Lasst den Zins in Ruhe!
Die EZB ist machtlos gegen Energiepreisexplosionen. Höhere Zinsen wären die falsche Therapie.
Die Europäische Zentralbank steht unter Druck. Immer lauter werden die Rufe nach höheren Zinsen, um die Inflation zu drosseln. Die US-amerikanische Zentralbank (FED) kündigte genau das bereits an, die Bank of England hat es schon gemacht. Wann also zieht die EZB nach? Noch bewahrt sie kühlen Kopf, doch es scheint nur eine Frage der Zeit, bis auch sie den Zins anhebt. Dabei ist der Zins das völlig falsche Werkzeug gegen eine Inflation, die von explodierenden Energiepreisen kommt.
Im Englischen gibt es das Sprichwort:
If all you have is a hammer, everything looks like a nail.
Das passt auch zur derzeitigen Lage. Neoliberale und Konservative verlangen mit empörtem Ton nach höheren Zinsen (Hammer), um die Inflation (Nagel) zu bekämpfen. Dabei ist weder der Zins ein geeigneter Hammer noch die Inflation ein Nagel. Höhere Zinsen sind blinder Aktionismus mit üblen Nebenwirkungen.
Woher kommt die Inflation?
Für Januar wurde in Deutschland eine Inflationsrate von 4,9 Prozent gemeldet. Maßgeblicher Treiber sind die Energiepreise, die allein mehr als 20 Prozent teurer sind als vor einem Jahr. Inflation ist dabei nicht gleich Inflation, Ökonomen unterscheiden hier. Es gibt Inflation, die durch höhere Kosten bedingt ist und Inflation, die durch eine Überhitzung der Wirtschaft bedingt ist. Von Überhitzung wird gesprochen, wenn die Wirtschaft lange boomt und nah an der Vollbeschäftigungsgrenze ist. Davon kann derzeit nicht die Rede sein. Corona hat die Wirtschaft gelähmt, noch immer sind rund 800.000 Beschäftigte in Deutschland in Kurzarbeit und noch immer agieren viele Wirtschaftsbereiche unter ihrer eigentlichen Kapazität. Für den Euroraum sieht es noch schlimmer aus: Die Arbeitslosenquote liegt bei über 7 Prozent, für Jugendliche gar bei rund 16 Prozent.
Trotzdem steigen die Kosten. Etwa, weil die Gasvorräte knapp sind, weil die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine zunehmen, weil das Öl-Kartell OPEC die Fördermenge von Öl reduziert hat, weil am Strommarkt spekuliert wird, weil Kraftstoffe neuerdings mit einer CO2-Abgabe von 30 Euro pro Tonne belegt werden, weil der Preis für C02-Zertifikate im europäischen Emissionshandel durch die Decke gegangen ist oder weil die Pandemie die Lieferketten stört, wenn etwa in China coronabedingt Häfen dichtgemacht werden. Die derzeitige Inflation ist kostengetrieben, nicht nachfragegetrieben.
Vielfach werden die derzeitigen Preisschübe auch als „Greenflation“ bezeichnet - gerade von Crashpropheten oder Inflationshypochondern wie Hans-Werner Sinn. Zu dem Thema habe ich vor Kurzem bei Lukas Scholle im Podcast “Wirtschaftsfragen” gesprochen. Hört da gerne mal rein!
Viele vergleichen die Situation auch mit der Inflation und der Ölkrise der 70er-Jahre. Ja, auch damals waren die Preissteigerungen kostenbedingt, doch es gibt einen entscheidenden Unterschied. Damals lagen die Zuwächse bei den Tariflöhnen bei über 10 Prozent pro Jahr, letztes Jahr hingegen bei nur mageren 1,7 Prozent. Damals gab es eine Lohn-Preis-Spirale, heute nicht.
Wer also die Inflation bekämpfen möchte, muss an die Kosten ran und für sinkende Energiepreise sorgen.
Die Machtlosigkeit der EZB
Wie genau soll die EZB das machen? Sie kann nur den Zins verändern oder weniger Anleihen kaufen. Letzteres hat sie schon angekündigt, das große Anleihekaufprogramm PEPP soll im März auslaufen. Jetzt auch noch den Zins hochschrauben? Wie soll ein höherer Zins gegen die Gasknappheit, die Macht des Öl-Kartells OPEC oder die Spekulation an der Strombörse helfen? Die Antwort ist: gar nicht. Finanzminister Lindner könnte über Steuersenkungen für Entlastung sorgen, Wirtschaftsminister Habeck könnte mit einer Investitionsoffensive in erneuerbare Energien für weniger Abhängigkeit von teuren Energieimporten sorgen, Verkehrsminister Wissing könnte Bus und Bahn zu erstklassigen Alternativen gegen teures Autofahren machen, aber EZB-Präsidentin Lagarde? Ihr sind die Hände gebunden. Wenn sie allerdings weniger Anleihen kauft und den Zins anhebt, dann steigen die Renditen auf Staatsanleihen, sprich: dann müssen Lindner und seine europäischen Finanzministerkollegen wieder höhere Zinsen zahlen. Unter den Bedingungen von Schuldenbremse und strenger europäischer Schuldenregeln wird das Leben der Finanzminister dann schwerer, dann bleibt weniger für Steuersenkungen und Investitionsoffensiven. Das würde kurzfristige und langfristige Lösungen nur schwerer machen.
