Geld für die Welt

Geld für die Welt

Share this post

Geld für die Welt
Geld für die Welt
„Es ist gefährlich, diesen Weg zu gehen“
Link kopieren
Facebook
Email
Notes
Mehr

„Es ist gefährlich, diesen Weg zu gehen“

Ökonom Patrick Kaczmarczyk hält die Zinserhöhung der EZB für falsch und gefährlich. Im Interview erklärt er wieso.

Avatar von Maurice Höfgen
Maurice Höfgen
Juni 15, 2022
∙ Bezahlt
14

Share this post

Geld für die Welt
Geld für die Welt
„Es ist gefährlich, diesen Weg zu gehen“
Link kopieren
Facebook
Email
Notes
Mehr
Teilen

Patrick Kaczmarczyk, 31, promovierte in Großbritannien, forschte bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) und arbeitet heute im SPD-Wirtschaftsforum in Berlin. Im Februar veröffentlichte er sein Buch „Kampf der Nationen“ im Westend-Verlag. Im Interview mit mir verrät er, wieso er die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisch sieht und welche gefährlichen Nebenwirkungen drohen.

Patrick, eine Frage vorneweg: Was steht bei dir auf dem Plan, woran arbeitest du gerade?

Ich habe vor Kurzem mit den Arbeiten zu meinem zweiten Buch angefangen, da möchte ich aber noch nicht allzu viel verraten.

Oh, ich bin gespannt!

Darfst du gerne sein. Ansonsten bin ich in Kooperation mit meinen Kollegen bei der UNCTAD in Vorbereitungen auf einen Workshop mit Ökonomen und Politikern aus dem globalen Süden, denen wir Anfang Juli die Ergebnisse zur Finanzmarktstabilität präsentieren werden. Und zuletzt kommen in den nächsten Wochen noch einige größere Veranstaltungen beim SPD-Wirtschaftsforum auf uns zu. Ja, momentan bin ich gut ausgelastet.

Bei all dem verfolgst du ja auch die Geldpolitik. Jetzt hat die EZB angekündigt, den Zins bald um 0,25 Prozentpunkte zu erhöhen, um die Inflation zu dämpfen. Für September wurde schon gleich eine weitere, vielleicht auch stärkere Zinserhöhung angekündigt. Eine gute Idee?

Nein. Besonders der Ausblick für September macht mir Angst. Weite Teile der Wirtschaft liegen am Boden, die Konsumlaune ist gedämpft, die Einzelhandelsumsätze sind um 5 Prozent eingebrochen, gleichzeitig ist der Investitionsbedarf riesig. Die Inflation kommt hauptsächlich von explodierenden Energiepreisen und kaputten Lieferketten - nicht von brummender Nachfrage. Weder das Problem hoher Energiepreise noch das der kaputten Lieferketten wird man mit einer Zinserhöhung lösen können. Der einzige Kanal, über den die Zinserhöhung die Inflation senken kann, ist eine Vollbremsung der Wirtschaft. Bei der Flaute, die wir in Europa jedoch in den letzten 10 Jahren hatten – und die die rechtsradikalen politischen Kräfte gestärkt hat, – ist es geradezu irrsinnig und gefährlich, diesen Weg zu gehen.


Unterhalb gibt es eine exklusive Leseprobe aus Patricks Buch “Kampf der Nationen”.

Geld für die Welt
Falscher Wettbewerb
Es gibt einen Mechanismus, der in der deutschen Debattenkultur wenig Beachtung findet, der allerdings eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Marktanteile und Ungleichgewichte in Europa spielte: die Finanzialisierung. Grob versteht man darunter einen wachsenden Einfluss der Finanzmärkte auf die Realwirtschaft. Bei den deutschen Automobilkonzernen, die wir uns hier als Beispiel hier genauer ansehen können, beobachten wir, dass die Finanzierungssparten sowohl auf den Bilanzen als auch im Hinblick auf die Kostenstrukturen einen größeren Fußabdruck hinterlassen, als es bei der europäischen Konkurrenz der Fall ist – beispielsweise bei den Franzosen. Zum Teil übersteigen die Vermögenswerte in den Finanzabteilungen die Vermögenswerte in der Automobilsparte um das Doppelte. Für den Betrieb der Finanzdienstleistungen geben Daimler und Co. zudem teilweise 3-4-mal so viel Geld aus wie sie in Forschung und Entwicklung stecken. Sieht so Innovation aus…
Read more
3 years ago · 12 likes · Maurice Höfgen

Zudem könnt ihr hier Patrick auf Twitter folgen.


Wieso macht die EZB das trotzdem? Wird sie schlecht beraten?

Die EZB hat dem politischen Druck nachgegeben. Bei so hohen Inflationsraten muss die Zentralbank „irgendetwas“ tun, und dann tut sie eben „irgendetwas“. Ob es sinnvoll oder zielführend ist, darüber wird doch überhaupt nicht gesprochen. Vor allem in Deutschland wurde und wird eine Stimmung gemacht, gegen die sich die EZB scheinbar nicht mehr wehren konnte. Man sieht mal wieder, wie wenig das Gefasel von der Unabhängigkeit der Zentralbank in der Praxis eigentlich wert ist. Hierzulande gilt es neben der Schuldenbremse als das heiligste aller Gesetze – und gleichzeitig wird in keinem anderen Land der Welt ein solcher politischer Druck ausgeübt wie hier. Wenn die Entscheidung allein auf Basis harter Wirtschaftsdaten getroffen worden wäre, etwa der schwachen Lohnentwicklung oder den schlechten Wachstumszahlen, wäre sie gewiss anders ausgefallen.

