Wettlauf gegen die Zeit: Klimachaos trifft auf klamme Kommunen
Der Klimawandel macht klamme Kassen in den Kommunen zum Katastrophenrisiko. Was es jetzt braucht: Geld und klare Ziele!
Ahrtal, Saarland, Bayern: Was für schreckliche Bilder. Schwimmende Autos, verschlammte Straßen, verwüstete Siedlungen, das pure Chaos. Verunglückte Anwohner und Einsatzkräfte, ruinierte Existenzen, Schäden in Milliardenhöhe. Die Medien sind voll von Betroffenheit, Mitleid und Schock. Jedes Mal aufs Neue.
Doch während Städte nacheinander absaufen und den Katastrophenfall ausrufen, verharrt die Spitzenpolitik im Normalmodus. Zumindest was das Geld angeht. Diskutiert wird nur über eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden, aber damit würden die Milliardenschäden nur in der Gesellschaft verteilt, nicht verhindert. Man muss sie aber verhindern. Um Leben zu retten und Wohlstand zu schützen.
Ein Wettlauf gegen die Zeit
„Die Welt geht morgen nicht unter“, sagte CDU-Chef Merz neulich. Ob er das jetzt knietief im Wasser stehend gegenüber den Betroffenen wiederholen würde? Wohl kaum. Es läuft längst ein Wettlauf gegen die Zeit. Um genau zu sein: Es sind sogar zwei Wettläufe. Einer gegen die Ursachen von Erderwärmung und Klimawandel; und einer gegen die Folgen von beidem. Beide drohen wir zu verlieren. Der Expertenrat für Klimafragen hat der Ampel noch gestern attestiert, die Klimaziele zu verfehlen. Und in vielen anderen Ländern sieht es eher schlimmer als besser aus.
Und selbst wenn wir naiverweise annehmen, dass die Welt es doch schafft, die Erderwärmung zu begrenzen und die planetaren Grenzen zu schützen, sind längst Schäden angerichtet. Auch bei 1,5 oder zwei Grad Erderwärmung gibt es Folgen. Folgen, auf die die meisten Kommunen in Sachen Infrastruktur und Katastrophenschutz nicht vorbereitet sind.
Und zu den Folgen gehört, da sind sich die Forscher einig, dass Extremwetterereignisse häufiger werden. Sprich: Mehr Stürme, mehr Starkregen, mehr Hitzewellen. Der Deutsche Wetterdienst schätzt, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Starkregenereignis wie im Ahrtal infolge des Klimawandels bis zu neunmal höher ist als noch Ende des 19. Jahrhunderts. Problem: Bundesweit stehen rund 300.000 Gebäude in ausgewiesenen Überschwemmungsgebieten. Wenn sintflutartige Regenfälle auf zu kleine Kanalsysteme und marode Brücken treffen, ist Unglück für all diese Gebäude vorprogrammiert.
Immerhin: Für den Wettlauf gegen die Erwärmung haben wir wenigstens klare Ziele. Für den Wettlauf gegen die Folgen leider nicht. Das wäre aber sinnvoll, auch um die politischen Maßnahmen zu bewerten und Erfolg oder Versagen zu messen. Wenn etwa bis 2030 in allen Überschwemmungsgebieten eine ganze Liste an Verbesserungen für die Infrastruktur vorzunehmen wäre, können sich Politiker nicht mit „aber wir haben schon viel Geld ausgegeben“-Floskeln herausreden.
Geld, Geld, Geld
Um die Schäden zu minimieren, muss die Infrastruktur darauf vorbereitet werden. Nötig wäre eine Investitionsoffensive in unwetterfeste Infrastruktur. Für Starkregen hieße das etwa, heute in die Kanalisation, in Abflusssysteme, Talsperren, Regenrückhaltebecken, Sickeranlagen, intelligente Straßenführung und flutfeste Gebäude zu investieren. Die Pläne liegen in vielen Kommunen sogar schon in der Schublade.
Teuer wird es so oder so. Die Frage ist nur: Investiert man in Prävention oder in Schadensbeseitigung?
Allein das Geld fehlt. Das ist für viele Kommunen knapp. Etliche sind bis zum Hals verschuldet, finanziell überfordert und gezwungen, an Personal und Infrastruktur zu sparen. Seit 2003 sind die öffentlichen Nettoinvestitionen in den Kommunen im Minus, heißt: die öffentliche Infrastruktur also seit zwanzig Jahren an Wert. Immer wieder schlagen Bürgermeister deshalb Alarm.
