Wetten auf Hunger
Kriege und Dürren werden von Spekulanten für perverse Profite genutzt. Die Politik muss das stoppen!
“Krise kann auch geil ein” - der Spruch von Fynn Kliemann gilt auch für Mineralölriesen, Rüstungsfirmen und Rohstoffspekulanten. Über die ersten beiden wird dieser Tage viel gesprochen, über die Spekulanten aber zu wenig. Investoren, die mit Kriegsbeginn auf steigende Weizenpreise gewettet haben, haben fette Gewinne eingefahren. Die Rechnung dafür zahlen Menschen in Entwicklungsländern, die nicht mehr satt werden. Der Börsenpreis für Weizen ist seit Beginn des Krieges durch die Decke gegangen und befindet sich bis heute auf Rekordniveau.
Am Montag nach Kriegsbeginn titelte Börse-Online:
“Weizenpreis: Stärkster Preissprung seit 13 Jahren.“
Der Kriegsbeginn wurde an der Börse als Investment-Chance gesehen. Allein in der ersten Märzwoche 2022 sind 4,5 Milliarden Dollar in Fonds geflossen, die mit Agrarrohstoffen handeln - so viel sonst in einem ganzen Monat. Die drohenden Engpässe in der Ukraine haben das schnelle Geld auf den Plan gerufen. Das niederländische Recherchenetzwerk Lighthouse Reports hat sich die zwei größten Agrarfonds genauer angesehen - den Teucrium Weizenfonds und den Invesco DB Agriculture Fonds. 2021 sammelten die Fonds von Anlegern noch 197 Millionen Dollar ein. Jetzt der schockierende Vergleich: In den ersten vier Monaten 2022 waren es allein 1,2 Milliarden Dollar. Die Grafik zeigt, wie symptomatisch die zwei Fonds für den massiven Anstieg an Spekulationswut am Weizenmarkt sind.
Das Internationalen Expertenpanel für Nachhaltige Lebensmittelsysteme (IPES-Food) hat im Mai einen sehr lesenswerten Report dazu herausgegeben. Im Titel wird vor der drohenden dritten Hungerkrise innerhalb von 15 Jahren gewarnt. IPES-Expertin Jennifer Clapp sagt unmissverständlich:
"Es gibt Hinweise darauf, dass sich Finanzspekulanten auf Rohstoffinvestitionen stürzen und auf steigende Lebensmittelpreise setzen, was die ärmsten Menschen der Welt noch tiefer in den Hunger treibt. Die Regierungen haben es versäumt, exzessive Spekulationen einzudämmen und die Transparenz der Lebensmittelvorräte und Rohstoffmärkte zu gewährleisten - hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden.”
Ist Spekulation alleine schuld?
Nein, leider kommt gerade vieles zusammen. Durch den Krieg können Weizenfelder auf den sonst so fruchtbaren Böden der Ukraine nicht normal bewirtschaftet werden. Außerdem hängen 25 Millionen Tonnen geernteter Weizen in Häfen am Schwarzen Meer fest. Der Weizen kann nicht verschifft werden, weil Häfen vermint und blockiert sind. Dieses Jahr wird es wohl weniger Weizen geben als erwartet, Weizen wird knapp werden. Das hat auch Putin verstanden. Mittlerweile nutzt er die Weizenblockade sogar als Druckmittel. Er würde die Blockade aufgeben, wenn der Westen Sanktionen lockere, so Putin jüngst zu Scholz, Macron und Draghi. Russland selbst hat obendrauf auch noch einen Ausfuhrstopp von Weizen und Düngemittel verhangen.
Das Problem: Ukraine und Russland sind wichtige Kornkammern für die Welt. Auf beide Länder zusammen fallen rund ein Drittel der weltweiten Weizenexporte. Viele Länder sind davon abhängig, dass Ukraine und Russland liefern. 30 Länder bekommen mindestens 30 Prozent ihrer Weizenimporte aus der Ukraine und Russland, 20 Ländern mindestens 50 Prozent, Libyen und Ägypten sogar knapp 70 Prozent, Eritrea und Somalia - zwei bitterarme Länder - fast 100 Prozent. Rund 400 Millionen Menschen weltweit beziehen Getreide aus der Ukraine.
