Comeback des Rubels
Der Rubelkurs liegt heute höher als vor dem Krieg. Was sagt das über die Sanktionen und die Lage der russischen Wirtschaft?
Es klingt komisch, aber: Man bekommt heute für einen Rubel mehr Euros als noch zu Beginn des Krieges. Genauer gesagt sogar 25,8 Prozent mehr Euros. Nachdem der Rubelkurs Anfang März in den Keller gefallen ist, winkt er heute von der Dachterrasse. Zurecht werden sich einige die Augen reiben. Wie kann das sein? Was bedeutet das? Läuft die russische Wirtschaft wieder rund? Bringen die Sanktionen überhaupt etwas?
Stabiler Rubel, kaputte Wirtschaft
Am heftigsten abgestürzt war der Kurs nach Beginn des Krieges, als die EZB und die FED die Devisenreserven der russischen Zentralbank eingefroren haben. Das hat der russischen Zentralbank die Möglichkeit genommen, ihre vielen Milliarden Euros und US-Dollars am Devisenmarkt gegen Rubel zu verkaufen - und damit den Wechselkurs zu stabilisieren. Wie das Einfrieren der Reserven funktioniert und warum das ein harter Schlag gegen Russland war, habe ich in diesem Artikel erklärt.
Darauf hat die russische Zentralbank (Bank of Russia) gekontert, um den Rubelkurs zu stützen. Sie hat den Leitzins von 9,5 auf 20 Prozent angehoben, die Moskauer Börse geschlossen, Russen den Verkauf von Rubel größtenteils untersagt und - die wohl wichtigste Maßnahme - russische Exporteure verpflichtet, 80 Prozent der Euros und US-Dollars, die sie mit Verkäufen an das Ausland verdienen, innerhalb von drei Tagen am Devisenmarkt gegen Rubel einzutauschen. Die Exporteure haben damit quasi den Job der russischen Zentralbank auf dem Devisenmarkt übernommen und mit ihren großen Exporterlösen den Rubelkurs gestützt. Mit Blick auf den Wechselkurs muss man sagen: Mit Erfolg!
Apropos Exporte: Der ohnehin große Exportüberschuss Russlands ist während des schrecklichen Krieges noch größer geworden. Im ersten Quartal 2022 war er 2,5-mal größer als im ersten Quartal 2021. Für 2022 rechnet die Bank of Russia mit einem Rekord-Überschuss im Wert von 145 Milliarden US-Dollar. Klingt gut, ist es aber nicht. Denn der Überschuss liegt nicht daran, dass Russland mehr ins Ausland verkauft, sondern daran, dass die Preise für Öl und Gas durch die Decke gegangen sind. Und daran, dass die Importe drastisch gefallen sind. Wegen der Exportverbote westlicher Regierungen und des Abzugs westlicher Firmen kann Russland weniger aus dem Ausland einkaufen. Das lässt zwar den Exportüberschuss und damit auch den Wechselkurs steigen, bedeutet aber reale Wohlstandsverluste für die russische Wirtschaft. Die läuft alles andere als rund!
Das machte auch die Chefin der russischen Zentralbank, Elvira Nabiullina, in der jüngsten Pressekonferenz deutlich. Zwar sei das Ziel, den Rubelverfall zu stoppen, durch die (oben genannten) Maßnahmen der Zentralbank erreicht worden, aber die Kosten seien dennoch gewaltig. Der starke Rubel bremse zwar etwas die Inflation, weil Importe in Rubel gerechnet günstiger werden, könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Russlands Wirtschaft große Probleme hat, so Nabiullina.
Die Probleme kommen vor allem von der Angebotsseite, das betonte Nabiullina mehrfach. Viele russische Lieferketten sind zusammengebrochen - durch Embargos, durch Handelsverbote oder durch die Abwanderung westlicher Firmen. Einiges kann recht kurzfristig durch andere Handelspartner, etwa China, Türkei oder Indien, ersetzt werden, einige Lieferketten werden so gerettet, aber längst nicht alle. Anderes braucht den Aufbau neuer Firmen, neuer Wirtschaftszweige und massive inländische Investitionen.
Die Investitionen aber stocken, weil erstens große Unsicherheit herrscht, zweitens der private Konsum lahmt - auch wiederum wegen der Unsicherheit und der Millionen Menschen Job- und Einkommensverluste erleiden - und drittens Kredite teuer und Banken vorsichtig sind. Ohne Sicherheit und Konjunktur gibt es keine privaten Investitionen. Die Kreditnachfrage ist drastisch gesunken, berichtet Nabiullina. Die Unsicherheit wird so lange bleiben, wie der Krieg läuft. Kredite werden bald aber wieder günstiger. Auf der Pressekonferenz hat Nabiullina verkündet, den Leitzins nach dem ursprünglichen Anstieg auf 20 Prozent wieder auf 14 Prozent zu senken. Schon Anfang April war der Zins in einem ersten Schritt von 20 auf 17 Prozent gesenkt worden. Das Ziel: Investitionen, Investitionen, Investitionen.
Auch die Inflation ist hoch. Im April lag die Rate bei 17,6 Prozent. Angesichts der schwerwiegenden Sanktionen ist das tatsächlich aber noch im Rahmen, muss man sagen. Der starke Rubel hilft etwas gegen importierte Inflation. Trotzdem rechnet die russische Zentralbank bis Jahresende mit 18 bis 23 Prozent Inflation. Für 2023 hingegen geht sie von fünf bis sieben Prozent aus. Alle Zahlen sind aber natürlich ein Stück weit geschönte Kaffeesatzleserei, weil die Unsicherheit und die wirtschaftlichen Probleme groß sind. Mit Prognosen ist es also nicht so einfach.
Dramatischer noch als die hohe Inflation ist der enorme Wirtschaftseinbruch. Laut Prognosen der russischen Zentralbank bricht die russische Wirtschaft 2022 um acht bis zehn Prozent ein. Das ist so viel wie zweimal Coronakrise bei uns. Eigentlich sogar noch schlimmer, weil anders als bei uns Firmen nicht einfach wieder aufmachen, sondern ganz neue Firmen ganz neue Produktion und Handelsverbindungen aufbauen müssen. Das ist viel komplexer als coronabedingt geschlossene Restaurants und Diskotheken. Kein Wunder, dass erst ab Ende 2023 wieder leichte wirtschaftliche Erholung mit ein bisschen Wachstum prognostiziert wird. Auch hier muss man sagen: Stand heute! Je länger der Krieg dauert, je schärfer die Sanktionen werden, desto größer der volkswirtschaftliche Schaden.
Rubelkurs sagt wenig aus
All das macht praktisch deutlich, was theoretisch oft falsch verstanden wird. Der Wechselkurs sagt nämlich wenig darüber aus, wie gut oder schlecht es wirtschaftlich läuft.
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie Geld für die Welt, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.