MMT schuld an der Inflation?
Die WirtschaftsWoche attackiert die MMT und spannt Lindners Chefökonomen, Lars Feld, dafür als Kronzeuge ein. Eine Replik auf peinlichen Journalismus.
“Die Illusion ist geplatzt”, titelt die WirtschaftsWoche. Ein Zitat von Lars Feld, der in einer schamlos billigen Kritik an der MMT als Kronzeuge der Autoren angeführt wird. Feld - früher zehn Jahre lang Wirtschaftsweiser, heute Chefberater von Bundesfinanzminister Lindner - ist einer der prominentesten Vertreter des Ordoliberalismus. Er gibt sich gern als akademischer Technokrat, ist aber mindestens in gleichem Maße Meinungsmacher und Populist. Dafür lässt er sich zum Beispiel vor der Karren der Initiative neue soziale Marktwirtschaft spannen und sitzt in diversen ordoliberalen Thinktanks. Der berühmteste davon ist die Mont Pelerin Society, der neoliberale Thinktank schlechthin. Feld geht es um Deutungshoheit, nicht um Erkenntnisgewinn. Er nutzt die VWL, um Politik zu machen, gibt das aber nicht zu. Eine Anekdote, die seine politische Ausrichtung auf den Punkt bringt: Seine Familie hat ihn in jungen Jahren aus Familientradition in die SPD geführt, dort ist er Anfang der 2000er aber ausgetreten, weil ihm Schröders Agenda 2010 samt Deregulierung und Hartz-Reformen nicht weit genug ging. Die größte Axt gegen den Sozialstaat war Feld noch nicht groß genug. Das ordoliberale Dogma, wonach Geld knapp, Schulden böse und der Staat per se ineffizient seien, instrumentalisiert er für seine politischen Ziele. Er selbst ist kein Politiker, berät lieber in Hinterzimmern und setzt Pflöcke im öffentlichen Diskurs. Die MMT, die all die ordoliberalen Prämissen als Mythen entlarvt, ist ihm natürlich ein Dorn im Auge. Natürlich kommt es ihm gelegen, die MMT mit billigen Artikel in der WirtschaftsWoche zu bekämpfen. Aber: Der Reihe nach!
Das T in MMT steht für…?
Die Autoren starten gleich scharf rein und bauen den ersten Strohmann.
“Die politische Linke hat die Modern Monetary Theory (MMT) als neue ökonomische Heilslehre gefeiert. Nun zeigt die Stagflation: Die alternative Geld- und Fiskalpolitik ist Esoterik – und würde die Inflation noch befeuern.”
Von Linke bis SPD ist die MMT längst noch nicht Konsens. Sonst würde nicht in jedem zweiten Satz von “Steuergeldern” gesprochen. Die Beobachtung ist falsch, trifft auch nicht für andere Länder zu. Außerdem ist MMT eine ökonomische Denkschule, eine Theorie - und keine Politik, kein Reformpaket. Sonst stünde im Namen ja ein “P” für “Policy” und kein “T” für “Theory”. Als Theorie ist MMT weder links noch rechts. Richtig ist allerdings: Mehr Zuspruch kommt von links als von rechts. Kein Wunder, fiele Liberalen und Konservativen doch die ökonomische Legitimation von Schuldenbremse, Sparpolitik und Privatisierung doch schwerer, wenn die Prämissen “Geld ist knapp” und “Schulden sind böse” nicht mehr gälten. Nicht einen Halbsatz liefern die Autoren, um zu begründen, wieso denn die MMT “die Inflation noch befeuern” würde.
“Es ist eine unangenehme Situation, in der sich Kelton und ihre Mitstreiter gerade befinden. In den USA geben zahlreiche politische Beobachter und Volkswirte der Ökonomin und den Vertretern ihrer Denkschule eine Mitschuld an der anhaltend hohen Inflation. Das Argument: Es seien nicht zuletzt die MMT-Vertreter gewesen, die den Staat – vor allem Joe Bidens mit MMT sympathisierende Demokraten – während der Coronapandemie zu Rekordausgaben getrieben hätten. Eine Folge der schuldenfinanzierten Konjunkturprogramme sei nun die höchste Teuerungsrate seit den frühen Achtzigerjahren.”
Der Vorwurf hat so viele Prämissen und Scheinargumente, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Die Autoren machen das billigste aller Autoritätsargumente und stellen sich mit dem Verweis auf “zahlreiche politische Beobachter und Volkswirte” hinter eine anonyme Masse, die suggerieren soll, der Vorwurf, MMT sei an der Inflation Schuld, sei gerechtfertigt. Die einzige MMT-Ökonomin, die ein wirklich etwas nennenswerten politischen Einfluss hat, ist Stephanie Kelton. Im Vergleich zu Mainstream-Ökonomen allerdings immer noch wenig. Und gewiss nicht direkt auf Präsident Joe Biden oder seine Finanzministerin Janet Yellen. In Bidens engstem Beratergremium sitzen Cecilia Rouse, Heather Boushey, und Jared Bernstein. Keiner davon vertritt die MMT. Bernstein teilt zwar den Minimalkonsens, dass Ausgaben die Wirtschaft ankurbeln, aber dafür reicht auch schon Keynes auf Schulniveau. Er selbst hat schon kritische Artikel über die MMT auf seinem Blog geschrieben. Dass die MMT also “den Staat” oder “die Regierung” zu Rekordausgaben “getrieben” hätte, ist eine ungestützte Behauptung, die sich schnell als fast verschwörerisches Märchen entpuppt.
