Senkt die Mehrwertsteuer!
Mondpreise fürs Tanken und Heizen belasten kleine Geldbeutel. Die Politik muss gegensteuern. Warum nicht die Mehrwertsteuer auf Energie zeitweise senken?
Die Energiepreise sind explodiert. Hohe Heizkosten und Spritpreise fressen kleine Einkommen auf. Ein Liter Benzin kostet an der Tankstelle in Berlin heute 1,83 €, selbst Diesel liegt bei knapp 1,60 €. Vor einem Jahr sah das noch anders aus: 1,35 € für Benzin, 1,22 € für Diesel. Ein Anstieg von ca. 30 Prozent. Bei anderen Energiepreisen ist es noch drastischer: Flüssiggas ist 70 Prozent teurer als vor einem Jahr, Heizöl immerhin 40 Prozent.
Um kleine Einkommen zu entlasten, muss die Politik schnell etwas machen. Klar, langfristig hilft nur der Ausbau der erneuerbaren Energien, um unabhängiger von Gas- und Ölimporten zu werden und die Verkehrswende. Dafür braucht es massive Investitionen. Das wurde in den letzten Jahren vergeigt. Wären wir bei Solar und Wind sowie bei Bus und Bahn schon weiter, stünden wir heute besser da. Dann hätte uns weder die Gasknappheit noch die Entscheidung des Öl-Kartells „OPEC“, die Fördermenge zu drosseln und damit den Ölpreis zu treiben, so hart getroffen. Aber das ist Konjunktiv.
Kurzfristig braucht es aber schnelle und pragmatische Lösungen, die den Geldbeutel der Pendler, der Geringverdiener, der Armutsrentner und der Arbeitslosen spürbar entlasten. Der geplante Heizkostenzuschuss ist gut, aber nicht ausreichend. Die Abschaffung der EEG-Umlage ist erst für 2023 geplant. Wo also ansetzen?
Energiepreise bestehen zu einem großen Teil aus Steuern und Abgaben. Mehr als die Hälfte des Benzinpreises besteht aus Mehrwertsteuer, Energiesteuer, CO2-Bepreisung und Erdölbevorratungsbgabe. Ähnliches gilt für Strom- und Heizkosten. Warum also nicht die Mehrwertsteuer auf Energie und Kraftstoffe für ein halbes Jahr von 19 Prozent auf den ermäßigten Satz von 7 Prozent absenken? Damit würde sofort spürbare Entlastung für Verbraucher erreicht. Wenn sich die Knappheiten bei Gas und Öl gelegt haben und die Preise gesunken sind, gibt es wieder Spielraum, um den Satz wieder anzuheben.
Im Fall von Strom, Erdgas und Fernwärme wäre das für Deutschland im Alleingang möglich, bei Kraftstoffen und Heizöl bräuchte es die Zustimmung der EU. Hier spielt die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie – was ein schreckliches Wort – eine Rolle. Polen und Tschechien haben eine solche Senkung längst umgesetzt. In Brandenburg gibt es deshalb schon Tanktourismus über die Grenze nach Polen. Auch der gewerkschaftsnahe Ökonom Peter Bofinger, ehemaliger Wirtschaftsweise, hat im Gespräch mit der Süddeutschen eine Mehrwertsteuersenkung vorgeschlagen. Doch es gibt auch Gegner und Einwände, auf die ich nachgehend eingehen will.
Aber…ist das nicht klimaschädlich?
Gerade von Grünen werden Klimasorgen ins Feld geführt. Sprit günstiger zu machen, sei das falsche Signal. Langfristig mag das stimmen, kurzfristig aber nicht. Der schockartige Preisanstieg sorgt nicht dafür, dass die Leute ihre Mobilität großartig verändern. Gerade bei Spritpreisen ist es so, dass die Leute auf kurzfristige Preisveränderung nicht mit geändertem Fahrverhalten reagieren. Wenn man zur Arbeit pendelt oder den Sohn zum Fußballspiel fährt, dann macht man die Entscheidung nicht vom Preis an der Tankstelle abhängig. Die Preisexplosion wird geschluckt und stattdessen in anderen Bereichen gespart – etwa beim Friseur, beim Shoppen und beim Kinobesuch.
