Das wahre Rentenproblem – und seine Lösung
Länger malochen, mehr zahlen, weniger bekommen? Was die Wirtschaftsweise Schnitzer vorschlägt, hilft nicht – es schadet.
»Mit diesen Sätzen mache ich mir keine Freunde«, gesteht Monika Schnitzer sich selbst ein. Aber jemand müsse ja die Wahrheit sagen, so die Ökonomin, die mittlerweile Chefin der Wirtschaftsweisen ist. Sie hat also den Vorsitz in dem Fünfergremium, das die Regierung in Wirtschaftsfragen berät. Ihr Vorgänger ist kein geringerer als Lars Feld, heute persönlicher Chef-Berater von Finanzminister Lindner. Was Schnitzer sagt, hat Gewicht. Wahr oder gar klug ist es deshalb aber nicht. Das beweist ihr neues Interview zur Rente. Im Gegenteil: Was sie dort sagt, ist gefährlich.
Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung malt sie ein düsteres Bild der Rente. Ihre Generation, die Babyboomer, hätten über ihre Verhältnisse gelebt, erklärt sie. Zu wenig Kinder großgezogen und zu wenig zurückgelegt. Deshalb sei der Rententopf heute leer und der Bund müsse pro Jahr 110 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt zuschießen, ein Viertel des Haushalts.
»Wenn wir es so laufen lassen, müsste der Bund in 25 Jahren mehr als die Hälfte des Haushalts dafür ausgeben.« Dann fehle Geld für Investitionen und vieles andere, was für unsere Zukunft notwendig sei: Bildung, Verkehrswege, erneuerbare Energien. Das wiederum behindere die Wirtschaft, die den Sozialstaat letztlich finanziert.
Was stimmt: Der Bund muss viel zuschießen. Was nicht stimmt: Alle anderen Sätze. Sie spricht nicht die Wahrheit, sie spricht neoliberale Mythen. Und macht Vorschläge, die mehr schaden als sie helfen.
Darunter, nicht darüber
Kein Land hat die letzten 20 Jahre so sehr unter (!) seinen Verhältnissen gelebt wie Deutschland. Das zeigt der Exportüberschuss. Seit 20 Jahren verkauft Deutschland Waren im Wert von mehr als 100 Milliarden Euro mehr an das Ausland, als es aus dem Ausland einkauft. In der Spitze sogar bis zu 250 Milliarden Euro. In Summe macht das die letzten 20 Jahre rund vier Billionen Euro – über den Daumen gepeilt.
Mit anderen Worten: Wir haben malocht, um Waren im Wert von vier Billionen Euro herzustellen, sie selbst aber nicht ge- bzw. verbraucht. Wir haben produziert, aber nicht konsumiert. Allein im Außenhandel hat dieses Land die letzten zwanzig Jahre sage und schreibe vier Billionen Euro unter (!) seinen Verhältnissen gelebt. Schnitzer liegt falsch.
»Zu wenig zurückgelegt«, kann daher für Deutschland insgesamt nicht stimmen. Auch unsere Wirtschaftsleistung ist die letzten drei Jahrzehnten preisbereinigt um 40 Prozent gestiegen. Das Problem ist nicht unbedingt die Größe des Kuchens, sondern wie er verteilt ist.
Während die Wirtschaft um 40 Prozent gewachsen ist, nahm der durchschnittliche Bruttolohn nur um 16 Prozent zu. Die Malocher, die den Wohlstand erwirtschaften, bekamen also ein immer kleineres Stück vom größer werdenden Kuchen. Auch sie haben unter (!) ihren Verhältnissen gelebt, nicht darüber.
Der Agenda 2010 kommt eine Sonderrolle zu. Für die leere Rentenkasse und den aberwitzigen Exportüberschuss. Durch die Arbeitsmarktreformen wurde der deutsche Niedriglohnsektor zu einem der größten in Europa. Jeder Fünfte arbeitet heute noch für Niedriglöhne. Und wer wenig verdient, zahlt eben auch wenig ein. Wer hingegen viel verdient, zahlt nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze ein. Die Schere zwischen Topverdienern und Niedriglöhnern ist, was die Rentenkasse geleert hat. Das ist die Wahrheit, die ausgesprochen gehört.
Geld fehlt nie
Daneben sind auch ihre Schlussfolgerungen für den Haushalt. Wenn der Bund mehr für Rente ausgeben muss, fehlt Geld nicht zwangsläufig woanders. Geld ist nicht knapp. Die Kürzungen für Bildung und Erneuerbare, die Schnitzer herbeiredet, sind keine logische Folge. Das ist nur in ihrer neoliberalen Welt so. Das wahre Risiko ist ein anderes.
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