Mit heißer Nadel gestrickt
Christian Lindner hat den ersten Ampel-Haushalt vorgelegt. Was steckt drin? Was fehlt?
Es ist soweit. Finanzminister Lindner präsentiert kommende Woche den Bundeshaushalt für 2022 - und den Finanzplan bis 2026. Im Wahlkampf hat er sich noch als Obersparkommissar präsentiert, jetzt muss er trickreich Schulden machen. Dabei befindet sich Lindner auf einer komplizierten Gratwanderung, bei der viele Seiten an ihm zerren. Grüne Klimawünsche, Scholz’ 100-Milliarden-Bundeswehrmachtwort und gelbe Entlastungsversprechen stehen dem neoliberalen Mantra vom sparsamen Staat gegenüber. Dazu der Zeitdruck, denn ab 2023 muss die Schuldenbremse wieder eingehalten werden! Zum Vorgeschmack auf die Haushaltswoche im Bundestag gibt es einen kleinen Faktencheck.
Der Fahrplan
Hier erst einmal der grobe Fahrplan. Im Vergleich zum GroKo-Haushalt 2021 sinken die Ausgaben 2022 um rund 100 Milliarden. Warum? Im Vorjahr haben die wegen der Lockdowns notwendigen Coronahilfen die Ausgaben massiv hochgeschraubt. 2022 scheint das bisher nicht notwendig zu sein. Die Ausgaben für Unternehmenshilfen sinken von 70 Milliarden auf 16 Milliarden. Hoffen wir, dass es so bleibt. Dazu fallen die 60 Milliarden, die 2021 einmalig in den Klimafonds geschoben wurden, 2022 raus.
Dafür, dass die Ampel ein “Jahrzehnt der Investitionen” angekündigt hat, kann man davon im Haushalt relativ wenig sehen. Die geplanten Investitionen sind mit rund 51 Milliarden pro Jahr zwar etwas höher als bei der GroKo, aber längst nicht so groß, wie man vielleicht bei der Ankündigung eines “Jahrzehnts der Investitionen” vermutet hätte. Auch nicht, wenn man die Investitionen aus dem Klimafonds hinzuzählt. Dazu aber gleich mehr.
Mit knapp 22 Milliarden fällt der größte Teil der öffentlichen Investitionen auf den Bereich Digitales und Verkehr. Gemessen an den gesamten Ausgaben in Höhe von 457 Milliarden ist der größte Etat allerdings der für Arbeit und Soziales. Dafür sind Ausgaben in Höhe von 160 Milliarden geplant.
Die Steuereinnahmen sollen kräftig steigen. Warum? Nun, zum einen, weil die Wirtschaft aus dem Corona-Tief kommt und wieder vernünftig wächst - und zum anderen, weil die Inflation höhere Steuereinnahmen bringt. Beispiel Benzin: Wenn der Liter Super-Benzin 2,10 Euro statt 1,40 Euro kostet, nimmt der Staat mit den 19 Prozent Mehrwertsteuer auch mehr ein. Gleiches gilt bei allen anderen Preisen auch. Obendrauf kommt die kalte Progression bei der Lohnsteuer.
Die Neuverschuldung sinkt im Vergleich zum Vorjahr von 215 auf 99,7 Milliarden. Wohlgemerkt ohne die angekündigten 100 Bundeswehrmilliarden, denn die laufen am regulären Haushalt vorbei. Gleichwohl sieht Lindner die 99,7 Milliarden Neuverschuldung als fiskalkonservativen Erfolg. Denn schon die GroKo hatte im ersten Regierungsentwurf mit 99,7 Milliarden Euro Neuverschuldung geplant, wie die Tabelle unterhalb zeigt. Lindner schmückt sich in Interviews damit, dass er auch unter diesen schwierigen Umständen nicht mehr Schulden machet, als die GroKo ohnehin gemacht hätte.
