Habeck auf Glatteis
Was hinter Habecks Maischberger-Auftritt steckt und warum der ein Schlag in die Magengrube von Bäcker Lutze war.
Nach wenigen Stunden ist das Video millionenfach geklickt. Habeck hatte sich bei Maischberger aufs Glatteis gewagt und ist auf die Nase gefallen. Auf die Frage, ob er im Winter mit einer Insolvenzwelle rechne, sagte er: »Nein, das tue ich nicht«. Doch die Begründung, die folgt, lässt einen stutzen: »Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren — nicht insolvent werden».
Noch bevor Maischberger einhaken kann, führt Habeck aus, dass »die Läden, die darauf angewiesen sind, dass die Menschen Geld ausgeben — Blumenläden, Bioläden, auch Bäckereien« in Not kommen, »weil es eine Kaufzurückhaltung gibt«. Die Läden seien dann zwar nicht automatisch insolvent, »aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen«. Maischberger grätscht rein: »Wenn ich aufhöre zu verkaufen, verdiene ich kein Geld mehr, dann muss ich die Insolvenz melden. Nach zwei Monaten, wenn ich’s nicht getan habe, habe ich Insolvenz verschleppt!». Habeck widerspricht. Insolvent wären Betriebe laut Habeck erst, wenn »man mit der Arbeit immer größeres Minus macht«.
Genau das wäre aber ja der Fall, wenn die Produktion stillsteht. Bäcker Lutze kann ja nicht einfach in den Winterschlaf fallen und im Frühjahr wieder weitermachen. Schließlich muss er über den Winter seine laufenden Verträge bedienen. In der Betriebswirtschaftslehre spricht man von Fixkosten. Dazu gehören die Miete für das Ladenlokal, das Gehalt für die Beschäftigten, Kredite bei Banken oder Abschreibungen auf Investitionen. Die Kosten müssen bedient werden, egal ob der Bäcker Brötchen backt oder nicht. Und auch der Inhaber ist auf Umsatz angewiesen. Selbstständige bestreiten schließlich ihr privates Leben aus den Firmeneinnahmen — der sogenannte Unternehmerlohn.
Ohne Umsatz drücken einen die Fixkosten in die Insolvenz. Einzige Ausnahme: Bäcker Lutze hat so viele Rücklagen, dass er Fixkosten und Privatleben daraus finanzieren kann. Davon ist bei Kleinbetrieben nicht auszugehen. Mit Winterspeck ist da nichts. Erst recht nicht nach zwei wirtschaftlich harten Corona-Jahren. Und schon gar nicht bei denen, die während Corona ganz oder teilweise dichtmachen mussten. Restaurants, Friseure, Kulturschaffende.
Als Maischberger nochmal einhakt, sagt Habeck: »Ich weise nur darauf hin, dass es nicht automatisch eine Insolvenzwelle geben muss«. Natürlich aber gebe es »die Gefahr«, dass Betriebe die Zeit nicht überstehen, schiebt er nach.
Politik statt BWL-Vorlesung
Klugscheißer können sich auf Habecks Seite stellen und sagen, dass er formal natürlich Recht hat. Den Betrieb zu schließen und insolvent zu gehen, sind zwei paar Schuhe. Tatsächlich ist das deutsche Insolvenzrecht scharf. Auch eine drohende Zahlungsunfähigkeit in der Zukunft kann einen Insolvenzantrag begründen. Viel wichtiger aber: Habeck sitzt nicht in der BWL-Vorlesung, sondern in einer politischen Talkshow. Sein Kanzler singt »You’ll never walk alone« in jedes Mikro. Die Botschaft müsste er eigentlich untermauern. Seine Antwort ist hingegen ein Schlag in die Magengrube aller kleinen Selbstständigen. Das Gegenteil von »You’ll never walk alone«. Habeck müsste sich dem eigentlich bewusst sein, ist er sonst doch ein begnadeter Kommunikator, der auch Widersprüche zu verpacken weiß. Diesmal gelingt es ihm nicht. Es war einer seiner schlechtesten Auftritte.
Eine Erklärung für Habecks eigentlich ungewöhnliches Gestammel könnte sein, dass er mit der Talkshow keine Diskussion über neue Hilfsprogramme vom Zaun brechen wollte. Wahrscheinlich hatte sich die Ampel bei den Beratungen über das dritte Hilfspaket darauf verständigt, den Ball jetzt erstmal flach zu halten. Dabei bräuchte es genau die Diskussion aber eigentlich. Das machen auch Habecks eigene Aussagen deutlich. Dass die Gefahr von Pleiten groß ist, redet er ja gar nicht klein. Vielmehr hängt er sich am Insolvenzbegriff auf.
Betrieben in dieser Ausgangslage nicht zu helfen, wäre fahrlässig. Während Corona haben Firmen, die ganz oder teilweise dichtmachen mussten, einen Teil ihrer Fixkosten ersetzt bekommen und konnten Beschäftigte einfacher in Kurzarbeit schicken. Das Kalkül: Die Firmen waren an sich gesund, aber eben dem Corona-Shock nicht gewappnet. Die Hilfen haben also eine Brücke in die Normalität gebaut.
