Zeit für den Gaspreisdeckel?
Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Kein Preis steigt so stark wie der Gaspreis. Braucht es einen Preisdeckel? Und wenn ja, wie ginge das?
Gas wird teurer, viel teurer. Das ist ein Problem, ein großes Problem. Denn jeder zweite Deutsche heizt mit Gas. Anders als beim Benzin, bei dem man die Auswirkungen von höheren Weltmarktpreisen in der Regel unmittelbar an der Preissäule der Tankstelle merkt, haben Verbraucher die Höhe ihrer Heizkosten nicht so auf dem Schirm. Wie hoch der Energieverbrauch im vergangenen Jahr war, erfährt man schließlich erst mit der jährlichen Heizkostenabrechnung. Die nächste könnte deshalb für viele zur bösen Überraschung werden.
Schon vor Putins Invasion in der Ukraine war der Gaspreis an der Börse im Vergleich zum Vorjahr etwa vier bis sechs Mal teurer. Grund dafür waren vergleichsweise leere Gasspeicher vor dem Winter, eine Windflaute in der Nordsee, die Erhöhung der CO2-Abgabe und die schnellere wirtschaftliche Erholung aus dem Corona-Tief. Spätestens seit Putins schrecklicher Invasion in der Ukraine und der Spekulation um ein mögliches Gasembargo spielt der Preis aber völlig verrückt und ging zeitweise auf ganze 200 Euro je Megawattstunde hoch. Gas war da im Vergleich zum Vorjahr rund zehn Mal teurer.
Gemeint ist hier der Tagespreis an der niederländischen Börse. Und zwar für Gas, das in einem Monat geliefert wird. Wichtig: Das ist nicht der Preis, der am Ende über die Höhe der Heizkostenabrechnung entscheidet, zumindest nicht unmittelbar. Denn Gasversorger sind in der Regel über Terminmärkte im Voraus abgesichert, um nicht zu Preisspitzen - wie etwa nach Beginn der Invasion - kaufen zu müssen. Weil Energieversorger den Kunden Jahresverträge anbieten, müssen sie selbst vorausschauend kalkulieren und kaufen deshalb frühzeitig ein, sollten sie steigende Preise in der Zukunft erwarten. Mit voller Wucht wirken sich die derzeitigen Mondpreise deshalb erst mit Verzögerung auf die Versorger und dann mit nochmaliger Verzögerung auf die Vermieter und die Mieter aus. Wenn es aber so weit ist, dann wird es übel.
Die Grafik unterhalb zeigt, wie sich die Terminpreise für Lieferungen bis Ende 2023 an der Börse entwickelt haben. An der Gasbörse erwarten die Händler, dass sich die Preise ab Frühling 2023 wieder spürbar reduzieren. Schon vor dem Ukraine-Krieg (lila) war eine Rückkehr zu den Vorjahrespreisen von rund 20 Euro (schwarz) aber nicht abzusehen. Spätestens seit Putins Invasion (orange) ist für die nächsten 2 Jahre mit 75 Euro und mehr je Megawattstunde zu rechnen.
Wenn die Versorger den Anstieg des Gaspreises auf 75 Euro an die Haushalte weitergeben, könnte das eine Verdopplung der Endpreise für die Verbraucher bedeuten. Laut einer Analyse des Bundesverbandes der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft mussten Neu- und Wechselkunden schon im Januar mehr als zwölf Cent pro Kilowattstunde Gas bezahlen, das sind rund 5,5 Cent mehr als vor einem Jahr. Für eine Familie mit typischem Verbrauch könnte das dann locker Tausend Euro mehr im Jahr bedeuten. Eine enorme Belastung.
Noch schlimmer würde es, sollte der Gashahn aus Russland zugedreht werden. Welche katastrophalen Folgen ein solches Gasembargo für die deutsche Wirtschaft hätte, habe ich in diesem Artikel zuletzt beschrieben.
