Pleitewelle gegen Inflation?
Aus der Energiekrise wird eine Wirtschaftskrise. Gegen die Inflation hilft das aber nicht!
Wir taumeln von einer Krise in die nächste. Aus der angebotsseitigen Energiekrise wird eine nachfrageseitige Wirtschaftskrise. Kein Wunder, denn je mehr die Leute fürs Heizen, Tanken und Duschen bezahlen, desto weniger bleibt für Shopping, Kultur und Dienstleistungen. Die Gesellschaft für Konsumforschung führt jeden Monat Tausende Interviews, um die Konsumstimmung der Verbraucher zu messen. Das Ergebnis im August: Rekordtief. Zum einen weil heute schon mehr für Energie im Alltag drauf geht, zum anderen weil die Menschen die Groschen zusammenhalten, um sich für böse Nebenkostenbriefe in der Zukunft zu wappnen — so gut es eben geht.
Dadurch fressen sich die teuren Preise für Strom und Gas durch die ganze Wirtschaft. Nicht nur energieintensive Chemie- und Stahlproduzenten kommen in Bedrängnis, sondern auch Kinobetreiber, Bäcker und Friseure. Die Bundesbank kommt in ihrem neuesten Monatsbericht zur gleichen Einschätzung:
»Die hohe Inflation und die Unsicherheit in Bezug auf die Energieversorgung und ihre Kosten beeinträchtigen dabei nicht nur die gas- und stromintensive Industrie […], sondern auch den privaten Konsum und die davon abhängigen Dienstleister. […] Es mehren sich die Anzeichen für eine Rezession der deutschen Wirtschaft im Sinne eines deutlichen, breit angelegten und länger anhaltenden Rückgangs der Wirtschaftsleistung.«
Die Folgen sind absehbar: Pleiten, Jobverluste, Existenznöte — vom Industriegebiet bis zur Innenstadt. Wer heute schon einen finanziellen Überlebenskampf führt, kann es sich nicht leisten, jetzt auch noch den Job zu verlieren. Kurzarbeit hin oder her: Ein Drittel weniger Einkommen geht an die Substanz! Schon die Belastungen durch die Preisanstiege fängt die Ampel mit den knauserigen Entlastungspaketen nicht auf, von drohenden Einkommensverlusten fangen wir also besser gar nicht erst an.
Aber die Wirtschaftskrise ist politisch ja sogar gewollt. Die EZB hebt den Zins an, um die Wirtschaft auszubremsen. Die Technokraten aus dem Frankfurter Bankenviertel wollen Malocher arbeitslos machen, um die Inflation zu bekämpfen. Klingt perfide, sagt auch keiner von denen so deutlich, ist aber das Kalkül. Übrigens seit jeher, das ist nichts Neues. Arbeitslose haben im ökonomischen Mainstream einen wichtigen Job: Sie sind Drohmasse gegen starke Lohnerhöhungen, um Inflation in Schach zu halten. Ist in jedem VWL-Lehrbuch unter dem Stichwort »NAIRU« oder »Phillipskurve« nachzulesen.
Auch Christian Lindner spielt mit und verordnet Deutschland ab 2023 eine Sparpolitik, bei der er Jobverluste in Kauf nimmt. In der Tagesschau sagte er dazu: «Natürlich ist Inflationsbekämpfung immer verbunden mit einer befristeten wirtschaftlichen Abkühlung. Aber das ist eben der Preis, diese Inflation zu stoppen.« Ist das so?
Nachfrageschock als Preissenker?
Nein, eine unkoordinierte Wirtschaftskrise ist aus mehreren Gründen kein kluger Plan, um die Inflation zu stoppen.
Erstens, weil Firmen pleitegehen, die gar nicht besonders energieintensiv sind. Wenn Friseure, Kinos oder Restaurants dichtmachen, gehen viel Einkommen und Jobs verloren, aber es wird nur verhältnismäßig wenig Energie eingespart. Eine Pleitewelle in Innenstädten wäre außerdem fatal für das Gemeinwohl, die Nahversorgung und die gesellschaftliche Stimmung. Die gesellschaftlichen und ökonomischen Kosten wären hoch, der Beitrag zur Inflationsbekämpfung niedrig. Denn der Marktmechanismus nimmt auf das Kosten/Energiespar-Verhältnis keine Rücksicht. Kann er auch nicht.
