Krise sollte nicht geil sein!
Italien besteuert Krisengewinne von Energiekonzernen. Eine gute Idee? Was hat Lindner dagegen?
Wir werden alle ärmer. So sagen es zumindest Habeck und Lindner dieser Tage, wenn sie auf Forderungen nach weiteren Entlastungen gegen die hohe Inflation angesprochen werden. Und der Satz stimmt - makroökonomisch zumindest. Wenn das Ausland gegenüber Deutschland höhere Preise durchsetzt, dann wird Deutschland ärmer, dann werden wir alle ärmer. Alle, aber nicht jeder - ein wichtiger Unterschied!
Denn während viele Menschen in diesem Land den Gürtel enger schnallen müssen, auch viele, die ihn eigentlich gar nicht mehr enger schnallen konnten, knallen bei einigen die Sektkorken vor Freude über Krisengewinne. Zum Beispiel in der Firmenzentrale von Energieriesen. Die hohen Energiepreise haben bei den Konzernen in der Branche zu Gewinnexplosionen geführt.
Allein für Europa schätzt die Internationale Energieagentur, dass Energiekonzerne durch den Preisschock rund 200 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne machen werden. Zusätzlich heißt: die Gewinne kommen auf die ohnehin üblichen Gewinne noch oben drauf. Dort klingeln die Kassen! So viel zum Spruch von Fynn Kliemann: “Krise kann auch geil sein”.
Draghi, der Sozialist!
Kein Wunder also, dass Politiker auf die Idee kommen, Krisengewinne höher zu besteuern. Die EU-Kommission hat genau das mit Verweis auf die Internationale Energieagentur empfohlen, manche Länder haben es sogar schon beschlossen - etwa Italien und Griechenland. Italien wird dabei von dem wirtschaftsliberalen Mario Draghi regiert - wahrlich kein Linker! Einige werden ihn kennen, weil er vorher Präsident der Europäischen Zentralbank war und die berühmte whatever-it-takes-Rede gehalten hat.
Draghis Konzept für eine Übergewinnsteuer sieht so aus: Alle Gewinne von Energiekonzernen, die im Zeitraum von Oktober 2021 bis März 2022 mehr als fünf Millionen Euro höher sind als die Gewinne im Vorjahreshalbjahr, werden zusätzlich mit einer Übergewinnsteuer von 25 Prozent belegt. Zuerst plante Draghi nur mit einem Steuersatz von zehn Prozent, passte das Anfang Mai aber nach oben an.
Betroffen von Draghis Plan wäre zum Beispiel der italienische Öl- und Gaskonzern Eni. Allein im ersten Quartal 2021 stieg der Nettogewinn auf 3,58 Milliarden Euro - gegenüber 856 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz stieg auf 32,13 (Vorjahr: 14,49) Milliarden Euro, obwohl die Produktion von Öl sogar um 0,05 Millionen Barrel Öläquivalent pro Tag gesunken ist. Mit anderen Worten: Eni profitiert von fetten Preiserhöhungen. Und Eni kassiert auch trotz der Übergewinnsteuer zusätzliche Gewinne – nur eben etwas weniger. Sicher kein Grund, den Sekt im Kühlschrank zu lassen!
Macht oder Zufall?
Gewinne sind nicht gleich Gewinne - zumindest, wenn wir über die Übergewinnsteuer reden. Die sprudelnden Gewinne von Mineralölkonzernen kommen anders zustande als etwa die von Windkraftanlagen. Übergewinne und Zufallsgewinne sind also zu unterscheiden. Übergewinne resultieren aus Marktmacht, Zufallsgewinne aus dem Marktdesign.
Mineralölkonzerne, die selbst Öl fördern oder Rohöl dank langfristiger Verträge auch dann noch günstig beschaffen, wenn der Börsenpreis hoch geht, steigern ihre Gewinne. Sie nutzen ihre Marktmacht gezielt, um im Schatten der hohen Börsenpreise ihre Marge zu erhöhen. Das hat etwa dazu geführt, dass die Spritpreise an der Tankstelle schnell mit den Börsenpreisen gestiegen, aber dann nicht ebenso schnell gefallen sind. Ein Segen für die Marge. Das sind Übergewinne.
Zufallsgewinne wiederum sind am Strommarkt entstanden. Das liegt an dem Regelwerk, nachdem Strom auf dem europäischen Strommarkt gehandelt wird - dem sogenannten Merit-Order-Prinzip. Das Prinzip gibt die Reihenfolge vor, nach der Strom aus Kraftwerken in das Netz gespeist wird. Nämlich erst der Strom mit den niedrigsten Grenzkosten, zum Beispiel Wind- und Solarkraft, dann der teurere Strom aus Kohle und Atom - und wenn das auch nicht reicht, um die Nachfrage zu decken, dann erst werden die noch teureren Gaskraftwerke zugeschaltet.
