Panikmache wegen US-Schuldenberg
Der IWF warnt vor dem Schuldenberg der USA, ein ZEIT-Redakteur stimmt zu. Aber: Was ist da wirklich dran?
Jüngst sind in Washington die Finanzminister und Notenbankchefs der Welt zusammengekommen. Ein brisantes Thema auf der Tagesordnung: Die Schulden der USA. 33,4 Billionen Euro beträgt der Schuldenstand, das sind 122 Prozent der Wirtschaftsleistung. Letztes Jahr betrug das Staatsdefizit fast neun Prozent, in der Pandemie waren es sogar bis zu 15 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland waren es zuletzt zwei Prozent, und der Schuldenstand steht bei 64 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt in seinen Berichten vor der „besorgniserregenden“ US-Verschuldung, die „nicht im Einklang mit langfristig tragfähigen Finanzen“ stehe und „ein Risiko für die globale Finanzstabilität“ bedeute. Der Wirtschaftsredakteur der ZEIT, Kolja Rudzio, hat sich den Warnungen in der neuen ZEIT-Ausgabe angenommen – und stimmt dem IWF zu. Gute Argumente hat er dafür allerdings nicht. Viel mehr zeigt der Artikel, wie schlecht es um den deutschen Wirtschaftsjournalismus bestellt ist.
Schuldenmachen nur in Krisen?
Schuldenmachen sei nur etwas für Krisenzeiten, meint Rudzio. Und weil die US-Wirtschaft längst wieder boomt, würden neue Schulden nur die Inflation treiben.
Erstens: Die Wirtschaft boomt eben nur, weil die US-Regierung aufs Gaspedal gedrückt hat; weil Biden nicht so verbohrt ist wie die Schwäbische-Hausfrauen-Politiker hierzulande und keine Angst vor Schulden hat. Neun Prozent Neuverschuldung entsprächen in Deutschland 360 Milliarden Euro, 15 Prozent sogar 600 Milliarden – unvorstellbare Summen für Deutschland; nicht auszumalen, wie die Ampel sowas hätte öffentlich vertreten sollen. Sich wegen der Neuverschuldung zu sorgen, die gerade die Wirtschaft aus der Krise geholt hat, ergibt also wenig Sinn. Ohne die Schulden müsste man sich ja um Krise sorgen, nicht um die Schulden. Das eine geht nicht ohne das andere. Bestes Beispiel: Deutschland. Hier freut sich der Finanzminister Lindner zwar über die sinkende Staatsverschuldung, aber die Wirtschaft steckt im fünften Krisenjahr in Folge. Was ist wohl besser?
Insofern kann man die USA, zweitens, nur dazu beglückwünschen, dass die sich über nachfragegetriebene Inflation schon wieder einen Kopf machen dürfen. Das ist ein Symptom des finanzpolitischen Erfolges. In Deutschland ist man davon weit entfernt. Hier sind Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit letztes Jahr gestiegen, in den USA gefallen. Die Inflationsrate lag in den USA mit 3,5 Prozent im März zwar noch höher als in Deutschland mit 2,2 Prozent; dafür sind die US-Löhne deutlich stärker gewachsen. Zum Vergleich: Ende 2023 waren die deutschen Reallöhne noch sechs Prozent kleiner als Ende 2019, dafür die US-Reallöhne schon 1,7 Prozent größer. Die Inflation ist für Deutsche also ein größeres Problem als für die Amerikaner. Kein Wunder, dass in Deutschland der private Konsum noch unter dem Vor-Pandemie-Niveau liegt und in den USA schon fast zehn Prozent darüber.
Drittens ist die Logik „Schulden nur in Krisenzeiten“ grundsätzlich falsch. Mit wenigen Ausnahmen hat die USA seit dem Zweiten Weltkrieg jedes Jahr ein Staatsdefizit gefahren, in den letzten 20 Jahren dazu eines, was immer größer als drei Prozent gewesen ist.
Das ist auch kein Wunder, denn die USA sind ein riesiger Netto-Importeur und die Privathaushalte wollen Überschüsse. Heißt: Damit die Privaten mehr einnehmen können, als sie ausgeben; und die USA für Importe mehr Geld an das Ausland überweisen können, als sie einnehmen; muss der Staat jedes Jahr mehr ausgeben, als er einnimmt. Das ist simple ökonomische Saldenmechanik. Wenn sich weder die Privaten noch das Ausland verschulden, bleibt die Neuverschuldung beim Staat hängen. Würde sich die Regierung gegen die Schuldnerposition mit Sparwahn wehren, würde sie nur die Wirtschaft abwürgen.
Neoliberale Zirkelschlüsse
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