Frauen und Kinder zuletzt, Herr Dobrindt?
Die Regierung stoppt den Familiennachzug für viele Geflüchtete. Das ist schäbige Symbolpolitik!
Wie viel ist Ihnen das C im Parteinamen noch wert, Herr Innenminister Dobrindt? Und welchen Stellenwert hat die Familie noch für die Union? „Ethisch fragwürdig“ nennen die beiden großen Kirchen das, was Sie planen. Nämlich den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre auszusetzen. Als weiteres Symbol der Knallhart-Asylwende. Der Gesetzentwurf ist längst geschrieben, soll am Mittwoch mit der SPD durchs Kabinett und vor der Sommerpause des Bundestages noch beschlossen werden.
Bisher wurden schon nur maximal 1.000 Visa pro Monat für den Nachzug enger Familienangehöriger von subsidiär Schutzberechtigten erteilt. Also 12.000 Visa pro Jahr. Der Großteil geht an Frauen und Kinder aus Syrien und Afghanistan, deren Männer es auf der Flucht vor Assad, Bürgerkrieg oder den Taliban nach Deutschland geschafft haben und die nun zumindest den engsten Teil ihrer Familie zu sich in Sicherheit holen wollen.
Den Familiennachzug auszusetzen, heißt: Familien zu trennen, legale Fluchtwege zu schließen und den bedrohten Teil der Familie auch zur Flucht über „illegale“ und gefährliche Fluchtwege zu drängen. “Eltern und Kinder gehören zusammen. Geschwister gehören zusammen. Familien gehören zusammen", sagt der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Berliner Bischof, Christian Stäblein. Er nannte es ein Gebot der Nächstenliebe, dass gerade Geflüchtete und subsidiär Schutzberechtigte nicht über Jahre hinweg von ihren engsten Angehörigen getrennt blieben. Man fragt sich: Wo ist Ihre Nächstenliebe, Herr Dobrindt?
Das Vorhaben ist reine Symbolpolitik. Schäbige Symbolpolitik allerdings. Mit kontraproduktiven Folgen. Man kann nicht einerseits Deutschland als weltoffenes Einwanderungsland inszenieren und andererseits legale Fluchtwege schließen. Auch bringt das Gesetz nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. Jede einzelne Person, die über den Familiennachzug nach Deutschland kommt, wird von Behörden durchleuchtet und sicherheitsüberprüft. Die Unterstellung, von diesen Menschen gehe ein höheres Sicherheitsrisiko aus, ist schlicht falsch.
Außerdem sind sich Kirchen wie Kriminologen und Integrationsforscher einig: Wer von seiner Familie getrennt wird und sich um sie sorgen muss, hat es schwerer, sich zu integrieren, die Sprache zu lernen, einen Job zu finden. “Der Familiennachzug ist integrationspolitisch sinnvoll, da die Sorge um Angehörige es erschwert, innerlich anzukommen und sich etwa um Spracherwerb und Arbeit zu bemühen“, sagt auch Prof. Winfried Kluth, Vorsitzender des Sachverständigen für Integration und Migration. Oder in Worten von Stäblein: „Wer mit seinen Nächsten in Sicherheit leben darf, findet schneller Halt, lernt leichter unsere Sprache, kann sich besser integrieren und wird eher Teil unserer Gesellschaft." Darum brauche es großzügige Regelungen beim Familiennachzug, so der Berliner Bischof.
Je mehr temperierte Grausamkeiten aus der Mitte des Parlaments als Symbol für mehr Sicherheit umgesetzt werden, ohne wirklich mehr Sicherheit zu bringen, desto mehr legitimiert man die noch radikaleren Pläne der AfD.
Für junge Männer ist die Trennung von der Familie oft ebenso traumatisch wie die Umstände, aus denen sie fliehen. Familie Einbindung ist deshalb auch ein kriminalitätshemmender Faktor, sagt die Kriminologin Prof. Gina Wollinger. „Hier ist sich die Forschung einig: Personen, die einsam, sozial schlecht eingebunden oder frustriert sind, begehen wahrscheinlicher eine Straftat als Personen, die familiär und sozial gut eingebunden sind. Elterliche Erziehung zu erfahren oder selbst erzieherische Verantwortung zu übernehmen, senkt die Wahrscheinlichkeit für Kriminalität. Familien zu trennen, steigert daher tendenziell das Risiko für Straffälligkeit“, so Wollinger.
Von welcher Seite man das Vorhaben auch beleuchtet: Es ist und bleibt eine schlechte Idee. Auch taugt es nicht, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Je mehr temperierte Grausamkeiten aus der Mitte des Parlaments als Symbol für mehr Sicherheit umgesetzt werden, ohne wirklich mehr Sicherheit zu bringen, desto mehr legitimiert man die noch radikaleren Pläne der AfD. Der gesichert rechtsextremen AfD wohlgemerkt. Damit macht man sie nicht kleiner, sondern größer. Und setzt als Union den letzten Funken Christlichkeit schäbig aufs Spiel.
PS: Dass die SPD das ebenso stillschweigend durchwinkt wie den EU-rechtswidrigen Asylstopp ist natürlich auch bodenlos.
Der letzte Satz bringt es auf den Punkt. Von der Union ist ja inzwischen nichts anderes zu erwarten, aber dass die SPD jetzt zum wiederholten Mal die Aussetzung des Familiennachzugs mitträgt (wie schon 2016) ist ein Armutszeugnis. Und das ausgerechnet nachdem die SPD erst vor wenigen Monaten beim Zustrombegrenzungsgesetz und der gemeinsamen Abstimmung von Union mit AfD im Bundestag noch ein riesen Theater um genau das Thema gemacht hat.
Meine Eltern haben selbst viel darunter gelitten als die Familie väterlicherseits durch Krieg getrennt wurde. Unverständlich meinerseits