Russland: Was die Zahlen verschweigen
Putins Wirtschaft ist jetzt offiziell in der Rezession. Die Probleme sind aber noch größer, als die Zahlen vermuten lassen.
Ihre markante Brosche am Kragen trägt sie seit Kriegsbeginn nicht mehr. Früher war das ihr Markenzeichen. Sie unterstrich damit auf Pressekonferenzen ihre geldpolitische Botschaft. Elwira Nabiullina ist Putins wichtigste Bankerin. Sie leitet die Zentralbank. Gerüchteweise wollte sie zu Kriegsbeginn zurücktreten, sie habe schließlich »Ökonomie und nicht Fäkalienreinigung« studiert. Putin ließ sie nicht.
Er konnte und wollte auf die Frau, die vor der Invasion noch im Westen von Mainstream-Ökonomen und westlichen Wirtschaftsjournalisten für ihre konservative Geldpolitik gefeiert wurde, nicht verzichten. Die Zeitschrift Euromoney zeichnete Nabiullina 2015 zur Zentralbankerin des Jahres aus. 2017 wurde sie von der britischen Zeitschrift The Banker zur besten Zentralbankerin Europas gewählt. Und 2019 schaffte sie es auf Platz 53 der Liste der einflussreichsten Frauen der Welt des Forbes-Magazins. Ihre Vita ist beeindruckend: In armen Verhältnissen aufgewachsen, früh konfrontiert mit den Werken von Marx und Engels, während des Studiums eingetreten in die kommunistische Partei, arbeitete sie später für Jelzins Wirtschaftsminister und heute für Putin. Die Technokratin ist machtbewusst, aber nicht prunksüchtig; kriegsskeptisch, aber diplomatisch; wirtschaftsliberal, aber pragmatisch.
Im neuen Buch »Der neue Wirtschaftskrieg« habe ich ausführlich über ihre Laufbahn, Arbeit und Positionen geschrieben. Übrigens: Das Buch ist am Wochenende aus dem Druck gekommen und geht die nächsten Tage in den Versand. Endlich! :-)
Anders als Putin und seine Minister betont Nabiullina immer wieder, wie schwer Russland die Sanktionen treffen und ihre Arbeit als Zentralbankchefin erschweren. So auch in der jüngsten Pressekonferenz. Während Putin häufig den hohen Rubelkurs als Zeichen ökonomischer Stärke bemüht, betont Nabiullina bemerkenswert oft die wirtschaftlichen Probleme. Gewiss haben die beiden unterschiedliche Rollen, näher an der ökonomischen Realität ist aber die Bankerin. Denn: Nur weil der Rubel 32 Prozent höher liegt als vor dem Krieg, läuft es längst nicht rund in Putins Wirtschaft.
Russlands Wirtschaft in der Rezession
Eigentlich keine große Nachricht wert: Russland hat jetzt auch für alle Ökonomen der Welt Wirtschaftskrise. Also: Jetzt auch offiziell. Denn Krise ist definiert als zwei aufeinanderfolgende Quartale mit schrumpfendem BIP. Um rund vier Prozent schrumpfte die Wirtschaft im dritten Quartal. Darunter: Minus 22,6 Prozent im Großhandel, minus 9,1 Prozent Einzelhandel um 9,1 Prozent und minus zwei Prozent bei der Industrieproduktion. Zulegen konnten lediglich der Bausektor und die Landwirtschaft, die gute Ernten erzielte. So die Daten vom russischen Statistikamt.
Auch die russische Zentralbank brachte jüngst neue Zahlen. Darin hatte sie ihre Prognosen vom April deutlich revidiert. Zum Besseren wohl gemerkt. Statt zehn nur 3,5 Prozent Wirtschaftseinbruch, statt 23 nur 13 Prozent Inflation, statt 36 nur 23 Prozent weniger Importe, statt 21 nur 16 Prozent weniger Exporte, statt 35 nur 12 Prozent weniger Investitionen. Alles doch nicht so schlimm? Nicht so voreilig, so die Botschaft, die Nabiullina bei der Pressekonferenz zu vermitteln versucht.
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