Energie muss bezahlbar sein!
Was tun gegen explodierende Energiepreise? Mehrwertsteuer runter! Polen hat's gemacht, Verdi ist dafür, Ulrich Schneider mit fragwürdigen Argumenten dagegen.
Die Preise für Sprit, Gas und Heizöl gehen durch die Decke, Tanken und Heizen ist längst zum belastenden Einkommensfresser geworden. Und das nicht nur für die Ärmsten der Armen, sondern weit bis in die Mittelschicht. Mein Vorschlag lautete deshalb: Die Mehrwertsteuer auf Energie zeitweise von 19 auf 7 Prozent absenken. Das wäre sofort umsetzbar, würde schnell wirken und das verstehen die Leute. Die Ampel plant dagegen einen knauserigen Heizkostenzuschuss und die vorzeitige Abschaffung der EEG-Umlage. Das ist beides an sich okay, hilft aber dem pendelnden Malocher nicht! Der Heizkostenzuschuss etwa kommt nur bei 2,1 Millionen Menschen an. Seit gestern gibt es einen neuen Fürsprecher für die Mehrwertsteuersenkung, die Gewerkschaft Verdi, und einen neuen Skeptiker, Ulrich Schneider vom Paritätischen. Letzterer bringt allerdings sehr fragwürdige Argumente vor.
Im Video bin auch auf andere Einwände eingegangen, etwa auf die Wirkung für den Klimaschutz. Mondpreise an der Tankstelle sind kein Klimaschutz, wenn Bus und Bahn keine Alternativen sind. Die Leute sind aufs Auto angewiesen und können nicht einfach weniger fahren, nein, sie kürzen dafür woanders - im Supermarkt und beim Friseur! Entsprechend ist ein bisschen Entlastung über die Mehrwertsteuer auch nicht klimaschädlich. Wenn Superbenzin nur noch 35 statt 50 Cent mehr pro Liter kostet als vor einem Jahr, fangen die Leute bestimmt nicht an, Stadtrennen zu veranstalten. Für Ökonomen gesprochen: Die Preissenkung durch die Mehrwertsteuer führt nicht zu mehr Verbrauch, weil die Preiselastizität niedrig ist. Dafür kosten unkontrollierte Preisexplosionen Akzeptanz für echten Klimaschutz.
Von Polen lernen, auf Verdi hören
Polen hat Tatsachen geschaffen. Dort ist die Mehrwertsteuer gestern von 23 auf 8 Prozent gesenkt worden. Und es wirkt! Der RBB berichtet:
"Die Literpreise fallen aktuell von etwa 1,30 auf durchschnittlich 1,10 Euro (rund 5 Zloty)"
Viele linke Skeptiker zweifelten daran, dass die Steuersenkung auch weitergegeben wird. Und grundsätzlich sind die Zweifel berechtigt, gerade bei marktmächtigen Unternehmen. Allerdings geht es ja um die Entlastung für Verbraucher und nicht darum, ob die Unternehmen sich 2 Prozent der Steuersenkung einsacken oder nicht. Wenn sie marktmächtig sind, können sie auch ganz ohne Steuersenkung ihre Profite hochschrauben. In Polen sieht man den deutlichen Preiseffekt, die Entlastung für den pendelnden Malocher. In Brandenburg hingegen beschweren sich die Tankstellenbetreiber über Tanktourismus, weil die Leute lieber 30 km über die Grenze fahren, um den Wagen vollzutanken. So viel auch zum Klimaschutz-Argument!
Neben dem Ökonomen Peter Bofinger hat sich jetzt auch die Gewerkschaft Verdi für schnelle Entlastung ausgesprochen. Dafür schlägt Verdi vor, die Mehrwertsteuer auf Energie vorübergehend auszusetzen und Familien einen einmaligen Kinderbonus von 200 Euro zu zahlen. Grundsicherungsempfänger sollen zudem einen zusätzlichen Beitrag von 200 Euro erhalten. Ein guter Vorschlag wie ich finde, auch wenn die Aussetzung nach EU-Regeln deutlich komplizierter als die Absenkung auf den ermäßigten Satz von 7 Prozent ist. Doch es gibt auch Gegner aus den eigenen Reihen!
Verbrauchsteuern sind neuerdings sozial?
Nachdem Polen den Beweis für die Entlastung der Mehrwertsteuersenkung erbracht und sich mit Verdi ein schwergewichtiger Fürsprecher eingereiht hatte, schoss Ulrich Schneider, Geschäftsführer vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, hart dagegen. Bezeichnenderweise gab der Verband gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) eine gemeinsame Presseerklärung heraus. Der Paritätische schreibt:
Die Bundesregierung denkt richtigerweise an eine Entlastung für die dramatisch gestiegenen Energiepreise. Doch eine Abschaffung der EEG-Umlage kommt nicht zielgerichtet bei denen an, die es am dringendsten benötigen. Stattdessen reißt sie ein großes Loch in den Bundeshaushalt. Angesichts der vielen wichtigen Vorhaben der Bundesregierung, die unter dem Vorbehalt der Finanzierung stehen, ist die Abschaffung haushaltspolitisch unverantwortlich. Dies gilt genauso für die Senkung von Steuern in anderen Bereichen, die Bundesfinanzminister Christian Lindner ins Spiel bringt.