Die Krux: Alle Anbieter erhalten denselben Preis. Und der wird an der Börse durch das letzte und teuerste Kraftwerk, das zugeschaltet wird, bestimmt. Auch die günstigen Anbieter bekommen also die hohen Preise, die die Gaskraftwerke fordern. Die letzten fünf Jahre war der Gaspreis niedrig, der Strompreis daher relativ stabil. Als der Gaspreis aber zuletzt explodierte, war das vorbei. Die teuren Gaspreise haben den Verkaufspreis für Strom aus allen Kraftwerken hochgetrieben und für extreme Gewinne bei denen gesorgt, die günstig produzieren. Ein Geldregen für Windparkbetreiber, aber auch eben für RWE’s Kohlekraft. Diese Gewinne sind zufällig, weil sie durch das Marktdesign entstehen, nicht durch bloße Marktmacht einzelner Anbieter.
Habeck vs. Lindner
In Deutschland hat Grünen-Chefin Ricarda Lang die Debatte angeheizt, als Sie vor Kurzem in einer Pressekonferenz sagte:
“Wenn es offensichtlich ist, dass einige Konzerne wissentlich und vor allem übergebührlich am Horror dieses Krieges verdienen, dann sollten wir doch eine Übergewinnsteuer einführen, die genau dem aktiv entgegenwirkt.”
Auch Wirtschaftsminister Habeck findet die Idee gut. Es sei richtig, „dass diejenigen, die im Moment hohe Gewinne machen, zulasten der Allgemeinheit, davon einen Teil zurückgeben", sagte er. Habeck warnte aber bei der Umsetzung vor rechtlichen Problemen. Das Steuerrecht sei „ein hartes Brett”, so Habeck. Er versprach, an Konzepten zu arbeiten, habe aber das Steuerbrett noch nicht durchbohrt. Habeck sagte immerhin auf Rückfrage bei der Pressekonferenz nach der Kabinettsklausur in Meseberg:
“Das bleibt ein wichtiges Thema und ist noch auf der Agenda.”
Ein Satz, der dem Finanzminister Christian Lindner gar nicht schmeckte. Lindner warnte vor einer Übergewinnsteuer, weil Übergewinne schwierig zu identifizieren seien und damit Investitionsanreize genommen würden. Auch Lindner unterschied aber zwischen den Übergewinnen der Mineralölkonzerne und den Zufallsgewinnen der Windparkbetreiber. Das Kartellamt solle sich die Marktsituation der Mineralölkonzerne genauer ansehen, die Windparkbetreiber die Zufallsgewinne einfach investieren.
Aber Lindner stutzte Habeck, der ursprünglich ja auch auf den Posten der Finanzminister schielte, diesmal auch zurecht. Änderungen am Steuersystem seien Sachen seines Hauses, nicht des Wirtschaftsministeriums. Dass Lindner bei der Übergewinnsteuer blockiert, überrascht nicht. Höhere Steuern lehnt er generell ab. Muss er auch, weil ihm sonst die eigene Partei auf das Dach steigt. Er ist eben nicht nur Finanzminister, sondern auch FDP-Parteichef. Und nichts läge der FDP-DNA ferner als höhere Unternehmensteuern.
Sein Argument, Übergewinne seien schwierig zu identifizieren, überzeugt aber wenig. Der italienische Fall Eni ist ja ziemlich eindeutig. Mehr Umsatz, mehr Gewinn, trotz weniger Produktion. Zumal die Vorjahresgewinne plus fünf Millionen Euro an zusätzlichen Gewinnen in Italien von der Übergewinnsteuer komplett gefreit bleiben und der Rest der Übergewinne lediglich mit 25 Prozent zusätzlich besteuert würde. Heißt: Insgesamt bleiben ein bisschen mehr als 75 Prozent der Übergewinne von der Zusatzsteuer befreit.
Auch die Sorge um Investitionsanreize ist fraglich. Erstens, weil ja beim italienischen Vorbild nicht alle Übergewinne wegbesteuert werden, sondern nur ein Teil davon. Der Investitionsanreiz durch sprudelnde Gewinne bleibt also auch mit einer solchen Steuer bestehen. Zweitens, weil die Übergewinnsteuer zeitlich begrenzt ist, Investitionen in diesen Industrien aber langfristig geplant werden. Dafür sind die Gewinnerwartungen der nächsten Jahre viel relevanter als das kurzfristige Zusatzgeschäft in der Krise. Drittens, weil diese Firmenriesen in der Regel wahrlich keine Liquiditätsprobleme haben, die sie mit den Übergewinnen lösen. Ein Beleg dafür: Die sieben größten westlichen Energiekonzerne planen in diesem Jahr nach Berechnungen von Bernstein Research und RBC Capital Aktienrückkäufe von fast 40 Milliarden und Dividendenausschüttungen von rund 50 Milliarden Dollar. Übergewinne für die Anlegerparty statt für Investitionsoffensiven - so das Motto! Und viertens sind die Zufallsgewinne am Strommarkt ohnehin gar kein vernünftiger Investitionsanreiz. Die Firmen brauchen Planungssicherheit, nicht Zufallsgewinne.
