Zu viele Rentner, zu wenig Kinder? Nein, zu viel Ungleichheit!
Warum das Problem der Rente nicht die Demografie ist, sondern die schlechte Verteilung. Und warum mehr Kinder keine Lösung sind
Während sich die neue Regierung um die Rente zofft, herrscht unter konservativen Ökonomen in Deutschland seit Jahrzehnten Einigkeit: Der Generationenvertrag der umlagefinanzierten Rentenversicherung sei nicht mehr tragfähig. Wenn die Jüngeren mit ihren Beiträgen die Älteren finanzieren, müsse das System zwangsläufig kollabieren, sobald sich das Verhältnis von Jung zu Alt weiter verschlechtert.
Deren Lösungsvorschläge: länger arbeiten, weniger Rente, mehr private Vorsorge an der Börse. Oder auch: mehr Kinder. Deshalb hat Hans-Werner Sinn neulich in der Welt für eine höhere Geburtenrate geworben. Auch AfD-Prominente wie Maximilian Krah sehen darin die Rentenlösung. Im niedersächsischen Landtag hat die AfD zuletzt sogar eine Babyprämie von 2.000 Euro gefordert.
Dr. Michael Paetz ist promovierter Volkswirt und als Lehrkraft an der Universität Hamburg tätig. Er hat gemeinsam mit der Hamburg Open Online University den Erklärblog „Was-ist-Geld.de“ ins Leben gerufen. Auf seinem gleichnamigen Youtube-Kanal (@was-ist-geld) findet man dazu zahlreiche Vorlesungsvideos.
Buchtipp: Im April 2025 veröffentlichte Paetz das sehr empfehlenswerte Buch Geldtheorie und Geldpolitik bei Schäffer Poeschel.
Mehr Kinder sind keine Lösung
Der Vorschlag von Sinn und Krah verschlimmert selbst in der konservativen Logik allerdings erstmal das Problem, weil die arbeitende Bevölkerung ja nicht nur die Rentner finanziert, sondern auch die Kinder. Solange diese noch nicht im erwerbsfähigen Alter sind, müssen sie von ihren Eltern und/oder der Allgemeinheit mitgetragen werden. Für die gesamtwirtschaftliche Belastung ist daher nicht das Verhältnis zwischen Jung und Alt entscheidend, sondern das Verhältnis zwischen der erwerbstätigen Bevölkerung und dem Teil, der von ihr abhängig ist. Statt für mehr Kinder müsste Sinn also eigentlich für mehr Migration werben.
Ein Blick auf die Prognose zur Altersstruktur Deutschlands (basierend auf einer moderaten Entwicklung von Geburtenrate, Lebenserwartung und Migration) verrät außerdem: Schon seit 1950 verschlechtert sich der sogenannte Altersquotient, also das Verhältnis zwischen den Rentnern und den Erwerbsfähigen.

Das Bild verändert sich jedoch deutlich, wenn man die unter 20-Jährigen mit einbezieht. Weil der Jugendquotient seit Jahrzehnten gesunken ist, wirkt die Entwicklung des Gesamtquotienten längst nicht mehr so dramatisch. Bezieht man außerdem ein, dass das gesetzliche Rentenalter bereits auf 67 steigt (die gestrichelten Linien), zeigt sich: Der Gesamtquotient im Jahr 2070 liegt in etwa auf dem gleichen Niveau wie hundert Jahre zuvor. Und in den 1970er-Jahren war es offenkundig kein Problem, den nicht-erwerbstätigen Teil der Bevölkerung zu versorgen.
In 45 Jahren wird es zwar mehr Rentner geben, dafür aber erheblich weniger Kinder, die versorgt werden müssen. Die gesamtwirtschaftliche Belastung bleibt also ähnlich – sie verteilt sich nur anders. Und selbst diese Last ließe sich reduzieren, zum Beispiel durch eine klügere Migrationspolitik. Ein Gedanke, der erfahrungsgemäß die rechten politischen Kräfte irritiert, die am lautesten vor dem angeblichen demografischen Kollaps warnen.
So schön es wäre, mehr Kinder in diesem Land zu sehen – in ihren ersten gut 20 Jahren erhöhen sie zunächst die finanzielle Belastung der Volkswirtschaft. Rechnet man KiTa, Schule, Ausbildung und familiäre Transferleistungen zusammen, liegen ihre öffentlichen Kosten vermutlich sogar höher als die der Rentner. Erst als Erwachsene tragen sie zum wirtschaftlichen Wohlstand bei – vorausgesetzt, sie finden einen Arbeitsplatz.
Die Verteilung ist das Problem
In der ganzen Rentendebatte geht es letztlich um etwas anderes: Menschen müssen etwas produzieren, das verteilt werden kann – an Jüngere, Ältere und alle dazwischen. Und genau hier lohnt ein Blick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Die folgende Abbildung zeigt: Das Einkommen in Deutschland entwickelt sich eigentlich recht robust – zumindest im Durchschnitt und ausgenommen der letzten Krisenjahre.