Ebenso wie es ein Märchen ist, dass die Inflation allein von schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen käme. Denn auch in den USA sind hohe Energiepreise der maßgebliche Treiber. Auch die USA hat der Angebotsschock durch Putins Krieg und das Chaos auf den Energiemärkten erwischt. Hätte Biden die Wirtschaft mit Konjunkturprogrammen überhitzt, sähe die Grafik unterhalb anders aus.
Übrigens: Biden will ähnlich wie Christian Linder die Inflation mit staatlicher Sparpolitik bekämpfen. Aus MMT-Sicht die falsche Strategie gegen den Angebotsschock. Findet auch Stephanie Kelton, die Biden dafür öffentlich kritisiert. So viel zur Verschwörung, MMTler säßen in Bidens Ohr.
Schulden und Defizite sind den Autoren ein Dorn im Auge. Um die Schuldenquote der USA zu dramatisieren, wählen sie aber einen schlechten Vergleich.
“Die US-Schuldenquote sehen Experten 2022 bei mehr als 125 Prozent liegen: italienische Verhältnisse in den USA.”
Die USA ist das Land mit der größten Währungssouveränität der Welt. Italien ist Teil der europäischen Währungsunion, in der vor allem Deutschland und Frankreich sagen, wo es lang geht. Auch in Italien ist das Geld nicht knapp, wenn die EZB das nicht will. Aber natürlich hat Italien viel weniger Kontrolle über den Euro als die USA über ihren Dollar. Auch läuft die US-Wirtschaft besser als die italienische. Was also sollen italienische Verhältnisse in den USA bedeuten? Der Vergleich ist nichtssagend.
Bullshit-Bingo
Die Autoren schaffen es, die MMT in 1.000 Wörtern einmal “alternative Geld- und Fiskalpolitik”, einmal nur “alternative Geldpolitik” und einmal als “Denkschule” zu beschreiben. Was soll es denn nun sein, liebe Herren? Das nächste Zitat zeigt, die Autoren spielen Bullshit-Bingo mit den Begriffen, wissen aber nicht, was sie bedeuteten.
“Auf den angebotsseitigen Preisschock, wie sie die Welt derzeit erlebt, hat die alternative Geldpolitik keine Antwort. Nach den Regeln der MMT müsste der Staat auf die hohe Inflation reagieren, indem er Steuern erhöht und Liquidität absaugt.”
Geldpolitik ist, was die Zentralbank macht. Geldpolitik hat nichts mit Steuern zu tun. Darüber entscheidet die Regierung mit ihrer Fiskalpolitik. Wenn die Modern Monetary Theory eine alternative Geldpolitik sein soll, dann passen Steuern nicht ins Argument.
Und überhaupt ist es nicht korrekt, dass die MMT Steuererhöhungen gegen Inflation vorsieht. Ja, MMTler sagen, Steuern reduzieren private Kaufkraft und drosseln die Nachfrage. Wenn ich besteuert werde, wird mein Kontostand kleiner, dann kann ich weniger einkaufen, dann kühlt das potenziell die Wirtschaft ab. Das ist erst mal die Beschreibung der Zusammenhänge. Daraus folgt aber nicht, dass die Politik Steuersätze hochschrauben oder gar ganz neue Steuern einführen sollte, wenn die Inflationsrate steigt. Kein MMTler empfiehlt, neue Steuergesetze durch das Parlament zu peitschen, um die Inflation zu dämpfen. Das dauert viel zu lange. Und es hilft auch nicht unbedingt. Erst recht nicht in der jetzigen Situation, in der die Inflation durch den Krieg begründet ist. Wenn die Energiepreise explodieren, helfen keine höheren Steuern, weil das Problem nicht die Nachfrage ist, sondern das Angebot. Gegen hohe Preise für fossile Energie helfen niedrigere Steuern und zusätzliche Ausgaben, um Erneuerbare auszubauen. Deshalb habe ich zum Beispiel schon im Januar eine zeitweise Mehrwertsteuersenkung auf Energie gefordert.
Weiter geht’s:
“Angesichts der aktuellen Rezessionsgefahr wäre das ökonomisch in etwa die gleiche Güteklasse wie die Strategie des türkischen Präsidenten Erdoğan, die Inflation durch sinkende Zinsen zu bekämpfen. Die zuletzt kräftigen Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed zeigen zudem, dass sich Währungshüter nicht zwangsläufig politisch instrumentalisieren lassen.”