Ein Beispiel aus der Stadt Osterholz-Scharmbeck in Niedersachsen. Dem parteilosen Bürgermeister Torsten Rohde war schon 2019 [MH1] klar, weit vor der Ahrtal-Katastrophe, dass es dringend Investitionen in die Bewässerungssysteme braucht. Weil aber Geld fehlt, muss der Kämmerer woanders sparen, etwa an den Aufenthaltsräumen in Schulen. Daniela Rahn, eine Projektleiterin der örtlichen Stadtwerke, erklärt, sie würde die Rohre für den Regenwasserkanal gerne schnellstmöglich erweitern. Kann sie aber nicht, weil Geld fehlt.
Ein anderes Beispiel aus Bayern. Das Wasserwirtschaftsamt hat den Hochwasserschutz in Sallern bei Regensburg mitten im Bau stoppen müssen, weil die gestiegenen Baupreise in Folge von Corona und Energiekrise die Kassen geleert haben. Rund 20 Millionen Euro haben gefehlt. Auch ist mittlerweile bekannt, dass der heutige Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Jahr 2018 gegen den Bau von zehn Rückhaltebecken (sog. Flutpolder) entlang der Donau gewesen ist. Diese Polder seien teilweise überflüssig und auch viel zu teuer, "weil so ein Polder ja nur alle hundert Jahre mal geflutet wird", so Aiwanger im November 2018 in der Augsburger Allgemeine. Schlecht gealtert!
Trockene Kassen, nasse Häuser
Wenn dieser Tage über die Kassenlage der Kommunen gesprochen wird, geht es meist um die Aufnahme von Geflüchteten. Auch hier geizt die Ampel und lässt die Kommunen im Stich. Dabei hat Bundeskanzler Scholz zuletzt die Länder und Kommunen zu einen Deutschlandpakt aufgerufen und im Koalitionsvertrag sogar eine Abhilfe bei überschuldeten Kommunen versprochen. Aus dem Versprechen ist allerdings bisher nichts geworden. Und wird vermutlich auch nichts mehr werden, denn Finanzminister Lindner fährt gerade mit dem Rotstift durch die Budgets im Bundeshaushalt. Wo soll da noch Platz für Altschulden von Kommunen sein?
Und: Auch für den Bund hat Hochwasser- und Katastrophenschutz offensichtlich keine Priorität. Zuletzt hat die Ampel die Mittel für das Programm „Nationaler Hochwasserschutz“ von 100 auf 50 Millionen Euro halbiert. Ebenso beim Katastrophenschutz. 2022 waren dafür noch mehr als 700 Millionen Euro vorgesehen, dieses Jahr hingegen nur 570 Millionen. Dabei fordert das Deutsche Rote Kreuz seit Jahren schon zwei Milliarden Euro für den Katastrophenschutz, also fast viermal mehr Geld als derzeit veranschlagt.
Wenn Konservative in dieser Lage den Staatshaushalt um jeden Preis trocken halten wollen, stehen in Zukunft Häuser unter Wasser. Teuer wird es so oder so. Die Frage ist nur: Investiert man in Prävention oder in Schadensbeseitigung?
Auch hier gilt wohl ein Satz, den Professor Drosten während der CoViD-19-Pandemie mehrfach bemüht hat: "There is no glory in prevention". Mit vollgelaufenen Kellern kann man einfach viel besser Wahlkampf machen, als mit Hochwasserschutz. Das wusste schon Gerhard Schröder vor bald 20 Jahren zu nutzen. Und solange die FDP ihr Heil in der Zurschaustellung von Fremdenfeindlichkeit und neoliberalen Dogmen sucht, wird sich daran auch nichts ändern. Wieso bietet in der Ampel eigentlich niemand diesem gestriegelten Lackaffen die Stirn? Was soll denn passieren? Neuwahlen? Dann fliegt die FDP - wieder einmal - aus dem Bundestag. Das kann Lindner überhaupt nicht riskieren. Er muss auf Teufel komm raus die Legislatur überstehen. Eigentlich ist er in einer Loose-Loose- Situation. Platzt die Koalition , gibt es Neuwahlen, die FDP fliegt aus dem Bundestag und politisch ist es seine Schuld. Gibt er nach, übersteht die Koalition die Legislatur, und bei den Neuwahlen fliegt die FDP vermutlich ebenfalls aus dem Bundestag. Eigentlich kann Lindner nur verlieren. Aber seine Koalitionspartner lassen ihn daraus als Sieger hervor gehen. Wieso?