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Tennet-Tragödie: Habeck hatte Recht!

Wieso die Regierung bei Tennet eine historische Chance verpasst hat und deutsche Stromkunden die Rendite ausländischer Investoren finanzieren

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Maurice Höfgen
Okt. 22, 2025
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Nun ist es also offiziell: 9,5 Milliarden Euro zahlen der norwegische Staatsfonds, der Staatsfonds Singapurs und der niederländische Pensionsfonds ABP, um sich knapp 46 Prozent der Anteile an der Firma Tennet zu sichern. Tennet, das ist der größte Betreiber von Hochspannungsleitungen in Deutschland. Über 14.000 Kilometer Hochspannungsnetz liefert Tennet Strom von der Nordsee bis zu den Alpen. Der Verkauf an Investoren ist bei näherem Hinsehen ein Lehrstück darüber, wie Deutschland sich mit der Ideologie der Schuldenbremse selbst um Gestaltungsmacht gebracht hat – und seine Stromkunden prellt.

Seit Jahren war bekannt: Tennet sucht neue Investoren, um die milliardenschweren Investitionen in den Ausbau der Netze zu finanzieren. Bis 2045 sind dafür nämlich dreistellige Milliardenbeträge nötig. Schließlich soll sich der Stromverbrauch in den nächsten zwei Jahrzehnten verdoppeln: mehr E-Autos, mehr Wärmepumpen, Elektrifizierung der Industrie. Außerdem müssen Netze intelligenter, digitaler und flexibler werden, um Wind- und Solarstrom möglichst effizient zu integrieren. Moderne, leistungsfähige Netze sind das Rückgrat der Energiewende – und damit jeder investierte Euro, ein guter Euro.

Keine Schulden, keine Netze

Deshalb wollte Robert Habeck als Wirtschaftsminister Tennet verstaatlichen. Lange verhandelte er darüber mit dem niederländischen Staat, dem Tennet bisher zu 100 Prozent gehörte. Am Ende scheiterte das Vorhaben aber nicht an den Niederlanden, sondern an Christian Lindner, zu jener Zeit Finanzminister. Zu teuer, hieß es damals, mit der Schuldenbremse nicht machbar. Dabei wären die rund 20 Milliarden Euro, die zum Kauf von Tennet nötig gewesen wären, sogar an der Schuldenbremse vorbeigelaufen, weil sie als finanzielle Transaktion gelten – und die von der Schuldenbremse ausgenommen sind.

Hätte sich Habeck gegen Lindner durchgesetzt und Tennet verstaatlicht, wäre es für deutsche Stromkunden günstiger geworden.

Dass der niederländische Staat überhaupt Eigentümer deutscher Stromnetze wurde, ist Folge der neoliberalen Privatisierung, Die begann in den 90ern, führte dann dazu, dass EON die Netze in den 2000ern gehörten, ehe sie 2010 an Tennet verkaufen mussten, weil die EU-Regulierung nicht länger erlaubte, dass Firmen gleichzeitig Strom produzieren und Netze betreiben. Übrigens: 2010 zahlte Tennet an EON noch 1,1 Milliarden Euro für 10.700 Kilometer an Hochspannungsnetz. Heute ist das Netz 3.300 Kilometer größer und gemessen am Kaufpreis offensichtlich 20-mal so viel wert.

Tennet wiederum gehört seit 2001 dem niederländischen Staat. Mit der Expansion in den deutschen Strommarkt verfolgte auch Tennet allein ein Ziel: Rendite. Die gibt es schließlich staatlich garantiert bei deutschen Netzen. Trotz Privatisierung. Netze sind nämlich ein natürliches Monopol, bei dem kein Wettbewerb bestehen kann (wie sollte eine Leitung auch von mehreren Firmen betrieben werden?) und folglich die Regeln der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt sind.

Ohne staatliche Kontrolle könnten die Betreiber theoretisch nahezu jeden Preis durchsetzen und astronomische Gewinne machen. Damit das nicht passiert, legt der Staat eine garantierte Rendite bzw. Erlösobergrenze für die Betreiber fest. Die wurde in den letzten Jahren immer weiter angehoben und soll bald wieder steigen, damit sich mehr Investoren finden. Außerdem gibt der Staat Ausbauziele vor und genehmigt jede einzelne Investition der Netzbetreiber. Was natürlich die Frage aufbringt, warum man die Netze überhaupt privatisiert hat, wenn doch der Staat am Ende nur Investoren deren teure Rendite garantiert und seine Macht über öffentliche Infrastruktur aus der Hand gibt? Die Antwort: Neoliberalismus.

Tafelsilber, teuer verzinst

Derzeit liegt die garantierte Eigenkapitalverzinsung bei 7,09 Prozent für Neuinvestitionen und 5,07 Prozent für Bestandsanlagen. Finanziert wird das über die Netzentgelte. Heißt: Stromkunden zahlen über die Stromrechnung für die garantierte Rendite der Netzbetreiber. Für ausländische Investoren ist das offensichtlich eine attraktive Geldanlage, sonst wären die drei Fonds jetzt nicht eingestiegen. Der norwegische Fonds legt verzinst seine Überschüsse aus Öl- und Gaseinnahmen also bald mit dem Geld deutscher Stromkunden, der Fonds aus Singapur wiederum deren Devisenreserven und der niederländische Fonds ABP die Renten niederländischer Beamter.

Das zeigt, wie verquer die deutsche Haushaltspolitik geworden ist. Man will „keine neuen Schulden“ für die eigenen Stromnetze aufnehmen, verkauft aber stattdessen das Tafelsilber – und zahlt langfristig drauf. Damit spart man sich im Haushalt zwar die Investitionen heute, zahlt sie aber morgen über höhere Netzentgelte mit Zins und Rendite an die Investoren zurück. Während Konservative sich ironischerweise über zu hohe Stromkosten echauffieren und diese sogar mit milliardenschweren Zuschüssen aus dem Haushalt (6,5 Milliarden allein für das Jahr 2026) subventionieren.

Die Alternative drängt sich nahezu auf.

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