In Italien sind die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen nach dem EZB-Entscheid nach oben gesprungen. Im April hat die EZB schon angekündigt, weniger Anleihen zu kaufen und die Zinswende in Aussicht gestellt. Seitdem hat sich die Zinsdifferenz zu Deutschland verdoppelt. Wie kommt das?

Spekulanten wetten darauf, dass die italienische Wirtschaft in Schwierigkeiten geraten wird, wenn die EZB ihre Unterstützung durch Anleihekäufe herunterfährt. Das heißt, sie werfen die Anleihen auf den Markt bzw. kaufen Derivateprodukte, mit denen sie auf einen weiteren Preisverfall italienischer Anleihen wetten. Solche Spekulationen verstärken den Druck, dem die Zentralbank eigentlich entgegentreten müsste. Aus politischen Gründen kann sie das aber nicht so entschieden tun, wie es eigentlich nötig wäre.

Ist das ein Problem für Italien?

Ja, denn steigende Renditen auf Staatsanleihen sind für die gesamte Wirtschaft eine hohe Belastung. Auf der einen Seite wird es schwieriger, in der Öffentlichkeit staatliche Ausgaben zu rechtfertigen, weil die Zinslast steigt. Dabei gibt es riesige Investitionsbedarf, wie gesagt. Auf der anderen Seite steigen die Refinanzierungskosten der Unternehmen, da die Staatsanleihen im gesamten Kapitalmarkt die Benchmark bilden, gegen die alle anderen Schuldtitel bepreist werden. Steigen in Italien die Refinanzierungskosten stärker als in Deutschland, dann haben in dem Fall die italienischen Firmen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber der deutschen Konkurrenz. Und zwar einen, für die Firmen selbst gar nichts können. Dadurch gerät die italienische Wirtschaft in einen Teufelskreis. Denn schwächere wirtschaftliche Performance wird wiederum mit höheren Risikoaufschlägen bedacht, die dann wiederum zu höheren Refinanzierungskosten führen und so weiter.

Lagarde hat bei ihrer ersten Pressekonferenz als Präsidentin der EZB gesagt, es sei nicht ihre Aufgabe, die Zinsunterschiede in Schach zu halten. Was hältst du davon?

Sie ist ja glücklicherweise am Folgetag zurückgerudert, als auf ihre Aussage hin die Zinsunterschiede am gleich wieder auseinandergingen. Vielleicht hat ihr jemand nach diesem Fauxpas erklärt, wie eine Währungsunion funktioniert und für welche Bedingungen die EZB zu sorgen hat. Die Abschaffung von Wechselkursen bedingt nämlich, dass es die Länder ihre Lohnentwicklung koordinieren müssen, damit jedes Land die Zielinflationsrate von zwei Prozent erreicht. Wenn die Länder nämlich unterschiedliche Inflationsraten haben, verändert sich die Wettbewerbsfähigkeit, es kommt zu interner Auf- bzw. Abwertung.

Das hat bisher nicht geklappt. Vor allem Deutschland hat das mit der Agenda 2010 torpediert. Gegen schlechte Lohnpolitik ist die EZB aber machtlos, oder?

Ja, in der Hinsicht kann die EZB nichts ausrichten. Wo sie allerdings was machen kann: sie kann zumindest bei den Kapitalkosten für dieselben Startbedingungen sorgen. Insbesondere für kapitalintensive Industrien ist es wichtig, dass sich die Risikoaufschläge auf Unternehmensanleihen allein daraus ergeben, wie erfolgreich ein Unternehmen ist – und gerade nicht daraus, ob das Unternehmen seinen Sitz in Italien, Frankreich oder Deutschland hat. Deshalb sollte es eigentlich eine der wichtigsten Aufgaben der EZB sein, die Zinsunterschiede zwischen den Ländern in Schach zu halten. Im Fachjargon würde man sagen: „die Spreads zu schließen“. Denn sonst haben wir einen Wettbewerb in Europa, bei dem deutsche Unternehmen von der 70-Meter Linie starten dürfen und italienische mit einer Bleiweste bei null loslaufen. So können Marktwirtschaft und Wettbewerb in einer Währungsunion nicht funktionieren.

Ein passendes Bild. In deinem Buch „Kampf der Nationen“ spielt Lohnpolitik eine wichtige Rolle. Deutschland hat, wie eben erwähnt, jahrelang die Löhne niedrig gehalten, um Exportweltmeister zu werden. Ist bei acht Prozent Inflation der richtige Moment für Gewerkschaften, fette Lohnzuwächse zu verhandeln?

Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen

Abonnieren Sie Geld für die Welt, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.

Already a paid subscriber? Anmelden
© 2025 Maurice Höfgen
Datenschutz ∙ Bedingungen ∙ Hinweis zur Erfassung
Schreiben Sie die ersten WorteApp herunterladen
Substack ist der Ort, an dem großartige Kultur ein Zuhause findet.

Teilen

Link kopieren
Facebook
Email
Notes
Mehr