Betrügerische Maskenmillionäre
Über Fynn Kliemanns Maskenbetrug können Spahn, Tandler und die Jungunternehmer von Emix nur müde lachen. Eine Chronologie über krumme Deals.
Krise kann auch geil sein. So lautete das Motto von Influencer und Unternehmer Fynn Kliemann, der Schutzmasken aus Bangladesch und Vietnam als „fair“ und „in Europa produzierte“ Masken verkaufte. Ein millionenschwerer Deal, ein millionenschwerer Betrug. Leider hat Kliemann, der mit kreativen Do-It-Yourself-Videos auf YouTube bekannt geworden ist, auch bei seinen krummen Maskendeals auf Do-It-Yourself gesetzt. Investigative Recherchen von ZDF Magazin Royale haben den leichtsinnigen Betrug auffliegen lassen. Die heutige Ausgabe von Böhmermanns aufklärerischen Satire-Show sei deshalb wärmstens empfohlen. Aber Kliemann ist längst nicht Deutschlands dreistester Betrüger!
Im Vergleich zu anderen Betrugsfällen ist Kliemanns läppischer Millionendeal ein kleiner Fisch im Haibecken. In genau diesem schwimmen nämlich die zwei Jungunternehmer von der Schweizer Handelsfirma Emix gemeinsam mit Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, CSU-Lobbyistin Andrea Tandler, CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier und der Beratungsriese EY.
Im Bundestag habe ich viel dazu recherchiert. Der Fall Kliemann ist ein guter Anlass, um die schmutzigen Maskendeals aus Unionskreisen nochmal chronologisch aufzudröseln.
Am Anfang war der Maskenmangel
Ausgangspunkt der ganzen Betrügereien waren die fehlende Pandemiereserve und der Mangel an Produktionskapazitäten für Schutzmasken zu Beginn der Corona-Pandemie. Das bittere: Schon im Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 wurde explizit darauf hingewiesen, dass der Bedarf an Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung, also auch Masken, im Katastrophenfall nicht mit inländischer Produktion gedeckt werden könne, sodass Engpässe entstehen würden. Genau so ist mit Pandemiebeginn auch eingetreten. Das Gesundheitsministerium (BMG) war die ganzen acht Jahre vor der Pandemie ein CDU-Ministerium: Erst Hermann Gröhe, dann Jens Spahn. Acht Jahre hatten die beiden Zeit, um auf die düstere Prognose aus dem Bericht zu reagieren. Weil das versäumt wurde, musste Spahn in der Pandemie hektisch auf Shopping-Tour für Schutzmasken gehen.
Das war aber gar nicht so einfach. Denn im März 2020 waren Schutzmasken plötzlich weltweit knapp und hart umkämpft. Deutschland verhängte sogar selber einen zeitweiligen Export-Stopp. Über verschiedene Beschaffungskanäle versuchte das BMG dann schnell an Masken zu kommen, – von direkten Verträgen mit Lieferanten über die Unterstützung deutscher Konzerne wie VW und BASF, die über gute Einkaufsnetzwerke in China verfügen, bis hin zu einem speziellen Ausschreibungsverfahren, zu dem wir gleich noch genauer kommen. Das Auftragsvolumen hinter der ganzen Beschaffung liegt bei mehreren Milliarden Euro. Wenn’s hektisch um viel Kohle geht, ruft das natürlich allerlei unlautere Geschäftsganoven auf den Plan!
Danke für den Bentley und den Ferrari
Einen der dicksten Aufträge zog die Firma Emix an Land. Emix ist eine Import-Export-Firma von zwei geschäftstüchtigen Jungunternehmern aus der Schweiz. Bis dato eine so gut wie unbekannten Minifirma. Das sollte sich aber ändern.
Insgesamt vier Verträge schloss Emix im Frühjahr 2020 mit den Bund ab. Und zwar zu Mondpreisen. Die Verträge waren goldene Handschläge und hatten einen ursprünglichen Auftragswert von knapp einer Milliarde Euro. Später konnte der Bund Preise und Menge noch etwas drücken. Am Ende bestand der Deal dann aber immer noch aus 670 Millionen Euro.