Dass das ein großer Erfolg ist, steht aber selbst in Lindners Logik auf wackligen Füßen. Denn im Vergleich zur GroKo-Planung hat die neuste Steuerschätzung 17,3 Milliarden mehr Steuereinnahmen für 2022 vorgesehen, die es Lindner leicht gemacht haben, die 99,7 Milliarden aus dem ersten Entwurf zu halten. Außerdem ist das bereits angekündigte zweite Entlastungspaket gegen die hohen Energiepreise in diesem Haushalt noch nicht eingerechnet. Wenn die Ampel sich auf ein zweites Paket geeinigt hat und die Entwicklung im Ukraine-Krieg besser abzuschätzen ist, wird Lindner einen Ergänzungshaushalt nachlegen. Dann war es das mit den 99,7 Milliarden. Zu guter Letzt sind die schon erwähnten 100 Bundeswehrmilliarden nicht im regulären Haushalt abgebildet. Trotzdem wird Lindner Anleihen im Wert von 100 Milliarden Euro verkaufen müssen. Schönrechnerei.
Auffällig ist zudem, dass die Ausgaben für die vier Folgejahre drastisch sinken. Hintergrund ist die Schuldenbremse, die ab 2023 wieder ohne Ausnahme greift.
Die Bremse
Die wegen der Pandemie aktivierte Notfallklausel der Schuldenbremse läuft planmäßig zum Ende des Jahres aus. Und - da wird schon viel passieren müssen, damit Lindner sich dazu breitschlagen lässt, die Schuldenbremse erneut auszusetzen. Denn Lindner ist ja nicht nur Finanzminister, in der Rolle könnte er pragmatisch sein, sondern gleichzeitiger auch FDP-Parteichef. In der Rolle muss er gesichtswahrend gegenüber seinen gelben Parteikollegen agieren, das darf man nicht vergessen. Und die wollen schließlich eher alle, dass Lindner sparsam und konservativ agiert. Lindners Symbol dafür wird die strikte Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 sein, vermute ich.
Wichtig: Zur Schwarzen Null wird Lindner nicht zurückgehen. Schuldenbremse und Schwarze Null werden häufig verwechselt, auch von linken Politikern, sind aber zwei paar Schuhe. Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz und erlaubt eine Neuverschuldung von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung - bereinigt um die sogenannte Konjunkturkomponente. Die Schwarze Null ist ein Marketinggag von Wolfgang Schäuble, der damit einen ausgeglichenen Haushalt (0,00 Prozent Neuverschuldung) meinte. Der Unterschied zwischen Schuldenbremse und schwarzer Null ist nach Lindners Finanzplan 7,5 bis 13,7 Milliarden Euro schwer. Ein gewichtiger Unterschied!
Schaut man sich die Pläne im Haushalt dazu näher an, findet man schon das erste Kuriosum. Denn Lindner nutzt zwar ab 2023 den vollen Spielraum der Schuldenbremse aus, dieser ist allerdings durch die Anwendung der Konjunkturkomponente deutlich kleiner als 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wie kommt das? Da sind wir wieder bei der schon erwähnten Konjunkturkomponente. Die Idee dahinter ist, dass der Staat weniger Schulden machen darf, wenn die Wirtschaft voll ausgelastet ist und zu überhitzen droht. Macht grundsätzlich Sinn, aber die konkrete Berechnung dahinter leider nicht.
Wie die Grafik unten zeigt, berechnet sich die Konjunkturkomponente maßgeblich aus dem Unterschied zwischen dem sogenannten Produktionspotenzial, das ist, was die deutsche Volkswirtschaft in einem Jahr Vollauslastung maximal produzieren könnte, und dem erwarteten Bruttoinlandsprodukt. Die Differenz ergibt die Produktionslücke, die mit einem festen Faktor, der sogenannten Budgetsemielastizität (schreckliches Wort) multipliziert wird und dann die Konjunkturkomponente ergibt.