Wenn Tanken teurer wird, aber Bus und Bahn keine Alternativen zum Auto sind, dann steigen die Leute nicht um. Heißt aber auch: Dann sind ökologische Bedenken und Lenkungswirkung kein Argument gegen eine Entlastung der Leute durch temporäre Mehrwertsteuersenkung. Zumal mit der Senkung nur der rasante Preisanstieg abgemildert würde. Im Vergleich zum Vorjahr wäre Tanken und Heizen immer noch teurer – auch deutlich teurer als mit dem Instrument der CO2-Bepreisung beabsichtigt. Genau die soll ja für die Lenkungswirkung sorgen – nicht die Mehrwertsteuer.
Wem der Klimaschutz am Herzen liegt, der muss sich eher sorgen, dass die Preisexplosionen Akzeptanz für Klimaschutz verspielen. Die Preisexplosionen zeigen das Versagen der Energiepolitik. Ohne Investitionsoffensive in Alternativen verpufft die Lenkungswirkung und wird zur reinen Belastung der kleinen Geldbeutel. Das ist dann weder grün noch sozial.
Aber…werden dann nicht auch Porsche-Fahrer entlastet?
Ja. Alle, die tanken und heizen, werden entlastet. Die Mehrwertsteuer ist aber eine regressive Steuer, sie trifft kleine Einkommen verhältnismäßig stärker als Gutverdiener. Umgekehrt gilt: Die Senkung der Mehrwertsteuer entlastet kleine Einkommen stärker als Gutverdiener. Die Kassiererin kann von ihrem 1.400 €, die sie netto verdient, kaum etwas sparen, weil alles für Miete und Lebenshaltung drauf geht. Wenn Sprit günstiger wird, kann sie zusätzliche Ausgaben tätigen. Das wertet ihr ganzes Einkommen auf. Der Fußballspieler mit Millionengehalt und dickem Porsche dagegen kann sein ganzes Einkommen gar nicht ausgeben und spart einen großen Teil. Das, was er spart, ist von der Mehrwertsteuer ohnehin nicht betroffen. Und ob er fürs Tanken und Heizen im Monat 100 € mehr oder weniger ausgibt, interessiert auch nicht wirklich. Bis weit in die Mittelschicht sind 100 € im Monat mehr oder weniger aber ein starkes Stück. Die Grafik unterhalb zeigt das am Beispiel der Ausgaben für Wohnenergie (Gas, Heizöl, Strom). Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie hätte deshalb eine progressive Verteilungswirkung.
Aber…was heißt das für den Bundeshaushalt?
Zeitweise weniger Steuereinnahmen. Na und? Das ist ein Argument für Fiskalkonservative von CDU und FDP und sollte nie, nie, nie ein Argument für Linke oder Grüne sein. Die wichtige Frage sollte sein, was heißt das für die Wirtschaft und die Leute ohne Millionen auf dem Bankkonto? Aber selbst wenn man denkt wie Friedrich Merz oder Christian Lindner, sind zeitweise weniger Steuereinnahmen kein valides Gegenargument.
Erstens hatte der Staat durch die gestiegenen Energiepreise zuletzt deutlich mehr Steuereinnahmen. 19 Prozent Mehrwertsteuer von 1,83 € sind eben mehr als 19 Prozent von 1,35 € für den Liter Benzin. Da ist es nur gerecht, wenn der Staat etwas zurückgibt, oder? Zweitens geben die Leute das Geld, was sie bei der Tankstelle und beim Energieversorger sparen, wieder beim Friseur, beim Kino und im Supermarkt aus. Das kurbelt die Wirtschaft an, schafft Arbeitsplätze und sorgt für zusätzliche Steuereinnahmen. Das Geld kommt also zum Teil an anderer Stelle wieder rein.
Nochmal: Hohe Spritpreise kompensieren die Leute nicht mit weniger Autofahrten, sondern mit Kürzung ihrer sonstigen Ausgaben. Zumindest so lange Bus, Bahn und Fahrrad keine vernünftigen Alternativen sind. Verkehrswende schafft man mit Investitionen und kontrollierter Preissteuerung, nicht mit preislichen Schocktherapien und kläglicher Energie- und Verkehrspolitik!
Aber…wird die Senkung auch weitergegeben?
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