Bei den ersten drei Verträgen vereinbarte der Bund erst einen Preis von 7,95 € pro FFP2-Maske, konnte den aber später noch auf 5,95 € drücken. Der letzte Vertrag Ende April lag bei 5,40 € pro Stück. Das alles für ein Produkt, das Monate vorher noch weit unter einen Euro kostete und das etliche andere Lieferanten auch zu dieser Zeit, als viel Druck auf dem Markt war, noch für um die 2 Euro lieferten. Auch in der Schweiz, in Bayern und in NRW machte Emix Deals mit den Regierungen. Dort lagen die Preise gar bei absurden 9 € pro FFP2-Maske. In der Schweiz und in Bayern laufen weiterhin Ermittlungen, im bayerischen Landtag läuft ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
Gegenüber der NZZ berichteten die Jungunternehmen, die Marge für Geschäfte in der Schweiz hätte bei 20-30 Prozent gelegen. Auf Anfrage von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) teilt Emix mit: "Die Marge betrug erheblich weniger als 50 Prozent". Macht allein für die Aufträge des Bundes rund 100 bis 200 Millionen Euro Gewinn. Ein paar Wochen später standen plötzlich ein Bentley und ein Ferrari auf dem Firmenparkplatz. Schlecht kann der Deal also nicht gewesen sein.
Mondpreise brauchen Kontakte
Warum kam Emix im BMGB, in Bayern und in NRW trotz der Mondpreise ins Geschäft? Kontakte! Vermittelt wurde der Deal über Andrea Tandler. Tandler ist die Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs Gerold Tandler, der natürlich bestens vernetzt ist. Tandler gründete mit ihrem Partner kurz vorher eine neue Beratungsfirma mit dem Namen Little Penguin und lies die Geschäfte darüber abwickeln. Über den Kontakt zur CSU-Europaabgeordneten Monika Hohlmeier, wiederum Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß, fand Tandler einen direkten Draht zu Spahn und hat die Deals mit ihm persönlich am Telefon verhandelt. Eine Möglichkeit, die vielen anderen Lieferanten, die auch gerne geliefert hätten - sogar zu günstigeren Preisen! -, verwehrt geblieben ist. Von Emix gab es für das Einfädeln des Deals vorzügliche Provision für Tandler. Zwischen 5 und 7,5 Prozent laut Medienberichten. Laut Spiegel-Recherche flossen rund 48 Millionen € Provision auf das Konto der Little Penguin GmbH, hinter der Tandler und ihr Partner Darius N. stecken. Nicht schlecht für ein paar Telefonate und Vitamin B!
Knapp vier der 48 Maskenmillionen davon haben die beiden im Herbst gleich in Betongold investiert, wie der Spiegel berichtet. Genauer gesagt in eine Luxusvilla in Grünwald bei München: 342 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche, Luxusküche, Koiteich, Blick ins Grüne - so lässt es sich leben.
Spahns Chaos-Beschaffung
Um zu verstehen, wie absurd die Emix-Deals waren, müssen wir uns auch Spahns Chaos-Auktionen ansehen. Im März lies das BMG von der Kanzlei Müller-Wrede eine Ausschreibung konzipieren, mit der schnellstmöglich viele Masken beschafft werden sollten. Daraus entstand das sogenannte Open-House-Verfahren. Bei einem Open-House-Verfahren ist die Anzahl der möglichen Vertragsschlüsse nach oben offen. Die Logik: Jeder Lieferant, der bis Ende April Masken zum Preis von 4,50 € pro Stück liefern kann, bekommt im Open-House-Verfahren automatisch den Zuschlag für das Geschäft. Außerdem versprach das BMG, die Lieferanten schon eine Woche nach Lieferung und Rechnungserhalt zu bezahlen. Das Verfahren war darauf ausgelegt, möglichst viele Zuschläge in einem knappen Beschaffungsmarkt zu bekommen, daher die lukrativen Konditionen. Im Nachhinein dürfte allen klar sein: Die Konditionen waren viel zu lukrativ.