Doch das ist noch nicht alles. Dürren, Hitzewellen, steigende Energiepreise und Düngemittelknappheit sorgen dafür, dass auch in anderen Ländern die Ernteerträge sinken. Rund 20 Länder haben mehr oder weniger starke Ausfuhrverbote für Getreide verhangen, um die eigene Versorgung zu sichern, darunter Großexporteure wie China und Indien.
Die Mischung aus Krieg, Ernteverlust und Spekulation hat fatale Folgen. Wenn in armen Ländern Weizen fehlt oder so teuer wird, dass sich viele keinen mehr leisten können, droht Hunger und Mangelernährung. In armen Ländern geben die Menschen schon unter normalen Umständen fast die Hälfte ihres Budgets für Lebensmittel aus, in Schwellenländern immerhin noch ein Viertel. Die Welthungerhilfe schlägt deshalb Alarm. Ernährungskrisen sind zudem nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern auch ein politisches Pulverfass.
Mit Lukas Scholle habe ich auch bei Wirtschaftsfragen ausführlich über die Lage gesprochen.
Ist denn alle Spekulation schlecht?
Termingeschäfte an der Börse sind nicht per se schlecht - und sogar mehr als 100 Jahre alt. Wenn Bauer und Abnehmer sich schon weit vor der Ernte auf Preis und Menge einigen, haben beide Planungssicherheit und sind geschützt vor Preisschwankungen. Bauern können etwa ihre Ausgaben wie Saatgut, Dünger und Co. über den vorgezogenen Verkauf ihrer Ernte finanzieren. So das klassische Lehrbuchbeispiel. Seit der Deregulierung der Finanzmärkte ist das traditionelle Absichern aber zur Nebensache geworden, zwischen 50 und 80 Prozent aller Börsenpositionen gehen auf das Konto von Spekulanten, etwa durch Fonds oder Investmentbanken.
Wie weit sich die Börse von der realen Landwirtschaft entfernt hat, zeigt auch diese Statistik: 2019 wurden in den USA und Europa Termingeschäfte über fünf Milliarden Tonnen Weizen abgeschlossen, obwohl die weltweite Jahresernte nur 731 Millionen Tonnen betrug. Spekuliert wurde also mit dem 7-Fachen der Ernte, wie die Bürgerbewegung Finanzwende in einer Petition gegen Weizenspekulation schreibt. Die Börsengeschäfte sind von der Wirklichkeit der Bauern entkoppelt.
Mit echten Knappheiten und Veränderungen in der Produktionsmenge haben die Börsenpreise daher häufig nicht mehr viel zu tun, wie die Grafik unterhalb zeigt. Die Preise fahren Achterbahn, wenn die Finanzmarktjongleure loslegen. Das war 2007 der Fall, das war 2012 der Fall und jetzt wieder. Der dritte Preisschock in 15 Jahren.
Das Problem ist aber grundsätzlicher. Finanzmärkte sind eben das Gegenteil von effizienten Märkten aus Lehrbüchern, die vernünftige Preise finden sollen. Der Grund ist das Herdenverhalten, das typisch für Finanzmärkte ist. Finanzmärkte funktionieren deshalb auch ganz anders als Gütermärkte. Einer von vielen blinden Flecken im VWL-Mainstream.
Ein Beispiel: Wenn der Preis für Kartoffeln steigt, sinkt üblicherweise die Nachfrage. Konsumenten weichen dann auf Reis und Nudeln aus. So weit, so trivial. Genau das gilt an der Börse aber nicht. Wenn der Börsenpreis für Weizen steigt, wird das von Investoren als Einstiegschance in eine Preisrallye verstanden. Steigenden Börsenpreise ziehen andere Investoren an, alle wittern die Chance auf Kursgewinne. Das begünstigt das Herdenverhalten an Finanzmärkten. Alle Anleger interpretieren Preisinformationen danach, wie wohl wiederum andere Anleger die Informationen interpretieren. Stark steigende Preise deuten auf eine Anlegerparty hin, bei der jeder mittanzen will. Der Preisanstieg an der Börse schürt also neue Nachfrage und lässt die Preise weiter steigen - so lange, bis die Spitze der Herde anfängt, die Party mit Gewinnen zu verlassen. Diese Logik ist das komplette Gegenteil zu Logik auf dem Kartoffelmarkt. Man muss es so klar sagen: Der Finanzmarkt ist kein effizienter Markt. Und je mehr Spekulanten mitmachen, desto ineffizienter wird er. Die Spekulanten tragen ja keine neuen, unabhängigen Informationen an den Markt, die helfen, einen vernünftigen Preis zu finden. Im Gegenteil: Spekulanten nutzen alle dieselben zentralisierten Informationen und interpretieren sie nach identischen Mustern. Herdenverhalten führt zu falschen Preisen, jeden Marktwirtschaftler sollte das stören.