Wenn das Produktionspotenzial kleiner als das erwartete Bruttoinlandsprodukt ist, wird die Konjunkturkomponente positiv und verringert die zulässige Neuverschuldung der Schuldenbremse. Genau das ist ab 2023 der Fall. Die zulässige Neuverschuldung wird um ganze 5,3 Milliarden Euro reduziert. Heißt übersetzt: nach gegenwärtiger Berechnungsmethode befindet sich Deutschland 2023 in der Vollbeschäftigung. Wie bitte? Schon ein Jahr nach heftiger Corona-Krise haben wir endlich mal wieder Vollbeschäftigung und die Wirtschaft droht zu überhitzen? Wir haben doch immer noch Millionen Arbeitslose und Hunderttausende in Kurzarbeit? Skepsis ist angebracht. Warum? Hier steckt der Teufel im Detail. Vereinfacht: Die Schätzung des Produktionspotenzials ist zu konservativ, weil sie vor allem darauf beruht, wie das Bruttoinlandsprodukt in den letzten Jahren war. Niedriges Wachstum in der Vergangenheit heißt niedriges Produktionspotenzial. Besser wäre es, das Potenzial stärker an der Auslastung der Industrie und der Höhe der Arbeitslosigkeit auszurichten.
Besonders problematisch: Das konservative Verfahren wird auch für die europäischen Schuldenregeln angewendet und hat dazu geführt, dass für Griechenland und Italien nach Jahren der Krise und trotz hoher, zweistelliger Arbeitslosenquoten Vollbeschäftigung nach dieser Berechnungsmethode festgestellt wurde. Die Folge war, dass der Finanzminister weniger Geld ausgeben durfte, was den Abbau der wirklichen Arbeitslosigkeit gehemmt hat. Ja, völlig absurd.
Die Ampel hatte sich im Koalitionsvertrag sogar noch darauf geeinigt, die Berechnungsweise der Konjunkturkomponente zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Das wäre dringend nötig, um auch unter der Schuldenbremse noch ein paar Milliarden mehr locker zu machen. Auch Lindner könnte das helfen. Vielleicht kommt das 2023 noch mal auf den Plan.
Außerdem wird Lindner mit dem Verkauf von Staatsanleihen wohl auch 2022 wieder ein gutes Geschäft machen. Geplant sind Zinsgewinne in Höhe von 6,2 Milliarden. Allerdings begeht Lindner dabei aus meiner Sicht einen Fehler. Denn während 2021 noch 40 Prozent aller verkauften Anleihen eine Laufzeit von länger als vier Jahren hatten, sind es 2022 nur noch 38 Prozent. Da die Debatte über Zinserhöhungen in der Eurozone auf Hochtouren läuft, wäre es unter den Bedingungen der Schuldenbremse sinnvoll, jetzt mehr langlaufende Anleihen zu verkaufen, um die günstigen Konditionen für die nächsten Jahre zu sichern. Selbst in Lindners Fiskalkonservatismus.
Die Tricks
Bisher muss Lindner nämlich ziemlich viel tricksen, um die Schuldenbremse zu umgehen. Schon die 60 Milliarden, die mit dem Nachtragshaushalt 2021 in den Klimafonds geschoben wurden, laufen an der Schuldenbremse vorbei. Gleiches gilt für die 100 Bundeswehrmilliarden, die ebenso wie der Klimafonds zu einem sogenannten Sondervermögen gemacht werden. Wie das funktioniert, habe ich in diesem Artikel schon einmal beschrieben.
Bei den Bundeswehrmilliarden hilft allerdings die Aussetzung der Schuldenbremse bei der Umgehung nicht, deshalb soll das “Sondervermögen Bundeswehr” ins Grundgesetz geschrieben werden. Dazu kommt dann der kleine Satz:
“Die Kreditermächtigung wird von den Kreditobergrenzen der Schuldenregel ausgenommen”.