Der Markt kann eben nur nach Profitabilität gehen. Die Erkenntnis müsste eigentlich in der Politik schon die Runde gemacht haben, denn genau deshalb gibt es ja ein Gesetz, das im Notfall eines Gasmangels definiert, wer noch Gas bekommen soll und wer nicht. Das Gesetz legt nämlich fest, wer zu den »geschützten Kunden« zählt. Jenseits der »geschützten Kunden« soll die Bundesnetzagentur bestimmen, welchen Branchen im Notfall zuerst und welchen zuletzt Gas abgestellt wird. Damit eben nicht das kommunale Krankenhaus oder der Supermarkt schließen, während der Bitcoin-Miner und das Casino noch auf haben. Jedem liberalen Ökonomen müsste es außerdem ein Dorn im Auge sein, dass ausgerechnet die Firmen, die auf energiearme Dienstleistungen gesetzt haben, über mehrere Ecken von dem exogenen Schock der Energiekrise als Erstes erwischt werden. Scheinbar sind die stumpfen Preissignale und Profitanreize des Marktes der komplexen Krise nicht gewachsen.
Zweitens, weil eine sinkende Nachfrage die Skalenerträge der Betriebe zerstört und ihre Stückkosten hochtreibt. Mit Skaleneffekten (»Economies of Scale«) ist gemeint, dass die Produktionskosten pro Stück bei steigender Produktionsmenge fallen. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sich die Fixkosten — Miete, Personal, Zinsen, Abschreibungen, Strom und Wasser fürs Büro und so weiter — auf mehr Produkte verteilen und damit sinken. Fixkosten fallen nämlich unabhängig davon an, wie viel produziert wird. Wenn der Bäcker weniger Brötchen verkaufen kann, weil es den Kunden an Kaufkraft fehlt, dann steigen seine Stückkosten pro Brötchen. Denn dann muss er seine fixen Kosten ja mit weniger Brötchen decken. Gleiches gilt für den Friseur, das Kino und den Glasproduzenten. Die Stückkosten sind wichtig, weil Firmen ihre Preise daran ausrichten. Eine Wirtschaftskrise erhöht die Stückkosten für alle Firmen, die dann weniger verkaufen. Das erzeugt — neben den steigenden Energiekosten — weiteren Preisdruck nach oben. Wenn der Bäcker seine Preise nicht erhöht, fällt seine Marge und damit die Überlebenswahrscheinlichkeit für seine Existenz.
Drittens, weil sinkende Einkommen nicht unbedingt den Energieverbrauch senken. Das liegt daran, dass die Preiselastizität für Energie wie Strom, Gas und Kraftstoffe niedrig ist. Energie ist alltagsnotwendig, Energie ist Grundbedarf. Bevor Verbraucher beim Duschen, Tanken und Heizen sparen, stellen sie Anschaffungen, Shoppingwünsche und Kulturevents auf die lange Bank. Das spart kaum Energie, mindert aber das Lebensglück. Auch für Firmen gilt das. Bevor Firmen in der Produktion an Energie sparen, kürzen sie bei Marketingausgaben oder stellen Investitionspläne auf die lange Bank. Marketingkürzungen sparen kaum Energie, kosten aber am Ende Nachfrage. Anders bei Investitionen in neue, effizientere oder anders betriebene Maschinen, die würden dem Energie-bzw. Gassparen ja sogar helfen. Für solche Investitionen muss das Geschäft aber gut laufen und eine langfristige Perspektive haben. Ohne Perspektive und Luft zum Atmen keine solchen Investitionen. Das wäre zu riskant. Im Augenschein steigender Energiekosten und sinkender Nachfrage ist für viele Firmen an solche Modernisierungen nicht zu denken. Der Staat müsste die Hand ausstrecken, Perspektive bieten und riesige Förderprogramme auflegen.
