Weniger Loser-Mindset, Herr Lindner!
Krisenparteitag bei der FDP: Wie liberale Politik gewinnen könnte – und wie nicht.
Herr Lindner, Sie sind ein mächtiger Mann. Kassenwart der Nation und Chef der Liberalen. Noch. Denn Macht ist vergänglich, wenn man sie falsch einsetzt.
Zu Beginn der Ampel waren Sie mutig – und pragmatisch. Der Tankrabatt war eine neue Idee, das Sondervermögen im Grundgesetz ebenso, Sie haben sogar die Schuldenbremse ausgesetzt und einen Gasbetreiber verstaatlicht. Das hätte Ihnen vorher keiner zugetraut. Chapeau!
Heute sind Sie feige. Der Mut ist weg. Sie treten nach unten. Auf Arbeitslose, auf Asylbewerber. Beide Gruppen spielen Sie gegen Normalverdiener und Rentner aus. Sie legen Feuer in einer gespaltenen Gesellschaft. Muss das sein? Sie waren doch Unternehmer, zwar gescheitert, aber wieder auferstanden (das schreibe ich ohne Häme); Sie haben sich im Haifischbecken ihrer Partei durchgebissen, bis ganz nach oben. Sie stehen für Aufstieg – oder wollen es zumindest. Warum also nach unten treten? Warum Missgunst und Neid gegen Menschen schüren, die das Monatsende fürchten? „Gratismentalität“ haben Sie zum Neun-Euro-Ticket gesagt, „Loser-Mindset“ sage ich zu Ihnen. Gar nicht unternehmerisch, gar nicht mutig, gar nicht liberal. Ermöglichen Sie Aufstieg, statt den Menschen mit Abstieg zu drohen!
Wo ist ihr Mut nur geblieben? Und wo ihr Pragmatismus? Sie verstecken sich hinter der Schuldenbremse wie ein Sechsjähriger sich bei der Einschulung hinter seiner Schultüte. Die ganze Welt sieht es. Selbst der IWF rät Deutschland eine Reform für mehr Schulden. Und gewiss nicht irgendwer vom IWF, sondern die Vize-Chefin und der Chefökonom. Sie haben aus Deutschland einen Abstiegskandidaten gemacht. Wir sind Schlusslicht bei Investitionen, bei Wachstum, bei der Attraktivität für internationale Fachkräfte. Ihr Parteitagsmotto lautet „Growmany“. Zweifelsohne: Sie sind ein begnadeter Rhetoriker, aber „Growmany“? Das nimmt Ihnen keiner ab.
Und selbst wenn Sie zu feige für eine Reform der Schuldenbremse sind: Herr Lindner, es ist Krieg in Europa. Noch immer. Leider! Mehr als 20 Milliarden Euro sind im Haushalt für die Ukraine eingeplant. Wenn das keine Notlage ist, was dann? Normale Zeiten sind das sicher nicht.
Ohne Schuldenbremse könnten Sie gestalten. Wie ein echter Liberaler. Zum Beispiel den Arbeitnehmerpauschbetrag (aktuell 1.230 Euro) verdreifachen. Dann müssten die allermeisten der 26 Millionen Arbeitnehmer, die ihre Steuererklärung machen, keine mehr abgeben. Wer hat schon höhere Werbungskosten? Das würde wirken wie ein höherer Freibetrag, aber dazu Menschen und Finanzämter von der nervigsten aller Bürokratie entlasten. Was ein Wahlkampfschlager!
Oder den Freibetrag für die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer auf 100.000 Euro anheben. Oder die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel streichen. Oder die Mehrwertsteuer auf Bahnreisen von sieben auf null Prozent reduzieren – gut fürs Klima, gut für den Geldbeutel der Bahnfahrer, gut für den Verkehrsminister. Oder endlich einen FDP-Klassiker umsetzen: Bagatellsteuern abschaffen. Kaffeesteuer, Versicherungssteuer, Feuerschutzsteuer, Schaumweinsteuer, Biersteuer, Pferdesteuer und so weiter. Alles streichen. Die bringen nur Kleinstbeträge für den Bundeshaushalt, verursachen aber viel Bürokratie und wären im Geldbeutel der Menschen besser aufgehoben, damit das Geld in die Geschäfte getragen wird.
Oder, oder, oder. Herr Lindner, liberale Gewinner-Themen liegen auf der Straße. Und: Sie können doch gut verhandeln. Wenn Sie mit den Grünen einen Tankrabatt hinbekommen, dann sicher auch solche Steuererleichterungen. All das würde den FDP-Umfragen guttun. Und dem Image der Ampel. Und der deutschen Wirtschaft!
Vergessen Sie Ihren Zwölf-Punkte-Plan. Mehr Sanktionen, Soli weg, Überstunden steuerfrei, Ein-Euro-Jobs: Das ist weder koalitionsfähig noch hilfreich. Sie verrennen sich, wenn Sie in die Mottenkiste der Agenda 2010 greifen. Ich mein: Mir soll das recht sein. Ich habe Ihnen die Macht im Finanzministerium weder gegönnt noch zugetraut. Ich weine keine Träne, wenn Sie im November nächsten Jahres ihre Büros räumen. Hoffentlich kommt es so. Aber dem Land wäre gedient, wenn Sie ihre letzten Tage mit Pragmatismus nutzen, statt in Dogmatismus unterzugehen. Sie sind doch kein Loser, oder doch?
Lieber Maurice, super Beitrag!
Sowohl Positives als auch Negatives sachlich und verständlich ausgeführt. Wenn Herr Lindner jetzt noch unser Geldsystem verstünde und sachlich korrekt anwenden würde, hätten alle Bürger etwas davon und Deutschland würde von seinem „letzten“ Platz wieder im vorderen Bereich mitspielen.
Chapeau Maurice, ein super Beitrag! Endlich starke Worte und doch noch anständig, fair und sachlich begründet.
Hoffe, jemand legt deinen Artikel meinem nicht-verwandten Namensvetter vor! 😎🙏