Zack! Schon hat man die Schuldenbremse ausgedribbelt. Zumindest, wenn die Union am Ende mitspielt.
Ein Problem aber bleibt. Die deutsche Schuldenbremse kann so ausgetrickst werden, nicht aber der europäische Fiskalpakt. Der sieht vor, dass Länder mit einer Staatsverschuldung von mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung ihre jährliche Neuverschuldung auf 0,5 Prozent begrenzen. Der Unterschied zur Schuldenbremse: hier werden alle Ausgaben mitgezählt, auch die aus den Sondervermögen des Bundes! Mit den Klimainvestitionen und den Bundeswehrausgaben dürfte diese 0,5 Prozent-Hürde locker gerissen werden. Das ist aber eine gute Nachricht! Denn das übt Druck auf Christian Lindner aus. Druck darauf, die europäischen Schuldenregeln zu reformieren, wie es Frankreich und Italien etwa fordern - und wie es dringend nötig wäre. Allerdings ist der Druck nicht so groß, dass große Sprünge zu erwarten sind. Eher wird Lindner minimalinvasive Eingriffe durchboxen. Aber immerhin.
Damit kommen wir zum Klimafonds. Erinnert ihr euch an die 200-Milliarden-Schlagzeile? Nachdem sich die ganze Presse an den 100 Milliarden für die Bundeswehr festgebissen hatte, warf Lindner zur Ablenkung eine neue Zahl in den Raum. Und die war doppelt so groß: 200 Milliarden. 200 Milliarden will die Ampel für Klimaschutz ausgeben, so die gut vermarktete Ankündigung. Gleich danach hatte ich die Ankündigung aber in diesem Artikel schon einmal auf Herz und Nieren geprüft. Ergebnis: Mogelpackung!
Die Lücken
Natürlich ist es erst einmal gut, dass die Grünen 2021 schon 60 Milliarden zusätzlich für den Klimafonds rausgeholt haben und damit jetzt Klimainvestitionen hochfahren. Aber es ist eben nicht so gut, wie es medial vermarktet wird. Und es ist absolut gesehen nicht gut, wenn man es an den grünen Wahlkampfversprechen oder den ökonomischen Notwendigkeiten bemisst.
2022 betragen die Ausgaben aus dem Klimafonds 27,8 Milliarden Euro. Das sind 1,4 Milliarden weniger, als noch die GroKo geplant hatte. In den Folgejahren aber steigen die Ausgaben auf 36, dann 45 und dann 47 Milliarden Euro, wie die Grafik unterhalb zeigt. Macht in Summe während der Ampel-Legislatur rund 157 Milliarden Euro an Ausgaben aus dem Klimafonds.
Das sind 61 Milliarden mehr als die GroKo geplant hatte, aber eben keine 200 Milliarden. Denn auf die 200 Milliarden kommt man erst, wenn man die geplanten 45 Milliarden für das Jahr 2026 hinzurechnet. 2026 aber gibt es schon eine neue Regierung.
Außerdem ist das Timing der Ausgaben nicht optimal für die Einhaltung des europäischen Fiskalpakts. 2022 ist dieser noch ausgesetzt und würde nicht zum Spielverderber werden. Ab 2023 wird er aller Voraussicht nach wieder gelten. Genau dann aber steigen die Klimafonds-Ausgaben erst so richtig. Natürlich lassen sich nicht alle Investitionen auf einmal im Jahr 2022 von der Rampe schieben, aber einige Ausgaben vorzuziehen, hätte unter den Umständen des irrsinnigen Fiskalpakts sinnvoll sein können.
Die Prioritäten
Auch mit Blick auf die Verwendung der zusätzlichen Mittel aus dem Klimafonds stellt man fest. Gut -, aber nicht so gut, wie es auf dem ersten Blick scheint. Im Kabinettsentwurf hieß es:
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