Für einen schrägen Erdoğan-Vergleich war noch Platz. Auch hier leider wieder völlig deplatziert. Die USA hat quasi keine Fremdwährungsschulden, die Türkei dafür riesige - gerade im privaten Bankensektor. Der Dollar hat seit dem Krieg gegen fast alle Währungen aufgewertet, die türkische Lira wiederum kämpft gegen sinkende Wechselkurse, die Importe teurer und das Bedienen von Dollarkrediten schwieriger machen. Äpfel und Birnen also!
Den Autoren scheint auch nicht bewusst, dass höhere Zinsen gerade die Rezessionsgefahr verschärfen. Und das sollen sie ja auch, um die Inflation zu bekämpfen. Auch hier schafft der Text nicht mehr als Falten auf der Stirn zu erzeugen.
Kronzeuge Lars Feld
Zum Abschluss zitieren die Autoren dann besagten Lars Feld.
„Die aktuelle Krise zeigt, dass die vermeintliche Heilslehre MMT nicht nur theoretisch krude ist, sondern auch in der Praxis versagt“, resümiert Lars Feld, VWL-Professor in Freiburg und von 2011 bis 2021 Mitglied der deutschen Wirtschaftsweisen.
Die MMT ist eine ökonomische Theorie. Man kann sie nicht umsetzen, anwenden oder einführen, sondern nutzen, um Erkenntnisse zu gewinnen. Erkenntnisse über das Geldsystem und die Volkswirtschaft. Eine “Praxis”, wie Feld sagt, kann es also gar nicht geben. Und selbst wenn, wo sollen denn dann Politiker auf Basis der Erkenntnisse der MMT Politik gemacht haben? Und wie sah die Politik dann aus? Wenn es die nicht gibt, gibt es auch keine “Praxis”. Und welche aktuelle Krise? Der Krieg und die dadurch getriebene Inflation? Was soll die MMT damit zu tun haben? Der Satz von Feld ist so wirr, man weiß gar nicht, welche Nachfrage man zuerst stellen will.
Feld weiter:
“Die Illusion einer kostenlosen Staatsverschuldung sei „angesichts der steigenden Zinsen zerplatzt“. Feld macht den Staat mitverantwortlich für die hohe Inflation; die auf 9,1 Prozent gestiegene Teuerungsrate in den USA etwa sei „eindeutig ein Überhitzungsphänomen“. Was beweise, dass „man mit falscher Fiskalpolitik großen Schaden anrichten kann“.”
Mit “Überhitzungsphänomen” meint Feld, die Inflation käme von zu viel Nachfrage. Wieso ist dann ausgerechnet Energie mehr als 30 Prozent teurer geworden, energiearme Güter und Dienstleistungen aber kaum im Preis gestiegen? Selbst Forscher der amerikanische Zentralbank kommen in einer Studie zu dem Schluss, dass die Nachfrageseite für die hohe Inflation nur eine untergeordnete Rolle spielt. Woran Lars Feld festmacht, dass die Inflation „eindeutig ein Überhitzungsphänomen“ sei, bleibt sein Geheimnis. Umso waghalsiger, das als Beweis dafür zu nehmen, dass “man mit falscher Fiskalpolitik großen Schaden anrichten kann“. Der Satz für sich genommen stimmt, aber eben nicht für Felds Argumentation - oder besser gesagt: Behauptungen. Das Gegenteil ist schlüssiger: Der Investitionsstau der Vergangenheit und die knauserigen Entlastungspakete haben Schaden angerichtet!
Der Artikel ist ein weiterer Beleg dafür, dass die WirtschaftsWoche Meinung statt Aufklärung und Analyse macht. Kein Wunder, war doch der wirtschaftsliberale Marktschreier Roland Tichy sieben Jahre lang Chefredakteur. Journalistische Standards dürfte der Text wohl kaum erfüllen. Der Beitrag ist nicht mal als “Meinung” oder “Kommentar” gekennzeichnet. Dass Lars Feld sich dafür einspannen lässt, wundert mich nicht.
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Toller Text! Alle Punkte sauber auseinander genommen.
Bezüglich dem falschen Inflationsbegriff erkläre ich immer bei Freunden oder Bekannten, dass man sich die Wirtschaft wie ein Auto Vorstellen muss. Nur haben wir uns in letzter Zeit angewöhnt die verschiedenen Pannen (Preiserhöhung), die ein Auto haben kann alle als Motorschaden (Inflation) zu bezeichnen. Normalerweise gibt es dagegen gute Hilfsmittel: Techniker muss am Motor rumschrauben (EZB Zinsen erhöhen). Aber wir haben gar keinen kaputten Motor, sondern platte Reifen. Doch weil wir nicht bei verschiedenen Pannen differenzieren fummeln wir wie bekloppt an dem Motor rum, bis es iwann sogar noch schlimmer geworden ist (Motor kaputt UND platte Reifen).
So viele Strohmänner, man könnte meinen neoliberale Denkfabriken produzieren Vogelscheuchen.