Die extremen Preisschwankungen helfen auch den Bauern nicht. Wie sollen sie ihre Produktion daran anpassen, wenn hohe Preise spekulativ sind und gar keine Knappheiten anzeigen? Sie können sich dann nur falsch entscheiden. Die Signalfunktion von Preisen ist völlig außer Kraft.
Todesspirale Dollar-Schulden
Dass die hohen Weizenpreise so fatale Folgen für arme Länder haben, liegt auch an falscher Entwicklungspolitik. Das darf man in dem Zusammenhang nicht außen vor lassen. Zu viele Länder sind in einer gefährlichen Sackgasse: hohe US-Dollarschulden, hohe Importabhängigkeit bei Energie, Medizin und Lebensmitteln und dazu eine eigene Landwirtschaft, die auf Exporte für den Weltmarkt statt auf Selbstversorgung für zu Hause ausgelegt ist. Statt Getreide zur Selbstversorgung werden Cash-Crops wie Kaffee, Tabak oder Baumwolle für den Weltmarkt angebaut. Häufig in intensiver Landwirtschaft, die den Boden verhunzt und abhängig von Dünger, Saatgut und Pestiziden wird, die wieder aus dem Ausland eingekauft werden müssen. Die Cash-Crops sollen US-Dollar bringen, um die Auslandsschulden zu bedienen. Wenn aber Importpreise für Energie und Nahrung durch die Decke gehen, entwickelt sich diese Abhängigkeit zur Todesspirale. Viel Schlechtes wäre an der Stelle über die Rolle der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds zu sagen, das würden den Artikel aber sprengen.
Was tun gegen die Krise?
Dringend muss gehandelt werden, auch Deutschland ist in der Pflicht. Dabei gibt es ganz verschiedene Hebel. Zum einen muss dafür gesorgt werden, dass das Weizen aus der Ukraine aus dem Hafen laufen kann und auch Putin seinen Ausfuhrstopp für Weizen und Dünger aufgibt. Diplomatie und Verhandlungsgeschick sind gefragt. Gewiss keine einfache Aufgabe, aber eben eine notwendige. Gleiches gilt natürlich für den abscheulichen Angriffskrieg an sich.
Ebenso muss den Ländern, die besonders von Knappheiten und Preissteigerungen sind, pragmatisch geholfen werden. Schuldenerlasse, günstige Kredite, Weizenkontingente - alle Optionen gehören auf den Tisch.
Dazu muss die Spekulation unterbunden werden, indem physische Händler von Spekulanten getrennt und die Höhe der Positionen noch stärker begrenzt werden. Die einfache Daumenregel muss sein: Wer nicht nachweisen kann, dass er Weizen anbauen, ernten, lagern oder transportieren kann, der ist ein Spekulant und hat am Markt nichts verloren. Es braucht hier harte Regeln. Das Problem löst man außerdem auch nicht mit einer Steuer auf Börsenumsätze - der sogenannten Finanztransaktionsteuer. Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen gehört schlicht verboten, nicht besteuert.
Langfristig braucht es eine neue Entwicklungspolitik, die sich von der stumpfen Exportorientierung loslöst und vor allem in der Landwirtschaft auf nachhaltige Selbstversorgung setzt. Auch der internationale Handel muss sich ändern, hier hängt wegen der Globalisierung eben vieles mit vielem zusammen. Weltbank und IWF werden ihrer Rolle nicht gerecht. Ausgaben für Entwicklungshilfe sollten in Deutschland von der Schuldenbremse ausgenommen und deutlich ambitionierter werden!
Die Arbeit hinter Geld für die Welt funktioniert nur mit eurer Unterstützung. Wenn ihr könnt, unterstützt die Arbeit gerne mit einem Bezahl- oder Soli-Abo. Herzlichen Dank!