Energie als Einkommensfresser
Ohne Energie geht nichts. Wir alle nutzen Energie, ob Gas für die Heizung oder Sprit für das Auto. Je reicher die Leute sind, desto mehr Energie verbrauchen sie typischerweise. Der Dax-Manager mit großem Einfamilienhaus und schickem SUV verbraucht mehr Energie als die Kassiererin, die im Mehrfamilienhaus zur Miete wohnt und eine alte Twingo-Möhre fährt. Absolut gesehen geben Reiche also mehr Geld für Energie aus als Arme. Aber: Vorsicht! Das sagt längst nichts über die Verteilungswirkung steigender Energiepreise oder politischer Maßnahmen gegen diese Preissteigerungen aus. Denn für die Verteilungswirkung ist nicht die absolute Höhe der Energieausgaben relevant, sondern die Höhe der Energieausgaben im Verhältnis zum Einkommen. Hier verändert sich das Bild nämlich drastisch. Je kleiner das Einkommen, desto höher ist der Einkommensanteil für Energieausgaben, wie auch die Grafik unterhalb auf Basis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag des Wirtschaftsministeriums zeigt.
Und auch eine noch aktuellere Darstellung vom Statistischen Bundesamt zeigt die Verteilungswirkungen deutlich. Denn auch der Anteil der Ausgaben für Wohnenergie im Verhältnis zu den gesamten Konsumausgaben ist für kleine Einkommen wesentlich größer als für hohe Einkommen. Bitter für die Kassiererin, entspannt für den DAX-Manager.
Steigende Energiepreise sind eine der drängendsten sozialen Fragen geworden. Die Grafiken zeigen: eine Mehrwertsteuersenkung, ein Preisdeckel und ja sogar ein Tankrabatt hätten allesamt eine progressive Verteilungswirkung, weil sie kleine Einkommen verhältnismäßig stärker entlasten als große Einkommen. Der Kassiererin würde all das den Lebensalltag erleichtern, der DAX-Manager würde es wohl kaum merken.
Gas als Inflationstreiber
Haushaltsgas macht etwa 2,5 Prozent des Warenkorbs zur Messung der Inflation aus. Wenn es zu einer Verdoppelung des Gaspreises kommt, würde allein das schon 2,5 Prozentpunkte mehr Inflation bedeuten. Zum Vergleich: Das gesamte Inflationsziel liegt bei 2 Prozentpunkte - und wäre schon allein damit gerissen. Doch das ist längst nicht alles. Wenn Gas teurer wird, werden ganz viele andere Sachen auch teurer. Denn Gas erfüllt in der Wirtschaft ganz unterschiedliche Rollen. Die Grafik unterhalb zeigt, in welchen Sektoren in Deutschland Gas verbraucht wird. Haushaltsgas macht gerade einmal knapp ein Drittel aus.
Gas ist Grundlage unserer Wirtschaft. Gas ist Kraftstoff, Heizstoff und Rohstoff zugleich. Etliche Lieferketten und Produktionsvorgänge sind von Gas direkt oder indirekt abhängig: die Stromerzeugung, die Industrieproduktion, die Chemiebranche, die Landwirtschaft und viele mehr. Einige der Einsatzorte hat man gar nicht auf dem Schirm. Erdgas zum Beispiel ist auch Grundstoff für die Ammoniakherstellung und damit wichtig für die Düngemittelproduktion ist. Wenn das teurer wird, gehen damit auch erhebliche Kostensteigerungen in der Landwirtschaft einher, die dann wiederum die Lebensmittelpreise beeinflussen und die Preise im Supermarkt steigen lassen. Gleiches gilt für die Chemiebranche, die wiederum für etliche Produktionsketten von zentraler Bedeutung ist, besonders für die Industrie. Erdgas ist in der Chemie der wichtigste Energieträger und nach Öl der zweitwichtigste Rohstoff für die Produkte. Das zeigt die enorme Bedeutung. Neben der direkten Wirkung auf die Inflationsrate kommt also noch eine schwer zu berechnende indirekte Wirkung über diverse andere Lieferketten hinzu.
Gaspreis für Verbraucher deckeln?
Vor einigen Wochen erblickte der Vorschlag eines Gaspreisdeckels das Licht der Welt. Die Ökonomen Sebastian Dullien (IMK) und Isabella Weber (University of Massachusetts Amherst) haben dazu ein Konzept erarbeitet und dieses vor rund einem Monat in der SZ veröffentlicht. Das war gleichwohl noch vor Putins Invasion in der Ukraine und der Diskussion um mögliche Auswirkungen eines Gasembargos gegen Russland. Seitdem ist das Thema noch wichtiger geworden und sogar bis weit in den konservativen Mainstream vorgedrungen. Selbst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi haben sich bemerkenswerterweise vorsichtig für besondere Maßnahmen wie einen Preisdeckel beim Gas ausgesprochen. Die Kommission tüftelt derzeit offenbar auch an einem Konzept und hat die europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) damit beauftragt, in spätestens ein paar Wochen eine Analyse vorzulegen, welche Vor- und Nachteile ein Preisdeckel hätte. Erst danach soll final entschieden werden.
