Wie schäbig wird's noch, Herr Lindner?
Lindner will Ukrainern das Bürgergeld streichen und eine Pauschale für Wohnkosten. Das ist so schäbig wie rechtswidrig
Sie haben den „Herbst der Entscheidungen“ angekündigt, Herr Lindner. Ihre Vorschläge aber klingen nach „Herbst der Schäbigkeiten“.
Schon wieder wollen Sie Milliarden beim Bürgergeld sparen und schon wieder sollen Ukrainer, die vor Putins Bomben geflohen sind, dafür herhalten. Denen wollen Sie nämlich statt 563 Euro Bürgergeld nur noch 460 Euro Asylbewerbergeld zahlen, dazu vieles nur als Sachleistung und mit entwürdigender Bezahlkarte (Wie halten Sie es noch gleich mit der Freiheit?).
Dabei sind die Ukrainer gar keine Asylbewerber, sondern subsidiär Schutzberechtigte. Ebenso wie viele Syrer, die vor dem Bürgerkrieg geflohen sind. Und Schutzberechtigte bekommen nun mal Bürgergeld, eine Vermittlung vom Jobcenter, einen Integrationskurs und eine Arbeitserlaubnis. Das ist geltende Rechtslage. Nur Ukrainer davon auszuklammern, also die Leistungen nach dem Herkunftsland zu unterscheiden, würde das Verfassungsgericht niemals zulassen.
Außerdem beklagen Sie doch immer, dass zu wenig Ukrainer Arbeit finden. Nicht nur, dass Ihre eigene Sparpolitik die Wirtschaft abwürgt, Stellen abbaut und nächstes Jahr sogar die Mittel für Integrationskurse halbiert. Ohne den Schutzstatus hätten die Ukrainer auch keinen Anspruch mehr auf Vermittlung vom Jobcenter. Das würde es aber noch schwieriger machen, einen Job zu finden – und wäre ein politisches Eigentor.
Zur Erinnerung: Zwar haben die Ukrainer den Status pauschal zugesprochen bekommen, also ohne eigenes Asylverfahren, aber das nur, weil die Ausländerbehörden mit einer Million individueller Verfahren endgültig lahmgelegt worden wären. Schon heute dauern Asylverfahren im Schnitt acht Monate. Ohne die Abkürzung für Ukrainer wären daraus wohl mehrere Jahre geworden. Die Abkürzung war keine Großzügigkeit, geschweige denn Barmherzigkeit, sondern blanke Not vor selbst verschuldetem Staatsversagen.
All das wissen Sie auch selbst, Herr Lindner. Deshalb fordern Sie einen neuen Rechtsstatus für ukrainische Geflüchtete. Zukünftig soll es so wenig Geld wie für Asylbewerber geben, aber dennoch Zugang zu Jobcentern und Arbeitsmarkt – und keine neuen Asylverfahren. Mit anderen Worten: Aus Verzweiflung wollen Sie das Recht biegen wie Knetgummi, um im Haushalt auf Kosten der Ärmsten ein paar Euros einzusparen. Wie schäbig!
Was Deutschland bräuchte, wäre ein neuer Rechtsstatus für öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, nicht für das Existenzminimum von Geflüchteten!
Bürgergeldbezieher bald zum Umzug gezwungen?
Und als wäre das noch nicht genug, haben Sie noch einen zweiten Vorschlag. Der ist allerdings nicht weniger schäbig. Bürgergeldbezieher sollen ihre Wohn- und Heizkosten zukünftig pauschal und nicht nach tatsächlichen Kosten erstattet bekommen. Ihr Zitat gegenüber der Wirtschaftswoche: „Dann können die Leistungsempfänger entscheiden, ob sie eine kleinere Wohnung beziehen und wie sie heizen. Ich glaube, dass wir hier Milliarden Euro einsparen können.“
Das vergiftet die gesellschaftliche Debatte, bringt die FDP aber nicht aus ihrem Umfragetief.
Derzeit übernimmt der Staat bis zu einer gewissen Miethöhe und Wohnungsgröße die tatsächlichen Kosten. Von Stadt zu Stadt gibt es dafür andere Grenzen, weil die Mietniveaus verschieden sind. In Dresden gelten 369 Euro Miete für einen Single als angemessen, in München 849 Euro. Schon heute sind die Grenzen häufig unrealistisch, beklagen auch Sozialverbände immer wieder. Eine Anfrage der Linken hat neulich aufgedeckt, dass 2023 fast 320.000 Bürgergeldhaushalte nicht die kompletten Wohnkosten erstattet bekamen und im Schnitt 111 Euro monatlich aus dem ohnehin kleinen Regelsatz beisteuern mussten. In Berlin waren es im Schnitt sogar 160 Euro. Das sind Kosten, die den Regelsatz effektiv verkleinern. Heißt also für Betroffene: weniger Essen, weniger Kleidung, weniger Teilhabe.
Naiv ist außerdem die Vorstellung, Bürgergeldbezieher könnten einfach umziehen, wenn die Wohnung zu teuer oder zu groß ist. Wer in Metropolen wie Berlin, München oder Frankfurt wohnt, findet kaum eine neue Wohnung, schon gar keine bezahlbare. Daran wird die Ampel auch nichts ändern, verfehlt sie doch ihre Neubauziele und vergrößert die Lücken in der Mietpreisbremse. Die Pauschale würde in vielen Fällen also nur zur effektiven Regelsatzkürzung. Vielleicht ist das auch einfach Ihr Ziel, Herr Lindner? Immerhin halten Sie das Bürgergeld ohnehin für 24 Euro höher als geboten und würden es am liebsten kürzen. Das gibt aber die Verfassung nicht her, Stichwort: Bestandsschutz.
Selbst wenn Familien ein Umzug möglich wäre, bedeutet Umzugsstress aber, die Betroffenen haben weniger Kapazität, einen neuen Job zu suchen. Auch könnte die Betreuung für Kinder oder die Pflege von Angehörigen komplizierter, zeitaufwendiger werden, wenn der Wohnort verlagert wird. Alles kontraproduktiv, wenn Ihr Ziel doch ist, den Empfängerkreis beim Bürgergeld zu reduzieren. Schon wieder ein politisches Eigentor.
Statt liberaler Reformen oder mutiger Wirtschaftspolitik legen Sie als Finanzminister und FDP-Chef im Unterbietungswettbewerb der politischen Schäbigkeiten einfach immer wieder einen drauf. Egal wie unpraktisch oder rechtswidrig die Vorschläge auch sind. Das vergiftet die gesellschaftliche Debatte, bringt die FDP aber nicht aus ihrem Umfragetief.
Ich hoffe das geht als offener Brief direkt an Herrn Lindner. Echt eine Frechheit wie er sich hier auf Kosten der Ärmsten versucht den Haushalt zurechtzubiegen…
Sehr gut auf den Punkt gebracht! Ich glaube kaum, dass ihm die vielen Eigentore noch etwas ausmachen, Hauptsache er bleibt Thema.
Mich würde mal interessieren, inwieweit die anderen FDP-Ministerien an Lindners Weisungen oder "Hinweise" gebunden sind. Verkehr, Digitalisierung, Bildung und Forschung: alles wird kaputtgespart bzw. kaputtignoriert.