Aus dem Grund habe ich auch die Ankündigung der EZB, das Anleihekaufprogramm auslaufen zu lassen in diesem Artikel unterhalb kritisiert.
Diese Bedenken ignorieren Neoliberale und Konservative, weil es nicht zu ihrer Weltanschauung passt – und weil sie schlechte Makroökonomen sind. Sie reden sich ein, die Energiekrise sei nicht Ursache, sondern Symptom. Symptom von zu hohen Staatsschulden und von expansiver Geldpolitik. Sie fühlen sich in ihrer jahrelang vorgetragenen Kritik bestätigt: Die EZB habe die Wirtschaft mit Geld geflutet, jetzt komme die Quittung in Form von Inflation.
Warum Mär von der Geldmenge falsch ist, habe ich in diesem Artikel gezeigt.
Volcker-Schock - der Zweite!
Wer die Geldmenge und die niedrigen Zinsen als Problem sieht, der kann natürlich nur zu dem Entschluss kommen, dass es die EZB braucht. Häufig wird auf den Zentralbank-Helden vieler Neoliberaler verwiesen: Paul Volcker. Volcker trat 1979 als Vorsitzender der US-amerikanischen FED an und sorgte für einen Zinsschock. Er hob den Zins schlagartig und in der Spitze auf mehr als 20 Prozent an, um die damalige Inflation als Folge der Ölkrise und der Lohn-Preis-Spirale zu ersticken. Damit schickte er die Wirtschaft in die Krise. Die Arbeitslosigkeit stieg von 6 auf 11 Prozent, die Lohn-Preis-Spirale war damit beendet. Weil auch der Ölpreis fiel, sank auch die Inflation allmählich. Als Vorbild taugt eine solche Hau-Ruck-Politik aber wahrlich nicht.
Sie ist vor allem nicht im Sinne der Arbeiter. Wer seinen Job verliert, ist schlechter dran als vorher. Hohe Arbeitslosigkeit schwächt die Verhandlungsmacht der Arbeiter. Sie verlieren dann den Verteilungskampf zwischen Lohn und Profit. Obendrauf erhalten Vermögende risikolose Einkommen. Wer ohnehin schon viel Geld hat, wird bei hohen Zinsen risikolos reicher. Bei Nullzinsen, wie wir sie gerade haben, müssen sie ihr Geld immerhin ins Risiko tragen, etwa auf den Aktien- oder Immobilienmarkt, um noch reicher zu werden.
Es wundert also wenig, dass eine solche Schock-Therapie gerade von neoliberaler Seite gefordert wird. So schrieb etwa der ehemalige Chefredakteur der WirtschaftsWoche, Roland Tichy, zuletzt:
Die EZB sollte in dieser Situation die Geldmenge reduzieren und die Zinsen deutlich erhöhen. Das würde die Weltwirtschaft in eine Depression stürzen, aus der sie sich aber rasch erholen könnte, wenn die Märkte liberalisiert würden.
Das zeigt die ökonomische und politische Geisteshaltung sehr gut. Vonseiten der EZB ist derzeit allerdings keine Schock-Therapie zu erwarten. Zum Glück!
Die eigentliche Frage
10 Jahren lang versuchte die EZB gegen die Wirtschaftsschwäche in der Eurozone mit Nullzinsen und Anleihekäufen anzukämpfen – vergebens. Sie hat es nicht geschafft, ihr Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen. Aus dem Versuch, der Wirtschaft leben einzuhauchen, wird jetzt der Auftrag, die Inflation zu bremsen. Mit beidem ist sie überfordert. Deswegen ist die Diskussion um höhere Zinsen letztlich auch vergebene Mühe. Die eigentliche Frage ist: Warum nicht der EZB das Inflationsmandat abnehmen und es den Regierungen übertragen? Denn die Finanz- und Wirtschaftsminister verfügen über viel bessere Werkzeuge als die EZB. Sie sollte ihren Zins einfach bei null belassen und sich darum kümmern, dass die Staaten günstig an neues Geld kommen und die großen Banken verlässlich beaufsichtigt werden. Finanzstabilität statt Preisstabilität sollte das neue Motto heißen. Damit würde der Debatte und der Politik ein großer Dienst erwiesen. Dann müssen wir nicht Lagarde fragen, ob sie Geld teurer macht, sondern Lindner, ob er Heizen und Tanken günstiger macht.
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