Warum aber ausgerechnet Gas deckeln und nicht andere Energiepreise? Nun, weil Gas im Vergleich zu Öl und anderen Rohstoffen um ein Vielfaches teurer geworden ist. So viel, dass selbst die konservativen Verfechter der Marktwirtschaft dem Marktpreis an den Kragen wollen. Als Isabella Weber im Zusammenhang mit coronabedingten Preistreibern strategische Preiskontrollen vorgeschlagen hat, hagelte es noch einen Shitstorm aus der arroganten liberalen Ökonomenzunft. Nachdem von der Leyen und Draghi davon sprachen, darf man jetzt auch ohne Shitstorm darüber reden.
Kommen wir zu den Details. Wie genau soll der Gaspreisdeckel aussehen? Dullien und Weber schlagen einen Höchstpreis von 7,5 Cent pro Kilowattstunde für einen Sockelverbrauch von 8000 Kilowattstunden pro Jahr und Haushalt vor. 8000 Kilowattstunden entspräche in etwa dem halben Gasverbrauch in einer durchschnittlichen 100-Quadratmeter-Wohnung. Für Familien und Lebensgemeinschaften könnte der Sockelverbrauch je nach Personenzahl gestaffelt und nach oben angepasst werden.
Natürlich sollen die Versorger nicht zu Verlusten gezwungen werden, indem sie das Gas im Großhandel teurer einkaufen als sie es den Haushalten verkaufen. Das wäre mit der Marktwirtschaft nicht vereinbar, die Gasversorger würden in Finanznot geraten. Deshalb soll der Bund den Gasversorgern die Differenz zwischen Verkaufspreis und Einkaufspreis (ggf. plus einer kleinen Marge) kompensieren. Man könnte also sagen: Der Staat würden den Sockelverbrauch von Gas subventionieren. Allerdings nur so lange, wie der Marktpreis für Gas über der Grenze von 7,5 Cent pro Kilowattstunde liegt. Fällt der Marktpreis darunter, würde der Deckel automatisch nicht mehr greifen und entsprechend auch keine staatliche Kompensation gezahlt.
Wichtig: Der Deckel gilt nur für den Sockelverbrauch. Für jede Kilowattstunde über diesem Sockel darf der Versorger den Preis im Rahmen der üblichen Verträge selber festlegen. Mit Blick auf die Future-Preise für Gas ist Stand heute davon auszugehen, dass der Gaspreisdeckel nur vorübergehend gebraucht würde, weil die Marktpreise in Zukunft wieder unter die Marke fallen, die Verbraucherpreise von über 7,5 Cent pro Kilowattstunde rechtfertigt.
Was das für den Bundeshaushalt bedeutete, rechnete Dullien in der TAZ vor:
“Subventioniert der Staat die Differenz zwischen den jetzigen Preisen und denen vor der Erhöhung, ist das günstiger oder teurer – je nachdem, was das Gas kostet. Es gibt etwa 20 Millionen Haushalte mit Gasanschluss in Deutschland. Wenn jeder Haushalt 8.000 Kilowattstunden bekommen würde, und der Staat müsste jede Kilowattstunde mit 5 Cent subventionieren, wären wir bei etwa 8 Milliarden Euro. Diese Rechnung basiert auf den jetzigen Preisen.”
Zum Vergleich: das erste Entlastungspaket der Ampel - bestehend aus vorzeitiger Abschaffung der EEG-Umlage, Zuschüssen, Pendlerpauschale und höheren Freibeträgen bei der Einkommensteuer - bringt es auf rund 13 Milliarden Euro pro Jahr. Der von Progressiven häufig gelobte Heizkostenzuschuss von 270 Euro für Wohngeldempfänger und 230 Euro für Studierende macht davon gerade einmal rund 400 Millionen Euro aus. Warum? Weil der Personenkreis zu klein ist. Der Heizkostenzuschuss kommt nur bei rund 700.000 Haushalten an. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Bundesverband der Verbraucherzentrale kritisiert deshalb die Ampel scharf für das knauserige Vorgehen und fordert mindestens 1.000 Euro Heizkostenzuschuss.
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