Das Ergebnis war pures Chaos, denn das BMG wurde mit Aufträgen von Maskenlieferanten geflutet. Das Open-House-Verfahren war wie eine öffentliche Einladung zu einer Facebook-Party, die dann viral geht und eskaliert. Der Preis von 4,50 € pro Stück von einem so sicheren Auftraggeber wie dem Bund mit Bezahlung in einer Woche ein goldener Deal war für die Lieferanten. Etliche Lieferanten, mit denen ich selbst bei der Recherche telefoniert habe, sagten mir, dass sie es auch für deutlich weniger Geld gemacht hätten. Maskenlieferanten aus Deutschland sagten, sie hätten die Masken selbst im April zu deutlich günstigeren Konditionen aus Asien einfliegen lassen können. Alle witterten fette Gewinne. So kam es am Ende dazu, dass der Bund fast 738 Verträge über dieses Verfahren geschlossen hatte. Pures Chaos, denn das waren viel zu viele Verträge. Weder war dafür genug Geld im Bundeshaushalt vorgesehen noch hätte die Lagerkapazität für die ganzen Masken gereicht.
Eine Beraterarmee, bitte!
Um das Chaos in den Griff zu bekommen, holte Spahn 50 Berater vom Beraterriesen EY – Ernst & Young – ins Haus. Und zwar ohne Ausschreibung und ohne Verhandlung mit Konkurrenten, dafür aber zu einem üppigen Honorar von fast zehn Millionen Euro. Der Vertrag war erst auf sechs Monate begrenzt, wurde aber nachher auf 18 Monate ausgedehnt. EY ist noch heute dran, das damals gestiftete Chaos zu beseitigen. Der Auftrag brachte EY bis heute knapp 40 Millionen Euro, wie die Bundesregierung auf Anfragen bestätigte.
Zur Erinnerung: EY ist das Unternehmen, das bei Wirecard zehn Jahre lang frisierte Bilanz ohne Wimpernzucken durchgewunken hat und gegen das die Wirtschaftsprüferaufsicht schon 2020 Vorermittlungen aufgenommen hatte, als die Financial Times das erste Mal über mögliche Scheinumsätze bei Wirecard berichtete. Für Spahn kein Grund, die Beratertruppe ohne Ausschreibung reinzuholen. Formal wurde nach sechs Monaten eine Ausschreibung nachgeholten, aber die hätte sich Spahn auch schenken können, weil klar war, dass die Ausschreibung dann auf EY zugeschnitten war. Schließlich war EY schon sechs Monate drin im Stoff.
Spahn begründete die erstmalige Vergabe an EY ohne Ausschreibung damit, dass er in der Notsituation schnell entscheiden musste. Im Ausschuss sagte er, man könne in einer solchen Lage nicht die klassischen sechsmonatigen Vergabeverfahren machen. Eine faule Ausrede. Erstens hatte die EU Anfang April die Leitlinie für die Vergabe öffentlicher Aufträge verändert und die Fristen für Ausschreibungen auf 15 bis 30 Tagen gekürzt. Zweitens hätte Spahn auch ohne Ausschreibung mit anderen Anbietern verhandeln können, hat er aber nicht. Spricht man mit Vergaberechtlern über den ganzen Ablauf, schlagen sie die Hände über dem Kopf zusammen.
Maskenflut stoppen
Die erste Amtshandlung von EY war, das Open-House-Verfahren abzubrechen, um die Angebotsflut aufzuhalten. So geschehen am 8. April 2020. Danach ging es an die Abwicklung. Das Ziel: aus möglichst vielen geschlossenen Verträgen wieder herauskommen. So viele Masken wollte Spahn ja gar nicht kaufen und so viel Geld hatte Spahn im Haushalt gar nicht zur Verfügung. Schnell stand die Gefahr der Haushaltsuntreue im Raum, weil das Open-House-Verfahren ohne Deckel nach oben nicht mit dem Prinzip des Haushaltsvorbehalts zusammenpasse, so seitens einiger Juristen. Um aus den Verträgen zu kommen, setzte EY die ganze Erfahrung ihrer eigenen Rechtsanwälte ein. Neben Qualitätsmängeln mit fragwürdigen Prüfverfahren nutzte man auch das Logistikunternehmen Fiege, das mit der Logistik des Open-House-Verfahrens beauftragt wurde. Einer der Tricks: zu wenige Lieferfenster anbieten, sodass die Lieferanten nicht pünktlich bis Ende April liefern konnten - und dann wegen Lieferverzögerung aus dem Vertrag herausmogeln.