Krieg gegen fossile Energie, aber ohne Mobilisierung
Die Nachfragekrise hat die Regierung zu verantworten. Sie hat es in der Hand, die Nachfrage mit Entlastungsprogrammen zu stabilisieren. Die 95 Milliarden Euro für die ersten drei Pakete sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Hälfte davon kompensiert gerade einmal die höhere Steuerbelastung durch die Mehrwertsteuer, da bleiben für die Nebenkostenabrechnung und die Mondpreise an der Zapfsäule oder im Supermarkt schon nicht mehr viel übrig. Die Regierung weigert sich bisher sowohl die jetzige Aussetzung der Schuldenbremse für weitere Entlastungen zu nutzen als auch im nächsten für diesen Zweck die Schuldenbremse erneut auszusetzen. In der Banken- und der Corona-Krise wurden jeweils mehrere hundert Milliarden für Krisenbewältigung eingesetzt, warum nicht also auch in der Energiekrise?
Und wo bleibt ein ambitioniertes Förderprogramm für Firmen, die in effizientere und grünere Produktion und energetische Gebäudesanierung investieren wollen? Einige kleinere Programme gibt es ja durchaus, aber das reicht nicht. Warum werden nicht auch sofort alle öffentlichen Gebäude energetisch saniert? Weil Handwerker, Planer und Ingenieure fehlen? Dann die Frage: Wo bleibt die bundesweite Kampagne für die Ausbildung oder Umschulung von Handwerkern und Ingenieuren? Warum bietet der Bund nicht Tausende Euro Bonus für die nächsten zehn Jahre für alle handwerklichen Berufe, die es zur Energiewende braucht? Warum vergeben wir keine Aufträge an Firmen aus anderen Ländern, die gerade nicht in dieser akuten Notsituation sind? Warum gibt es keine Regulierung, die Handwerker und Ingenieure, deren Kapazität in Luxusbauten gebunden ist, freisetzt und für öffentliche Aufträge verfügbar macht? Warum wird die Auslastung dieser knappen Ressource, die es jetzt dringend für das Landeswohl braucht, dem Marktmechanismus überlassen?
Es klingt vielleicht hart, aber: Deutschland sollte Handwerker, Planer und Ingenieure mobilisieren, als führten wir einen Krieg gegen fossile Energie. Schon im März hätte man anfangen müssen. Spätestens! Eigentlich ja schon vor 16 Jahren! Von all diesen Maßnahmen sehe ich nichts. Die Regierung suhlt sich stattdessen in Ausreden vom Geld- bis zum Fachkräftemangel und liefert Mikromanagement und Verzicht-Ratschläge. Wenn der Winter kalt wird, droht uns das auf die Füße zu fallen. Und selbst wenn er nicht kalt wird, kommt der nächste Winter ganz bestimmt. Ohne russisches Gas wird es eine Mammutaufgabe die Gasspeicher wieder gefüllt zu bekommen. Die Energiewende ist dringlicher denn je. Die Regierung sollte der fossilen Abhängigkeit den Krieg erklären und ALLES tun, was dafür notwendig ist.
Mehr dazu auch bald in meinem neuen Buch »Der neue Wirtschaftskrieg». Hier erfahrt ihr mehr und könnt das Buch vorbestellen.
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Ich liebäugele mit dem Gedanken, dass wir als MMT-Bubble gegen ökonomische Idiotie auf die Straße demonstrieren gehen.
Es ist doch unfassbar wie die FDP ihre Idee eines schlanken Staates durchsetzt und damit völlig ungeschoren davon kommt. Das ganze wird dann medial auch noch unterstützt, weil man in der regel dem Monetarismus das Wort redet, anstatt mal mit journalistischer Präzision die Widersprüche dieser Theorie aufzuzeigen.
Legislative und Journalismus versagen gerade auf ganzer Linie, weil sie ihre regulierende bzw. kritisch hinterfragende Arbeit einfach eingestellt haben. (Das ist schlichte Arbeitsverweigerung)
Die Lichtblicke die es Hier und da gibt, so wie deine Arbeit oder auch J&N zum Beispiel sind noch zu leise. Wir müssen lauter werden. Daher bin ich auch dafür dass wir demonstrieren gehen. ^^