Wenn Dir der Artikel gefallen hat, teile ihn gerne auf Twitter, Instagram und Facebook.
Eine Bemerkung zu „Russland blockiert die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine:
Auf der Webseite der Bundesregierung (Link s.u.) ist zu lesen:
„Präsident Putin sagte zu, dass eine Öffnung des Minengürtels (…) seitens Russland nicht für Angriffshandlungen missbraucht werden würde“.
Auch in dem Artikel der Süddeutschen Zeitung (Link s.u. – mit Bezahlschranke) wird – anders als es die Überschrift „Putins Weg, die halbe Welt zu erpressen“ vermuten lässt, deutlich, dass „ Der ukrainische Militärexperte Kovalenko [sagt] (…) die Ukraine habe die Strände und die küstennahen Gewässer vermint“. Wer ggf. für Verlegung von Minen im offenen Meer die Verantwortung trägt, wird hier angesprochen, aber nicht abschließend beantwortet
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bundeskanzler-scholz-und-frankreichs-praesident-macron-telefonieren-mit-dem-russischen-praesidenten-putin-2044478
>>(...)
Präsident Putin sagte zu, dass eine Öffnung des Minengürtels, der zum Schutz der ukrainischen Häfen gelegt worden ist, um den Export von Getreide via Schiffen zu ermöglichen, seitens Russland nicht für Angriffshandlungen missbraucht werden würde. Der Bundeskanzler, Präsident Macron und Präsident Putin waren sich über die zentrale Rolle der Vereinten Nationen beim Zustandekommen und der Durchführung einer diesbezüglichen Vereinbarung einig.>>
https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-russland-nahrungsmittelkrise-1.5596951
>>Odessas Bürgermeister Hennadij Truchanow warnt vor einem solchen Kuhhandel. "Den Minengürtel vor unserem Hafen entfernen, um mit Moskaus Goodwill zu exportieren? Odessa wäre ungeschützt", sagt der Ex-Artillerieoffizier der SZ. Er wittert eine Falle: "Das ist die Chance, auf die Putin wartet. Er lügt. Ich glaube ihm kein Wort."
Der ukrainische Militärexperte Kovalenko betrachtet all diese Vorschläge mit Kopfschütteln. Ob man die Blockade nun militärisch brechen oder Absprachen mit Moskau treffen wolle, all dies koste viel zu viel Zeit. Die Ukraine habe die Strände und die küstennahen Gewässer vermint, Moskau weiter draußen auf See 500 bis 600 Seeminen zu Wasser gebracht. Wobei Moskau dies bestreitet und behauptet, auch die meisten dieser Seeminen seien von der Ukraine ausgelegt worden. Da es sich um alte sowjetische Munition handelt, die von beiden Seiten verwendet wird, lässt sich dies nach Meinung von Experten schwer klären. Es würde aber der Einschätzung des Militäranalytikers Kovalenko zufolge gut ein Jahr dauern, diese Minen - auch er nennt sie russisch - zu räumen.>>
Lieber Maurice, hervorragender Beitrag zum Thema Spekulationen an Finanzmärkten.
Deine Empfehlung, bestimmte Dinge an den Finanzmärkten schlicht zu verbieten würde ich auf alle Aktivitäten der Finanzmärkte ausdehnen. Hier wird nicht ein Yota Produktives geleistet sondern nur Preise gebildet.
Auch dein scheinbar positives Beispiel für die Preisfindung von Nahrungsmittel, damit den Bauern ihre Finanzierung von Saatgut, Düngern und Co. zu ermöglichen, ist eine reine Spekulation, die hier, was das Saatgut angeht, dem Bauern durch die Agrarindustrie regelrecht aufgezwungen wurde. Früher hat der Bauer einen kleinen Prozentsatz seiner Ernte im nächsten Jahr wieder als Saatgut verwendet. Heute wird ihm mit der Begründung der größeren Erntemenge Saatgut aufgezwungen, dass nicht für die Wiederaussaat geeignet ist. Damit muss er jedes Jahr bei der Industrie dieses Saatgut neu erwerben. Selbiges gilt für die Düngemittel.
Banken spielen hier ihr Spiel, um den Bauern in diese Finanzierungsabhängigkeit zu zwingen.
Die Preisunsicherheit eines Bauern könnte auch regierungsseitig durch entsprechende garantierte Mindestpreise behoben werden.