Bitte keinen Schäuble 2.0
Der neue Finanzminister hält die griechischen Kürzungsreformen für einen Erfolg, der als Vorbild taugt. Ein fataler Fehler, Herr Lindner.
Es ist vollbracht. Die Tinte ist trocken. Die Ampel hat ihren Koalitionsvertrag unterschrieben. Gleich danach ging es zur Bundespressekonferenz, um Fragen der Hauptstadtpresse zu beantworten. Lindner, Habeck und Scholz sind längst nicht mehr im Wahlkampfmodus, sondern sprechen mit dem Brustton der Diplomatie. Die Ampel ist ein Zweckbündnis, ja klar. Am allermeisten merkt man das Robert Habeck an. Wenn Lindner wirtschaftsliberale Floskeln von sich gibt, zieht Habeck sein Pokerface auf.
So auch in erwähnter Pressekonferenz. Kurz vor Ende der PK bekommt ein Journalist vom griechischen Fernsehen das Wort. Der ältere Mann mit grauem Haar und rahmenloser Brille auf der Nase leitet seine Frage mit der Sorge ein, dass viele Südländer Angst vor einer Neuauflage der Sparpolitik unter Lindner hätten. Sind “die Sorgen berechtigt?” will der Journalist von Lindner wissen (siehe Video bei 1:04.13).
Über diese Sorge wurde auch vor Wochen in der deutschen Presse berichtet. Zurecht wurde darauf verwiesen, dass Lindner 2015 für einen Grexit war, also einen Austritt Griechenlands, und den damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble sogar für seinen ohnehin schon brutalen Kurs noch kritisiert hat. Noch härter: Lindner forderte sogar ein Insolvenzrecht für Staaten. Das hätte Griechenland noch mehr in die Knie gezwungen. Kein Wunder, dass in Südeuropa die Alarmglocken schrillen, wenn dieser Mann in Deutschland Finanzminister wird. Zumal mitten in der Corona-Krise, die die ohnehin lahmen EU-Volkswirtschaften hart getroffen und die Arbeitslosigkeit sowie die Schuldenstände steigen lassen hat.
Bevor Lindner antwortet, atmet er einmal tief durch. Deutschland werde in der Eurozone auf Stabilität achten und gleichzeitig ermöglichen, dass Investitionen in Wettbewerbsfähigkeit freigesetzt werden, so sein erstes Statement zu der Frage. Stabilität heißt für Lindner: sparsam haushalten und Schulden vermeiden. Also die Schäuble-Stabilität, die sich auch Olaf Scholz als Finanzminister zu eigen machte. Die Stabilität, auf die eine schwäbische Hausfrau stolz sein könnte, die aber einer Volkswirtschaft Probleme bereitet. Der Verweis auf die Wettbewerbsfähigkeit ist eine Floskel, die ungute Erinnerungen weckt. Verbarg sich dahinter doch bisher die Heilige Dreifaltigkeit aus Privatisierung, Sparpolitik und Lohnkürzungen. Dass Lindner genau das damit meint, zeigt der Verweis auf Griechenland, den er dem ersten Teil des Statements dann anfügt: Mit einer "beeindruckenden Reformpolitik" sei es der Regierung in Athen gelungen, "die griechische Volkswirtschaft auf einen neuen Erfolgskurs zu bringen". Das müsse “umgekehrt für Deutschland sogar Anspruch sein, ähnlich ambitioniert zu werden, wie die griechische Innenpolitik es ist”. Wie bitte? Als Lindner den Satz spricht, wendet Habeck seinen Blick sichtbar ab. Doch das Pokerface sitzt.
Troika-Therapie: Aderlass
Griechenland hat sich in den Jahren nach der Finanzkrise einem unvergleichlichen Reformpaket unterworfen - und zwar auf massivem Druck der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds - im Dreiergespann auch “Troika” genannt - und des ehemaligen deutschen Finanzministers, Wolfgang Schäuble. Die Therapie hieß Aderlass und beinhaltete Lohnkürzungen, Rentenkürzungen, Aufweichungen beim Kündigungsschutz, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst sowie das Verscherbeln von öffentlichem Eigentum, etwa Bahnhöfe und Häfen. Wie “erfolgreich” die Reformpolitik in Griechenland war, lässt sich an einigen harten Fakten ablesen. Deflation, Massenarbeitslosigkeit, Deindustrialisierung und schrumpfende Wirtschaft waren die Folge. Noch heute liegt die Wirtschaftsleistung unter und die Armutsgefährdungsquote über den Zuständen vor der Krise. Selbst das eigens gesteckte Ziel, die Schuldenquote zu senken, wurde verfehlt. Weil die Wirtschaft so stark eingebrochen ist, ist die Schuldenquote immer stärker gewachsen. Nicht, dass ich die Schulden als Problem sehe. Aber es zeigt, dass die Therapie auch an wirtschaftsliberalen Maßstäben gemessen ein Misserfolg war. Das Wirtschaftsprofil der Wirtschaftskammer Österreich zeigt hier ganz übersichtlich, wie sich die wichtigsten Indikatoren in den letzten 15 Jahren in Griechenland entwickelt haben.
Ich glaube nicht, dass Lindner die Troika-Therapie in Deutschland wiederholen will - geschweige denn kann. Darum geht es auch nicht. Aber er wiederholt ein Narrativ von Wolfgang Schäuble, das gefährlich ist. Nämlich: Wir Deutschen haben mit der Agenda 2010 den Gürtel enger geschnallt und uns vom kranken Mann Europas zum stärksten Mann Europas drangsaliert. Wir haben uns zum Erfolg gequält und das erwarten wir auch von den anderen Südeuropäern. Und natürlich nimmt sich Deutschland 15 Jahre nach der Agenda und mit coronabedingt hohen Schulden wieder ein Beispiel an dem letzten Musterschüler: Griechenland. Wenn Lindner in dieser Geisteshaltung in die Treffen mit seinen Amtskollegen beim ECOFIN oder der Eurogruppe geht, dann sieht es nicht gut aus.
Denn: Damit die Eurozone eine Zukunft hat, braucht es einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Die Fiskalregeln müssen angepasst werden, damit investiert werden kann. Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone ist bis heute unerträglich hoch und lag noch nie unter 7 %. Zum Vergleich: Japan liegt bei unter 3 %. Wenn Lindner an der Sparpolitik festhält, die eigentlich in die Mottenkiste gehört, und bei der Anpassung der Fiskalregeln blockiert, droht die Eurozone auseinanderzubrechen. Nicht nur Griechenland muss einem Sorgen machen. Auch in Frankreich und Italien sieht es schlecht aus - Deindustrialisierung, hohe Arbeitslosigkeit und Rechtsruck. Daran hat die miese europäische Wirtschaftspolitik eine große Schuld. Man kann nur hoffen, dass der Verweis auf Griechenland ein rhetorischer Ausrutscher von Lindner war, dem keine politischen Konsequenzen folgen. Noch einen Wolfgang Schäuble verträgt die Eurozone nicht!
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Mal eine naive Frage, wie konnte denn Deutschland die griechische Regierung zu ihrem Sparkurs zwingen? - Aber ich weiß, du hast viel zu tun. Musst nicht antworten, wenn du keine Zeit hast!!