Die Lage heute ist ähnlich. Auch jetzt sollte man eigentlich gesunde Betriebe wie Bäcker Lutze nicht pleitegehen lassen. Erstens würde Produktionskapazität bei Betriebsschließungen vergeudet. Warum sollten wir wegen der Energiekrise weniger Brötchen von Bäcker Lutze essen oder seltener zum Friseur? Groß Energie wird dabei ja nicht eingespart, das wäre ja das einzige valide Argument. Und wenn das wirklich das Ziel wäre, dann sollte man das mit politischen Regulierungen regeln, nicht über eine nachfrageseitige Wirtschaftskrise. Zweitens würde den Beschäftigten dringend benötigtes Einkommen wegbrechen, das sie für die kommenden Heiz- und Stromrechnungen brauchen. Denn auch Kurzarbeitergeld ersetzt nur 60 Prozent des vorherigen Einkommens. 40 Prozent weniger Einkommen sind für viele der Weg in die Armut, für einige vielleicht sogar in die Privatinsolvenz. Schon heute kann mehr als Hälfte nichts mehr auf die Seite legen und muss das ganze Einkommen ausgeben, um den Alltag zu bewältigen. Wenn dann viel Einkommen wegbricht, ist das eine Katastrophe. Für den betroffenen Haushalt, aber auch für andere Betriebe. Denn jede Pleite verstärkt die Kaufzurückhaltung und verschlimmert die Nachfragekrise. Anders gesagt: Eine Pleite löst die nächste aus.
Übrigens: Weil jetzt viel über Bäckereien geredet wird und man vielleicht denken könnte, dass die Branche klein sei. Bundesweit sind eine Viertel Million Menschen im Backhandwerk beschäftigt. Klein ist anders!
Wo bleibt die Finanz-Bazooka?
Eine Neuauflage der Corona-Pakete wäre nötig, aber nur die Notlösung. Denn die Beteiligung an Fixkosten verhindert zwar die Insolvenz, nicht aber die Schließung und den Einkommensverlust für Inhaber und Beschäftigte. Besser wäre in erster Linie die Schließung zu vermeiden. Dafür müsste die Ampel mehr entlasten und das Problem mit der Konsumzurückhaltung lösen. Etwa mit einem Gaspreisdeckel oder größeren Zuschüssen. Das neue Entlastungspaket ist schlicht zu klein.
Wer einen kleinen Betrieb führt und Habecks Auftritt bei Maischberger gesehen hat, muss sich Sorgen machen. Nicht zuletzt, weil Selbstständige mit ihrem Unternehmerlohn bei den Entlastungspaketen nicht bedacht werden. Das war schon bei den Coronahilfen so. Die Fixkosten wurden zum Teil erstattet, der Unternehmerlohn aber nicht. Selbstständige sind in der Regel nicht in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung versichert. Sie müssen privat vorsorgen. Statt Unternehmerlohn bleibt dann nur Hartz IV. Heißt: Wer heute noch mit eigenem Risiko einem halben dutzend Menschen Arbeit und Einkommen in einer Bäckerei oder einem Friseursalon verschafft, kann im Winter selbst schnell in Hartz IV landen.
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Hi Maurice, im fünften Absatz, zweite Zeile ist im Wort "daraus" sicher ein Fehler. Sollte bestimmt "darauf" heißen. =)
Danke für diese Kritik an Robert Habeck, da sie ihm kein Unwissen unterstellt sondern nur eine unbeholfene Kommunikation. Diese Ansicht teile ich. Ich weise hier mal noch auf das Interview mit Maischberger am Tag vor dem Kriegsbeginn hin. Da kam in den letzten drei Minuten ein Plädoyer für mehr staatliche Investitionsausgaben. Da hättest du vermutlich applaudiert Maurice. ^^
Ich vermute das Habeck mit folgendem Dilemma zu diesem Zeitpunkt kommunikativ überfordert war:
Er ist mit dem Ergebniss des Entlastungspaketes genauso unzufrieden wie wir. Er denkt jedoch, dass es Debattenstrategisch unklug ist mit der Tür ins Haus zu Fallen, da die FDP-Koalitionäre vermutlich komplett dicht machem würden. Er muss aber eine öffentliche Debatte in Gang setzen um mehr öffentlichen Druck auf Lindner und Co zu generieren. Dafür hat er versucht ein bisschem Diplomatisch vorzugehen und durch die Blume zu sagen wir könnten noch mehr tun.
An sich, denke ich ist die Idee sinnvoll. Sie war nur ziemlich mies umgesetzt, und FDP und Opposition schlachten das jetzt richtig aus. (Wär ja auch bescheuert wenn sie sich das entgehen lassen...)
Wir sollten im Hinterkopf haben, das Habeck eine finanzielle Zwangsjacke durch Lindners Ideologie tragen muss und nicht so handeln kann wie er gern möchte.
Oder um im Bild zu bleiben: Lindner schickt Habeck aufs Glatteis mit nur einem Schlittschuh. ;-)
Wer es noch nicht begriffen hat: Diese Regierung will alle lohnabhängig Beschäftigten dauerhaft in Angst und Schrecken versetzen. Dass dabei die kleinen Inhaber-geführten Betriebe ebenfalls unters Messer fallen, wird dabei wissentlich in Kauf genommen. Alles dient der Förderung des Groß-Kapitals und der Konzern-Unternehmen. Diese profitieren von dieser Politik und sie vergrößert die Kapital-Konzentration. Die gerade abflauende Corona-Krise war offensichtlich nicht massiv genug und der Ukraine-Krieg liefert alle Begründungen für diese dem Gemeinwohl entgegengesetzte Maßnahmen.
Nur zur Information: Der Konkursfall kann aus Grund der Überschuldung (Schulden größer als Vermögen) und/oder aus Zahlungsunfähigkeit eintreten. Wenn ein Betrieb seine Arbeit einstellt, ist meist die fehlende Liquidtät (sprich Zahlungsunfähigkeit) der vorrangige Grund. Banken geben ohne Produktion nur bei besonders guten Vermögen noch Kredite als Liquidtätshilfe.