In der Grafik sind alle Zeitreihen preisbereinigt und zeigen damit die reale Entwicklung von Wertschöpfung, Löhnen und Renten. Bis in die späten 1980er Jahre wuchsen Löhne und Renten nahezu im Gleichschritt mit der Pro-Kopf-Produktion – der wirtschaftliche Fortschritt kam also bei der breiten Bevölkerung an.
Dann kam der Bruch: Arbeitsmarkt- und Rentenreformen sowie eine politisch gewollte Lohnzurückhaltung führten dazu, dass sich die Löhne vom Wirtschaftswachstum und die Renten von den Löhnen entkoppelten. Gleichzeitig nahm die Lohnspreizung zu – viele Beschäftigte in den unteren Einkommensgruppen verfügen heute über kaum mehr Kaufkraft als vor 40 Jahren.
Die Folgen spüren wir bis heute. Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung beträgt inzwischen zwar das 2,4-fache des Standes von 1970. Trotzdem können viele Menschen von Arbeit oder Rente kaum leben. Nicht, weil „die Demografie“ das System erdrückt, sondern weil wachsende Teile der Wirtschaftsleistung an Profit- und Vermögenseinkommen statt an Löhne und Renten gehen. Mit anderen Worten: Das Problem ist nicht der Kuchen – der ist groß genug –, sondern wie er verteilt wird. Wären Löhne und Renten weiter im Takt mit der Produktivität gestiegen, hätten wir diese Debatte über die angebliche Unfinanzierbarkeit heute nicht.
Wer dagegen Junge gegen Alte in Stellung bringt, betreibt Nebelkerzenpolitik und verschiebt die Aufmerksamkeit weg von der eigentlichen Konfliktlinie – der Verteilungsfrage.
Niedrige Renten, niedrige Nachfrage
Verfechter der Agenda-Reformen Anfang der 2000er Jahre behaupten bis heute, die deutsche Wirtschaft sei nach der Wiedervereinigung strukturell zu teuer und deshalb nicht wettbewerbsfähig gewesen. Die Löhne mussten runter, die Lohnnebenkosten auch, und die Rentenreformen seien unerlässlich gewesen, um Wachstum wieder möglich zu machen. Die Botschaft: Ohne diesen „Mut zur Härte“ hätte sich das deutsche BIP viel schlechter entwickelt.
Dabei wird ein entscheidender Zusammenhang ignoriert: Löhne und Renten sind keine reinen Kostenfaktoren, sondern auch Nachfrage. Bessere Einkommensperspektiven hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu höheren Investitionen geführt, die Produktivität gesteigert und die Pro-Kopf-Wertschöpfung heute spürbar erhöht. Genau davon hätte vor allem die junge Generation profitiert: höhere Löhne, mehr Wohlstand, mehr Spielraum – und damit keinerlei Probleme, den nicht arbeitenden Teil der Bevölkerung mitzutragen.
Die Junge Union möchte am liebsten das Rentenniveau weiter absenken. Für jene, deren Interessen sie angeblich vertritt, ist das ein ökonomischer Schildbürgerstreich: Es entwertet nicht nur die eigenen Rentenansprüche – es schwächt auch die künftige Kaufkraft der gesamten Bevölkerung. Und geringere Kaufkraft bedeutet: weniger Nachfrage, weniger Investitionen, weniger Wachstum, weniger Jobs. Kurz gesagt: Ein niedrigeres Rentenniveau löst nicht die Probleme der jungen Generation – es vergrößert sie.
Wohlstand sichert man nicht durch Kürzen
Die Fehler der Vergangenheit lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Die Lohnentwicklung der letzten Jahrzehnte ist, wie sie ist. Umso wichtiger ist es jetzt, die Folgen zu mildern. Eine Möglichkeit wäre eine stärkere Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung: etwa durch eine höhere Beitragsbemessungsgrenze und eine Höchstrente. Das würde bedeuten, dass Menschen mit hohen Einkommen mehr einzahlen, aber ab einem bestimmten Niveau keine zusätzlichen Ansprüche erwerben. Man kann das durchaus als Korrektur der Lohnspreizung seit den 1990er-Jahren verstehen: Die Gewinner der Entwicklung stabilisieren die Renten derjenigen, die verloren haben.
Zusätzlich ließen sich Gewinne und Vermögen stärker besteuern, um niedrige Renten aus dem Staatshaushalt gezielt zu bezuschussen. Das würde einen Teil der Umverteilung kompensieren, die in den vergangenen Jahrzehnten zulasten der Arbeitnehmer stattgefunden hat. Gleichzeitig sollte alles daran gesetzt werden, dass Löhne künftig wieder im Takt mit der Produktivität steigen – nur so lassen sich die Renten langfristig sichern. Und auch das Rentenniveau selbst muss wieder angehoben werden, damit niemand aus Angst vor Altersarmut zu zusätzlichem Zwangssparen gedrängt wird. Denn dieses Sparen geht direkt zulasten der Nachfrage – und damit der wirtschaftlichen Entwicklung.
Wer dagegen Junge gegen Alte in Stellung bringt, betreibt Nebelkerzenpolitik. Er verschiebt die Aufmerksamkeit weg von der eigentlichen Konfliktlinie – der Verteilungsfrage – und stellt sich damit nicht auf die Seite der jungen Generation, sondern auf die Seite der Vermögenden. Nicht die Alten bedrohen die Zukunft der Jungen – sondern eine Politik, die glaubt, man könne Wohlstand über Verzicht schaffen!




Vielen Dank. Leider wird sich aus meiner Sicht niemand in der derzeitigen Regierung auch nur im Entferntesten dafür interessieren. Ich denke, es wird – wie so oft im Leben – erst einmal richtig schlimm werden müssen, bis Teile der Unternehmer, Politiker und auch der Bevölkerung verstehen, dass letztendlich der Kreislauf des Geldes aufrechterhalten werden muss und dass ein einseitiges Abschöpfen von Kapital letzten Endes auch diejenigen trifft, die glauben, jetzt maximal davon profitieren zu können. Geben ist seliger als Nehmen. Was für ein Paradoxon!