Von wegen Steuersenkung, von wegen Wachstum!
Während Lindner Steuern für Firmen senkt, drohen höhere Steuern für Haushalte, Kneipen und Stahlwerke.
Er hat ein schelmisches Grinsen, wenn er gewonnen hat. Es rutscht ihm heraus unter dem staatsmännischen Pokerface, er kann es schlecht verbergen. Und gewonnen hat er ganz eindeutig: Die Kindergrundsicherung hat er von zwölf auf circa zwei Milliarden heruntergehandelt, sein Wachstumschancengesetz von sechs auf sieben Milliarden hinauf. Verhandeln kann er scheinbar, der Christian Lindner – Kassenwart der Nation und Chef der FDP.
Und manipulieren auch. Bei seinen Kabinettskollegen hinter verschlossener Tür, aber noch viel mehr vor laufender Kamera. Ernster Blick, präzise Wortwahl, laute Stimme, überschäumendes Selbstbewusstsein: Lindner ist der geborene Verkäufer. Einer, der in der Arktis noch Kühlschränke verkauft. Oder eben Steuergeschenke als Wachstumschancen und Sparhaushalte als Inflationsbekämpfung.
Steuern runter für Firmen
Mit dem erwähnten Wachstumschancengesetz senkt er die Steuern für Unternehmen. Nicht direkt die Steuersätze, aber er schafft neue Möglichkeiten, Gewinne kleinzurechnen – und damit Steuern zu sparen.
Fast die Hälfte der sieben Milliarden geht dafür drauf, dass Firmen Verluste aus den letzten drei Jahren mit heutigen Gewinnen verrechnen dürfen. Durch diesen Verlustvortrag zahlen die Firmen weniger Unternehmensteuer. Obendrauf kommen noch Investitionsprämien für grüne Investitionen und degressive Abschreibungen für gebaute Wohnungen und angeschaffte Maschinen. Das alles sei nötig, erklärt uns Lindner, um die Wirtschaft wieder wachsen zu lassen. Endlich die Firmen von der erdrückenden Steuerlast befreien, nur so komme Deutschland aus der Krise.
Was bei Lindners Verkaufsgeschwätz untergeht: Sieben Milliarden sind ziemlich wenig für eine fast Vier-Billionen-Volkswirtschaft. Und Verlustvorträge helfen auch Firmen, deren Geschäftsmodell längst dem Untergang geweiht ist. So zielgenau wie die Investitionsprämie ist der Verlustvortrag also nicht. Außerdem haben deutsche Firmen wahrlich kein Liquiditätsproblem. Im Gegenteil: Die Firmen sind flüssig wie nie, auf die hohe Kante passen bald keine Notgroschen mehr. Der Grund: Die Unternehmen haben in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend gespart, statt zu investieren. Gemessen an der Wirtschaftsleistung haben sich die Einlagen seit 2003 fast verdoppelt, vor allem während Corona wurde Geld auf die hohe Kante gelegt. Liquidität ist also wahrlich der letzte Grund für den Investitionsstau.
Ein anderer großer Widerspruch geht ebenfalls unter: Während für Firmen die Gewinnsteuern gesenkt werden, weil das ja ach so wichtig für das Wachstum sei, sollen an drei anderen Stellen die Steuern klammheimlich steigen. Einmal herunter, dreimal herauf? Man wundert sich!
Steuern rauf für Haushalte
Zum einen ist da die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme. Als Teil des dritten Entlastungspakets, das im Oktober 2022 eingeführt wurde, hat die Ampel die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme von 19 auf sieben Prozent gesenkt. Das Ziel: Den Kostenschock beim Gas lindern. Eigentlich sollte die Senkung bis zum 31. März 2024 gelten. So lange wie auch die Gaspreisbremse greift. Nun aber soll die Regelung früher auslaufen, schon Ende 2023.
»Die Bundesregierung plant, die bis zum 31.3.2024 befristete Krisenmaßnahme vorzeitig zum 31.12.2023 auslaufen zu lassen und so Spielräume für die öffentlichen Haushalte zu schaffen«, zitiert die FAZ ein Schreiben des Finanzministeriums. Übersetzt: Die Ampel macht Gas für die Haushalte wieder teuer, um Geld im Haushalt zu sparen.