Stattdessen fordern beide Verbände eine Klimaprämie. Auch darauf bin ich im Video schon einmal eingegangen. Die Klimaprämie ist keine Prämie, sondern versuchte Wiedergutmachung dafür, dass man die Verbraucher nicht vor Mondpreisen geschützt hat. Die Leute wollen bezahlbare Preise, nicht Alimentierung vom Staat. Wer sein Einkommen für Mondpreise an der Tanke opfern muss, will nicht zum Amt rennen, um einen Antrag auf Klimaprämie auszufüllen. So eine Prämie ist außerdem mit der FDP nicht zu machen. Die Forderung landet gleich im politischen Seitenaus.
Aber viel wichtiger ist, dass Schneider mit fiskalkonservativen Argumenten (Geld im Haushalt ist knapp) gegen die Entlastung über EEG-Umlage und Mehrwertsteuersenkung schießt. Wie kann denn jemand, der sich für die einsetzt, die am meisten auf den Sozialstaat angewiesen sind, mit ökonomischen Ideen aus der Mottenkiste des Gegners hausieren? Auf Twitter legte Schneider nach. Er schrieb:
Abschaffung der #EEG-Umlage und Absenkung der #Mehrwertsteuer entlastet die am stärksten, die den größten Stromverbrauch haben; sprich: die mit den hohen Einkommen. Was soll daran sozial, ökologisch oder haushaltspolitisch vernünftig sein? Nichts!
Die Diskussion um die #Inflation bekommt langsam populistische Züge. Bald sind wir bei der Forderung nach Abschaffung der kompletten Verbrauchsteuern. Schon mal jemand nachgerechnet? Schon mal auf die soziale Schieflage solcher Gießkannen-Rezepte geschaut? Es geht nur #ökosozial.
Ich weiß gar nicht, wo ich hier anfangen soll. Sind Verbrauchsteuern neuerdings etwa sozial? Wie bitte? Ist die temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer auf einige überteuerte Energieprodukte eine Gießkanne? Sollen arme Leute nur entlastet wenn, wenn es nicht “zu teuer” für den Haushalt wird? Und wer soll eigentlich kapieren, was mit dem Begriff “ökosozial” gemeint ist?
Auf diese Fragen reagierte Schneider mit einem neuen Tweet und erklärte:
Verbrauchsteuern müssen derzeit für einkommensschwächere Haushalte ausgeglichen werden. Das ist haushaltspolitisch deutlich vernünftiger und sozialer als Besserverdienende mit zu „entlasten“ und uns die Spielräume für notwendige öffentliche Ausgaben zu nehmen.
Was meint er mit dem ersten Satz? Sollen Verbrauchsteuern ausgeglichen werden oder die Preisansteige? Ersteres hieße, er plädiert für hohe Verbrauchsteuern und will sie dann über direkte Zuschüsse wieder ausgleichen. Erst den Leuten in den Geldbeutel greifen und dann mit Almosen vom Staat wieder gut machen? Und wieso werden über die Senkung der Verbrauchsteuern vor allem Besserverdienende entlastet? Ich dachte immer Linke wären sich einig, dass Verbrauchsteuern schlechte Steuern sind, weil sie kleine Einkommen gemessen an ihrem Einkommen stärker belasten. Die Kassiererin schmerzen 19 Prozent Steuer auf Lebensmittel, Strom und Sprit viel mehr als den Dax-Manager. Das zeigt auch diese Grafik vom Statistischen Bundesamt am Beispiel der Wohnenergie eindeutig. Die Mehrwertsteuer wirkt regressiv.
Doch auch darauf hatte Schneider eine überraschende Antwort:
Mit Anteilen zu argumentieren macht in diesem Kontext null Sinn. Natürlich hat ein Einkommensmillionär prozentual wenig Energiekosten, gleichwohl bei Abschaffung indirekter Steuern absolut mehr Entlastung als der Niedrigeinkommenshaushalt. Und das kostet viel Geld.
Ob eine Steuer regressiv oder progressiv wirkt, wird ökonomisch immer am Verhältnis zum Einkommen festgemacht. Es geht um Proportionen, nicht um absolute Ausgaben. Schneider liegt hier falsch. Ein verheerender Trugschluss, denn zu Ende gedacht heißt das: Schneider findet Verbrauchsteuern sozial. Nach der Logik wäre auch ein flacher Einkommensteuertarif sozial - wenn der Dax-Manager den gleichen Einkommensteuersatz zahlt wie die Kassiererin. Nichts könnte falscher sein. Ob der Porschefahrer 10 Euro mehr an der Tanke bezahlt oder nicht, wird ihn ziemlich wenig interessieren. Ob die Alleinerziehende mit Renault-Twingo beim Tanken 10€ mehr bezahlen muss, interessiert sie aber schon. Und genau darum geht es doch!
Noch einen Schritt weiter gedacht, hieße die Position Schneider auch, dass Verbrauchsteuern als Umverteilungsinstrument wirken, weil der Porschefahrer absolut gemessen mehr Geld für Konsum ausgibt als die alleinerziehende Kassiererin. Diese Position ist fatal! Das Gegenteil muss linker Konsens sein. Verbrauchsteuern treffen vor allem Arme und Mittelschicht. Und ja, das gilt auch beim Tanken und Heizen!
Weitere Trugschlüsse
In der Debatte auf Twitter gab es von linker Seite noch weitere Trugschlüsse.
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