Ihre Agenda ist die Mottenkiste, Herr Merz!
Warum die Wahl von Merz und das neue Grundsatzprogramm der CDU eine Gefahr für Deutschland sind
Herr Merz, wie fühlt sich das an? Zehn Minuten haben Ihre Parteigenossen applaudiert. Dabei war Ihre 75-minütige Rede ein Skript aus der Vergangenheit. Sie sprachen von der Agenda 2030 und kramten eigentlich nur in der Mottenkiste der Agenda 2010. Gewählt wurden Sie trotzdem, mangels Alternativen. Glückwunsch!
Wir alle wissen: Sie geiern auf den Chefsessel im Kanzleramt. Sie wollen an die Macht. Nächstes Jahr! Am liebsten würden Sie doch König von Deutschland werden, nicht nur Bundeskanzler. Ihr neues Grundsatzprogramm sieht aus nach Traumabewältigung. Ihr Trauma, damals von Angela Merkel verdrängt worden zu sein. In die Flucht getrieben. Von einer Frau. Sie, der Macho-Merz. Was alles wird das Land aushalten müssen, während Sie Ihre Rechnung begleichen?
Sie rücken die CDU nach rechts und zurück in die Vor-Merkel-Zeit. "Die CDU hat eine Idee von der Zukunft“, sagten Sie auf dem Parteitag, „einen Plan für die großen Aufgaben“. Ihr Programm verrät: Das ist ein Bluff. Ihr Plan geht nämlich so: Abschottung getarnt als „Leitkultur“, Deregulierung getarnt als „Freiheitsversprechen“, Sozialstaatsabbau getarnt als „Agenda der Fleißigen“.
Schaut man genauer hin in Ihrem Programm, stößt man auf lauter Widersprüche. Sie wollen die Schöpfung bewahren, aber setzen die Schuldenbremse vor Klimaschutz? Ein weltweiter CO2-Preis allein soll die Erderwärmung stoppen? Sie wollen die Kommunen nicht entschulden, aber den Staat handlungsfähiger machen? Der nächsten Generation soll es besser gehen, aber obwohl Schulen und Brücken bröckeln, gilt das „Bekenntnis zur Schuldenbremse“?
Und trotz Bekenntnis zur Schuldenbremse sollten alle öffentlichen Haushalte „grundsätzlich ohne neue Schulden“ aufgestellt werden? Also sogar schwarze Null statt Schuldenbremse. Herr Merz, sehe ich das richtig: Aus Angst vor den pragmatischen CDU-Ministerpräsidenten (zum Beispiel Berlins Bürgermeister Kai Wegner) fallen Sie finanzpolitisch sogar hinter Christian Lindner zurück?
Weiter im Programm. Gute Löhne seien „eine Frage des Respekts“, aber die Politik „darf keinen direkten Einfluss darauf haben“? Arbeit muss sich lohnen, aber in Sachen Mindestlohn und Tarifbindung haben Sie keine Position? Ihr Menschenbild ist christlich, aber Geflüchtete sollen ihr Verfahren in unsicheren Drittstaaten gemacht bekommen? „Die Liebe zum Menschen“ ist Anspruch Ihrer Politik, aber das Existenzminimum wollen Sie dauerhaft sanktionieren, wenn Jobs und Weiterbildungen abgelehnt werden? Das ist nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit – aus Angst vor der Zukunft.
Die AfD wollten Sie halbieren, Herr Merz. Mit dem Versprechen sind Sie nach der letzten Bundestagswahl angetreten. Mittlerweile hat sich die AfD fast verdoppelt. Ich glaube Ihnen gewiss, dass Sie die AfD ablehnen. Sie sind rechts und konservativ, aber nicht rechtsextrem, schon gar kein Nazi. Das würde den Begriff verharmlosen. Aber Sie lassen sich von der AfD treiben. Das tut der CDU nicht gut, das tut dem Land nicht gut. Möge Ihr neues Grundsatzprogramm nur ein Papiertiger bleiben. Denn wer den Sozialstaat einreißt, treibt noch mehr Menschen zu den rechtsextremen Rattenfängern von der AfD.
Von den Parteigenossen wurden Sie mit 90 Prozent Zustimmung wiedergewählt. Ich glaube nicht, dass Sie sich die Kanzlerkandidatur nehmen lassen wollen. Nicht von Söder, nicht von Wüst. Dabei, so ehrlich will ich sein, wäre mir Wüst lieber für das gespaltene Land. Ein moderner Pragmatiker, kein neoliberaler Populist wie Sie. Einer, der gerade beweist, geräuschlos zu regieren – und nicht nur laut an der Seitenlinie zu poltern. Sie fürchten seine Konkurrenz, das spürt man.
„Deutschland kann es besser“, das haben Sie als Motto ausgegeben. Stimmt. Ich finde aber vor allem: Die CDU kann es besser.