Fast drei Milliarden waren für das erste Quartal 2024 vorgesehen, rund 6,5 Milliarden für 2023. In der Jahreswirkung also ungefähr so viel wie das Wachstumschancengesetz Steuern zu senken beabsichtigt. Dazu kommt: Ab 1. Januar 2024 steigt der CO₂-Preis von 30 auf 40 Euro pro Tonne. So sehr kann sich Lindner also gar nicht um das Wirtschaftswachstum sorgen, wenn die Verbraucher beim Gas geschröpft werden sollen. Denn je mehr die Leute für Gas ausgeben, desto weniger bleibt für Bäcker Lutze und den Friseurbesuch – schlecht für die Nachfrage und die Konjunktur.
Ebenso schlecht: Auch in der Gastro soll die Mehrwertsteuer steigen. Auf Speisen in Restaurants und Kneipen wurde die Steuer während Corona von 19 auf sieben Prozent gesenkt. Olaf Scholz versprach noch in der ARD-Wahlkampfarena 2021: »Wir haben die Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie gesenkt und das noch mal verlängert, und ich will Ihnen gern versichern: Ich habe dieser Verlängerungsentscheidung zugestimmt und der Einführung in dem sicheren Bewusstsein: Das schaffen wir nie wieder ab«.
Daran wird nun gerüttelt. Vor allem die Grünen stellen die versprochene Entfristung infrage. Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Katharina Beck, sagte etwa: »Die Haushaltssituation ist so angespannt, dass jedwede Maßnahme, auch die befristete Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie, in besonderem Maße auf ihre Dringlichkeit geprüft werden muss«.
Entscheiden will die Ampel erst im November, wenn die neue Steuerschätzung vorliegt. Die Gastro-Verbände drehen derweil am Rad. Zurecht, muss man sagen. Käme die Steuererhöhung tatsächlich, bedeutete das erstens Umstellungsaufwand und zweitens weniger Kunden und weniger Geschäft. Das erst wenige Wochen vor dem Jahreswechsel mitzuteilen, ist schlechter Stil. Und: Rund drei Milliarden Euro kostet die Steuersenkung pro Jahr, also in etwa so viel wie der Verlustvortrag beim Wachstumschancengesetz.
Steuern rauf für Stahlwerke und Chemiefabriken
Und dann ist da noch, drittens, der Spitzenausgleich, den die Ampel abschaffen will. Rund 9.000 energieintensive Unternehmen bekommen über den Spitzenausgleich den Großteil der gezahlten Energie- und Stromsteuer erstattet, zum Beispiel Stahlwerke und Chemiefabriken. Nach dem offiziellen Subventionsbericht entlastet der Spitzenausgleich die Wirtschaft derzeit um 1,5 Milliarden Euro im Jahr.
Bemerkenswert ist das deshalb: Die energieintensive Industrie hat am heftigsten unter dem kriegsbedingten Energiepreisschock gelitten, die Produktion ist seit Kriegsbeginn rund 20 Prozent eingebrochen. Wirtschaftsminister Habeck will die Strompreise für die Industrie eigentlich subventionieren, um Abwanderungen ins Ausland zu vermeiden. Die Abschaffung des Spitzenausgleichs bewirkt das genaue Gegenteil – und belastet eine ohnehin am Boden liegende Branche. Wie war das noch mit Wachstumschancen, Herr Lindner?
Und: Wie war das noch mit der Inflationsbekämpfung, die oberste Priorität habe? Alle drei Maßnahmen erhöhen Preise und Inflationsrate. Und würgen die wirtschaftliche Nachfrage ab – mitten in der Krise.
Wir rechnen zusammen: sieben Milliarden Steuergeschenke für Firmen stehen 6,5 Milliarden Steuererhöhung für Gashaushalte, 3 Milliarden Steuererhöhung für Restaurantbesucher und 1,5 Milliarden Steuererhöhung für die energieintensive Industrie entgegen. Von wegen Wachstum durch Steuersenkungen!
Lindner hat es im Interview gesagt und die Tagesschau schreibt es wieder: „Für das "Wachstumschancengesetz" seien zudem mehr als 32 Milliarden Euro vorgesehen.“
Weißt du wie diese Summe zustande kommen soll?
Danke, dass du mal detaillierter darauf eingesteht, worum es dabei überhaupt geht. Die übliche Berichterstattung ist unterirdisch.
Hallo Maurice, das ist ja eine gute Analyse aber die Interpretation ist ein bisschen kurzgekommen finde ich. Warum macht er das? Die FDP ist doch bekanntermaßen ein Fürsprecher und Lobbyist der Gastronomie und der Industrie. Wieso hat er deiner Meinung nach gewonnen? Da werd ich noch nicht schlau draus.