Die Säge am eigenen Ast
Unternehmerverbände fordern höhere Zinsen und weniger Staatsausgaben. Dabei wäre beides zu ihrem Nachteil.
Unternehmerverbände vertreten die Interessen ihrer Unternehmen - sollte man doch meinen. Das ist ihnen kürzlich nicht ganz so gut gelungen. Als ich im Handelsblatt las “Deutsche Wirtschaft fordert EZB Zinswende nach US-Vorbild”, legte sich mein Stirn schlagartig in Falten. Unternehmer fordern höhere Zinsen für sich selbst? Also: Unternehmer fordern höhere Kosten für sich selbst? Wie bitte?
Im Wahlkampf haben uns Christian Lindner, Friedrich Merz, Markus Söder und konservative Ökonomen doch noch tagelang erzählt, die Firmen bräuchten jetzt dringend Entlastungen, um endlich investieren zu können? Der Soli sollte weg, die Superabschreibungen sollten her. Und jetzt fordern Unternehmerverbände höhere Zinsen? Ist Liquidität etwa doch kein Problem?
Die falschen Hausaufgaben
„Es ist an der Zeit, die expansive Geldpolitik endlich zu beenden, auch wenn dies perspektivisch zu höheren Zinsen für die Staatshaushalte führt“
Das sagte Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), und fügte an: Es sei schließlich nicht Aufgabe einer Zentralbank, marode Staatshaushalte zu sanieren. Die Politiker in Europa müssten ihre Hausaufgaben selbst machen. Dazu gehöre auch, die Staatsausgaben endlich auf den Prüfstand zu stellen, so Jandura.
Als Interessensvertreter der Wirtschaft müssten die Verbände nicht nur betriebswirtschaftlich denken, sondern auch volkswirtschaftlich. Wenn Jandura weniger Staatsausgaben fordert, dann fordert er gleichzeitig, weniger Einnahmen für die Privatwirtschaft. Denn volkswirtschaftlich gilt immer: die Ausgaben des einen sind die Einnahmen eines anderen. Die Ausgaben des Staates sind die Einnahmen der Privatwirtschaft. Wenn der Staat weniger ausgibt, verdienen die Unternehmen weniger Geld.
Das Gerede von “maroden Staatshaushalten”, bei denen die “Politiker in Europa” ihre “Hausaufgaben” machen sollten, zeugt von völliger Ahnungslosigkeit über die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Staatshaushalte sind keine Privathaushalte, das ist mal das Erste. Wenn er aber Staatsschulden als Problem ansieht und Ausgabenkürzungen fordert, wo soll denn gekürzt werden? Bei den Subventionen für die Wirtschaft? Wohl kaum. Kürzungen am Sozialstaat oder in der öffentlichen Verwaltung? Bitte nicht!
Dass ein Staat sich nicht aus den Schulden herauskürzen kann (und auch nicht muss), sollte nach dem gescheiterten Spardiktat in Griechenland mittlerweile auch bei Jandura angekommen sein. Wenn der Sozialstaat gekürzt wird, würgt das sofort die Nachfrage ab, schadet der Konjunktur und senkt die Steuereinnahmen. Griechenlands Wirtschaft wurde vor die Wand gefahren und - das ist eigentlich das absurdeste an der ganzen Nummer - nicht einmal die Schuldenquote ist heute geringer als vor der Kürzungspolitik. Genauso unsinnig sind Kürzungen in der öffentlichen Verwaltung. Schon heute führt Personalmangel dazu, dass öffentliche Investitionen nicht von der Rampe geschoben werden. Wenn der Staat aber Wohnungen, Straßen und Brücken baut, profitiert die Wirtschaft davon, weil sie die Infrastruktur ja selbst nutzt und weil sie öffentliche Aufträge bekommt. Wie man es dreht und wendet: Jandura fordert, an dem Ast zu sägen, auf dem seine Unternehmen sitzen.
Exporte teurer machen?
In das gleiche Horn bläst auch der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Er sagte:
„Viele deutsche Unternehmen hoffen jetzt auf ein wohldosiertes und zugleich klares Zinssignal der EZB. Denn die höheren US-Zinsen ziehen Kapital in die Vereinigten Staaten und den Dollarkurs nach oben. Eine ungünstige Euro-Kursentwicklung könnte die importierte Inflation weiter anfachen.“
Sollen die FED und EZB in einen Ringkampf um höhere Zinsen einsteigen? Es stimmt zwar, dass ein schwächerer Euro Öl- und Gasimporte teurer macht, aber wieso denn das Pferd von hinten aufzäumen? Wieso hat Treier keine Forderungen zur Energiepolitik? Der Wechselkurs ist derzeit das kleinste Problem an den explodierenden Energiepreisen. Zumal die Wirkung von Zinsen auf den Wechselkurs mittelfristig ohnehin alles andere als belastbar zu prognostizieren sind und Zinsschritte in der Größenordnung von 0,2 Prozent erst recht keine Wechselkursveränderung brächten, die der Rede wert wäre - geschweige denn für Entlastung bei den Energiepreisen sorgen könnte.
Warum höhere Zinsen auch sonst gerade nicht das beste Mittel sind, hatte ich in diesem Artikel unterhalb auch schon beschrieben.
Ein schwacher Euro ist für die deutsche Außenwirtschaft außerdem von Vorteil. Deutschland ist schließlich Exportweltmeister. Wenn der Euro abwertet, weil die FED die Zinsen anhebt, dann werden deutsche Autos und Maschinen auf dem Weltmarkt in US-Dollar gerechnet günstiger. Ein schwacher Euro ist ein Konjunkturprogramm für VW, Siemens & Co. Der Erfolg der deutschen Exportwirtschaft baut außerdem auf einer Politik der gewollten Währungsabwertung. Deutsche Wirtschaftspolitik ist seit 15 Jahren Politik für die Exportwirtschaft - auf Kosten vieler Niedriglöhner und auf Kosten der europäischen Nachbarn, wie ich in diesem Video mit Prof. Heiner Flassbeck erklärt habe.
Ein weiteres Missverständnis
Aufgefallen ist mir noch dieser Satz: “Denn die höheren US-Zinsen ziehen Kapital in die Vereinigten Staaten”. Wenn von “Kapital” gesprochen wird, weiß man nie, was eigentlich genau damit gemeint ist: Geld, Maschinen, Firmensitze? Ich vermute mal, Treier meint Geld und will davor warnen, dass Geld aus Europa abgezogen wird und in die USA fließt. Das ist ein Missverständnis des Geldsystems, ein häufig gemachter Fehler.
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie Geld für die Welt, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.