Trügerisch: Russlands Wirtschaft wächst, der Rubel aber fällt
Wo steht die russische Wirtschaft 18 Monate nach Kriegsbeginn?
Russland, 18 Monate nach Kriegsbeginn: Es gibt gute und schlechte Nachrichten. Die Guten: Der russische Aktienmarkt hat sich erholt, steht wieder so hoch wie zu Kriegsbeginn. Die Wirtschaft soll laut IWF-Prognose dieses Jahr um 1,5 Prozent wachsen. Mit den Renten und den Löhnen ist auch die Konsumlaune gestiegen. Die Inflationsrate ist auf unter vier Prozent gefallen. Und iPhones gibt es für Russen immer noch zu kaufen.
Die Schlechten: Der Rubelkurs ist zuletzt kräftig gefallen. Die Gasexporte auch. Die Kriegsindustrie schnappt anderen Branchen die Fachkräfte weg. Mehr als 1,5 Millionen junger Arbeitskräfte haben das Land bereits verlassen. Im Haushalt werden Infrastrukturausgaben gekürzt. Und: Statt BMWs gibt es chinesische Autos zu kaufen – wohlgemerkt zu deutlich höheren Preisen als früher. Die Frage, wie es der russischen Wirtschaft heute geht, wie stark die Sanktionen wirken, ist auf den ersten Blick nicht leicht zu beantworten.
Vom Krieg aufgeblasen
Das Bruttoinlandsprodukt wächst dieses Jahr in Russland, der russische Finanzminister Anton Siluanow geht sogar von mindestens 2,5 Prozent aus. Doch es gibt ein »Aber«, ein großes ABER. Denn das Wachstum ist in erster Linie vom Krieg getrieben – und in erster Linie Statistik. Die Kriegsausgaben blasen die Wirtschaft künstlich auf. Laut Reuters sollen sich die Militärausgaben dieses Jahr auf 100 Milliarden Euro fast verdoppeln, das entspricht einem Drittel aller Staatsausgaben und rund fünf Prozent der Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Deutschland kratzt an der Nato-Verpflichtung, rund zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Bei den Rüstungsherstellern laufen also die Maschinen auf Hochtouren. Die Firmen investieren außerdem Milliarden in neue Kapazitäten und stellen reihenweise Leute ein. Ein massiver Boost für die sonst schwächelnde Wirtschaft.

Nachhaltig ist das allerdings nicht. Von produzierten Panzern und Raketen hat die Gesellschaft nämlich nichts. Echter Wohlstand entsteht so nicht. Auch setzt das keine vernünftige Wirtschaftsentwicklung in Gang. Ausgeweitete Kapazitäten bei Rüstungsherstellern werden nutzlos, wenn der Krieg vorbei ist. Dazu kommt: Wenn die Rüstungshersteller anderen die Arbeitskräfte vom Markt saugen, behindert das sogar zivilen Wohlstand und Entwicklung.
Ein Beispiel: Der Rüstungshersteller Uralwagonsawod hat vor Kurzem Mitarbeiter aus der Abteilung Güterwaggonproduktion für die Rüstungsproduktion abgezogen. Die logische Folge: Waggons werden weniger produziert und fehlen der Wirtschaft. Das wiederum behindert gerade die russischen Exporteure, die den Transport ihrer Waren in Richtung Asien über den Schienenverkehr abwickeln. Und der müsste eigentlich schnell wachsen, um das weggebrochene Europa-Geschäft zu kompensieren.
Auch das Militär selbst ist eine Last für den Arbeitsmarkt. Zum einen, weil Hunderttausende ihren bisherigen Job aufgeben, um zum Militär zu gehen. Es ist zynisch, aber beim Militär ergeben sich für viele Russen einmalig gute Verdienstmöglichkeiten; vor allem für die, die vorher in den ärmeren Gebieten gewohnt und gearbeitet haben. Seit Kriegsbeginn hat Putin den Sold mehrmals erhöht. Mittlerweile verdienen schon mobilisierte Gefreite nach offiziellen Angaben 195.000 Rubel (umgerechnet etwa 1887 Euro), fast drei Mal so viel wie der russische Durchschnittslohn. Der liegt bei 72.851 Rubel (etwa 700 Euro). Zum anderen ist das Militär eine Last, weil viele Arbeitskräfte aus Sorge vor dem Einzug das Land verlassen haben, häufig sogar die gut ausgebildeten Jungen. Seit Kriegsbeginn schon mehr als 1,5 Millionen Arbeitskräfte, so schätzt Alexandra Prokopenko, eine ehemalige Beraterin der russischen Zentralbank, gegenüber dem US-Rundfunknetzwerk „NPR“.
Außerdem ist Putin in Sachen Finanzpolitik konservativ. Das kriegsbedingte Staatsdefizit stört ihn. Längst hat die Regierung angekündigt, in anderen Bereichen zu sparen, um die hohen Militärausgaben zu kompensieren. Weniger Geld für die Reparatur von Straßen, den Bau von Schulen oder die Ausweitung von Stromnetzen behindert aber die Wirtschaftsentwicklung in der Zukunft. Über all das täuscht das hohe Bruttoinlandsprodukt in 2023 hinweg.
Neue Rubelkrise, neuer Zinsschock
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