Qualitätsmängel und Lieferverzögerungen nahm der Bund zum Anlass, um vielen Lieferanten, die Masken nicht abzunehmen oder sie nicht zu bezahlen. Die Folge: etliche Lieferanten klagten vor dem Landgericht Bonn und bestehen auf Bezahlung und Schadensersatz. Der Berg an Klagen wird nur langsam kleiner. Zuletzt waren noch rund 90 Klagen rechtsanhängig sind, bei denen es um Schutzausrüstung mit einem Auftragsvolumen von 425 Millionen Euro geht. Capital berichtet dazu:
“Im Oktober 2021 war die Zahl am zuständigen Bonner Landgericht mit 107 beziffert worden. Seither wurden nur 17 abgeschlossen. Nach eigenen Angaben hat das Gesundheitsressort seit 2020 rund 30 Vergleiche mit Lieferanten abgeschlossen. In einigen Fällen waren im vergangenen Jahr auch vorläufige Entscheidungen zugunsten der klagenden Firmen ausgefallen.“
Zurück zu den Masken. Wenn die Union ehrlich an die Marktwirtschaft glaubt, muss sie einsehen, dass der Preis von 4,50 € schlicht viel zu teuer war. Auch der Bundesrechnungshof unter schwarz-gelber Präsidentschaft beklagte die massive Überbeschaffung und die viel zu hohen Preise. Spahns Ministerium hingegen behauptete stets, dass die 4,50 € pro FFP2-Maske marktgerecht waren und beruft sich dabei auf eine Preisstichprobe, die nachträglich von EY durchgeführt wurde und wohl zu dem Ergebnis kommt, dass der Marktpreis am Tag der Stichprobe bei 6,35 € gelegen hätte. Das Problem: EY macht solche Stichproben ständig. Was seriös klingt, ist aber ein lächerlicher Vorgang. EY suchte einfach ein paar Preise auf der Vergleichsplattform Geizhals.de zusammen und erstellte einen Excel-Vergleich. Dabei wurden die Angebote nicht einmal nach Abnahmemenge, Lieferkapazität, geschweige denn Preisunterschieden für Privat- und Geschäftskunden qualifiziert. Näheren Auskünften dazu, wie sich das BMG bereits vor der Stichprobe über den Marktpreis so sicher sein konnte, verweigerte sich das BMG unter Spahn.
Interessant: Spahn informierte sich damals auch nicht, wo und zu welchen Preisen die europäischen Nachbarn einkauften, wie eine Nachfrage an das BMG ergab.
Und jetzt kommt der größte Witz: Obwohl das BMG das Open-House-Verfahren am 8. April abgebrochen hatte, weil es ja schon mit Masken-Verträgen überflutet war, hat es am 24. April noch einen letzten Vertrag mit Emix geschlossen. Und zwar - jetzt kommt’s! - über ganze 100 Millionen Masken. Das sind rund zwei Drittel aller Masken, die von Emix eingekauft wurden. Und das zu einem Stückpreis von 5,40 €. Sprich: Einem Preis, der deutlich über dem ohnehin schon viel zu hohen Preis im gefluteten Open-House-Verfahren lag. Spahn kaufte den Großteil der Masken, die ihm Andrea Tandler von den Schweizer Jungunternehmern vermittelte, also zu Mondpreisen und zu einem Zeitpunkt, an dem er sich aus anderen Lieferverträgen rausmogeln wollte.
Spahn begründet den Vertrag am 24. April damit, dass er sich nicht sicher war, wie viele Lieferanten aus dem Open-House-Verfahren auch wirklich liefern würden. Das ist aber deshalb Unsinn, weil ja schon rund eine Woche später der Logistiker Fiege offenbar überfordert war und den Lieferanten zu wenig Anlieferzeitfenster zur Verfügung stellte.
Spahns Vetternwirtschaft
Apropos Fiege: Es wird noch dicker!
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