedacht. Zum 1. Dezember fließen 300 Euro Energiepreispauschale an Rentner, 200 Euro an Studenten. Warum die 100 Euro Unterschied? Warum nicht für alle, auch Berufstätige, nochmal mehr? Das Gute an der Pauschale: Sie wird brutto ausgezahlt und muss besteuert werden. Dadurch können Kassiere stärker entlastet werden als Manager. Der Nachteil: Die 300 Euro sind mittlerweile längst zu knapp bemessen. Wenn man die Energiepauschale für Berufstätige, Rentner und Studis einmal etabliert hat, wieso dann nicht einfach die Pauschale anheben? Damit hätte man sich vielleicht eine halbes Dutzend andere kleine Maßnahmen sparen können. Durchblick statt Wirrwarr.
Zuschüsse gibt es außerdem für Wohngeldempfänger. Bisher ist das nur ein Personenkreis von rund 700.000. Durch eine Reform soll der auf 2 Millionen Empfänger ausgeweitet werden. Der Zuschuss beträgt einmalig 415 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt, 540 Euro für zwei Personen und für jede weitere Person zusätzliche 100 Euro. Eine sinnvolle Maßnahme, auch wenn der Personenkreis vermutlich immer noch zu klein sein wird. Ebenso sinnvoll: Das Kindergeld wird um 18 Euro erhöht.
Die Ampel hatte sich schon in den Koalitionsvertrag geschrieben, aus Hartz IV das Bürgergeld zu machen. Offen blieb bisher, ob nur das Etikett gewechselt wird oder auch die Regelsätze steigen. Neben einigen Reförmchen (mehr ist es nicht), steht die Regelsatzerhöhung jetzt auch im Entlastungspaket. Ab dem 1. Januar 2023 soll das Bürgergeld 500 Euro betragen. Heißt: 51 Euro mehr. Es gibt aber einen Haken! Denn die 51 Euro entsprechen gerade einmal dem Inflationsausgleich. Die reale Kaufkraft des Bürgergelds steigt also nicht. Und die war vorher schon zu niedrig, um im reichen Deutschland auch mit Hartz IV einen Alltag in Würde zu bestreiten. Eine sozialpolitische Niete, der SPD und Grüne hier zugestimmt haben.
So eine Niete findet sich auch beim Nachfolger des 9-Euro-Tickets.
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