“Lasst den Firmen ihren Gewinn”
So titelte ein Kommentar in der FAZ. Die angebotsorientierte Denke der Mainstream-VWL dominiert bis heute die meisten Zeitungen. Die vorgebrachten Argumente ähneln denen, die auch Christian Lindner abspult wie einstudierte Phrasen. Von „fatalen Signalen für künftige Investitionen aller Unternehmen” sprach zum Beispiel auch Monika Köppl-Turyna, Chefin der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Eco-Austria. Sie ergänzte:
“Zum Markt gehören nun mal gute und schlechte Zeiten”.
Gute Zeiten, die auf gute Konjunktur und sich auszahlende Investitionen in innovative Produktionsverfahren zurückgehen, ja. Das ist hier aber nicht der Fall. Die guten Zeiten der Energiekonzerne fallen mitten in Krieg und Krise. Und die Energiemärkte sind keine Märkte, wie Wirtschaftsliberale sie in ihren Lehrbüchern herbeifantasieren. Diese Märkte sind oligopolistische Märkte mit mächtigen und subventionierten Teilnehmern und teilweise staatlich festgelegten Preisstrukturen (siehe Merit-Order). Mit “gute Zeiten, schlechte Zeiten” und mit normalen marktwirtschaftlichen Ausschlägen der Konjunktur hat das nichts zu tun.
Nebenbei bemerkt: Die gerade erwähnte Ökonomin, Monika Köppl-Turyna, hat den Bitcoin zuletzt noch als Inflationsschutz gepriesen, weil er im Gegensatz zum Euro ein knappes Gut sei. Zahlen lügen nicht, wie man so schön sagt.
Das schwächste aller Argumente kam aber am Ende doch aus dem FDP-geführten Finanzministerium. Nicht von Lindner selbst, sondern von dessen parlamentarischer Staatssekretärin, Katja Hessel. Sie warnte vor der Übergewinnsteuer und begründete das so:
„Unsere Unternehmen sind bereits mehrfach belastet: durch die Nachwehen der Corona-Pandemie, die hohen Energiepreise sowie zusammengebrochene Lieferketten."
Ich konnte die Begründung kaum glauben, als ich sie das erste Mal gelesen habe. Denn die Übergewinnsteuer fällt ja nur auf außerordentliche Gewinne an. Die Unternehmen, die den von Hessel erwähnten Belastungen ausgesetzt sind, haben ja gerade keine (!) außerordentlichen Gewinne während der Krise erwirtschaftet. Wer belastet ist, ist von der Übergewinnsteuer gar nicht betroffen. Das ist ja gerade das Besondere an der Steuer. Sie trifft die Krisengewinner, nicht die Krisenverlierer. Hessels Punkt läuft also völlig ins Leere!
Sinnvolle Kosmetik
So sinnvoll es klingt, Übergewinne der Krisengewinner zu besteuern, so realistisch muss man bleiben, dass das mit einem Finanzminister Lindner wohl kaum durchzusetzen sein wird. Robert Habeck hat zudem recht, wenn er sagt, die Umsetzung sei alles andere als trivial. Die genaue Besteuerungsgrundlage, der Umgang mit Firmen, die ausländischer Gewinnbesteuerung unterliegen (z.B. Shell, BP und Co.), und die steuerliche Diskriminierung einer einzelnen Branche (Energie) gegenüber anderen Branchen könnten rechtliche, gar verfassungsrechtliche Probleme erzeugen. Auch sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass Sprit an der Tankstelle günstiger wird, wenn man nur die mächtigen Mineralölkonzerne besteuert. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Marktmächtige Firmen können Steuern ebenso wie Kosten über höhere Preise auf die Konsumenten überwälzen. Zur Entlastung der Verbraucher taug die Steuer also eher nicht. Ebenso ist die Steuer vermutlich für Riesenkonzerne mit einer Armee an Steuerberatern einfach zu umgehen, weil Gewinne leidglich für den begrenzten Zeitraum klein gerechnet werden müssten. Gibt größere Herausforderungen für die Beratertruppen von McKinsey und EY für die strategische Steuergestaltung.
Knallende Korken bei Shell, leere Kühlschränke am Monatsende bei Geringverdienern verletzen aber das Gerechtigkeitsgefühl der Gesellschaft. Umso wichtiger sind die Entlastungen der Verbraucher. Habeck sollte sich nicht auf die Steuer einstellen und stattdessen eine Reform des Merit-Order-Handels am Strommarkt und einen beherzten Eingriff des Kartellamtes bei den Mineralölkonzernen vorbereiten.
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Über die Preisstruktur im Strommarkt höre ich zum ersten mal. Es braucht beim Strommarkt noch viel Aufklärung, zumindest bei mir! Danke für den Artikel. Mir bleiben aber Fragen, zb: Wie setzt sich eigentlich der Preis für die Stromanbieter zsm?
Im Deutschlandfunk habe ich gehört, dass seit Kriegsbeginn in Italien Diesel an der Tanke 5 Cent billiger geworden und Benzin gleich teuer geblieben wäre.