5 Mythen zur Haushaltskrise – und wie die Ampel sie lösen kann
Was jeder über die Haushaltssperre wissen muss, warum Merz keine Schuld trifft und weder eine Vermögensteuer noch der Abbau klimaschädlicher Subventionen das Problem der Ampel lösen
Das Schulden-Urteil hat die Ampel in die Krise gestürzt. Im stillen Kämmerlein hocken Lindner, Habeck und Scholz nun zusammen, um auf das Urteil zu reagieren. Die Unsicherheit ist groß, auch in der Wirtschaft. Immerhin steht ein Fragezeichen hinter zugesagten Mitteln für Industrie und Verbraucher.
Haushaltssperre und Ausgangslage
Als Vorsichtsmaßnahme hat das Finanzministerium letzte Nacht bekannt gegeben, die Haushaltssperre vom Klima- und Transformationsfonds (KTF) auf den gesamten Haushalt 2023 auszuweiten – auch auf den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Preisbremsen für Strom und Gas finanziert werden. Haushaltssperre heißt aber nicht, dass kein Geld mehr fließt oder gar Renten nicht mehr gezahlt werden. Lediglich neue (!) Verpflichtungsermächtigungen sind gesperrt, alle bisher bestehenden werden eingehalten. Sperre klingt also erstmal dramatischer, als es ist. Und aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.
Kurze Erklärung: Eine Verpflichtungsermächtigung erlaubt dem Parlament, im Haushaltsjahr Verpflichtungen einzugehen, die zu Ausgaben in künftigen Haushaltsjahren führen. Beispiel: Gelder für den Bau einer Brücke oder die Ansiedlung einer Firma fließen nicht auf einmal ab, sondern über mehrere Jahre. Deshalb braucht es dafür eine sogenannte Verpflichtungsermächtigung.
Viel schlimmer als die Sperre selbst ist ihre Botschaft. Offensichtlich geht die Ampel davon aus, dass das Urteil auch den WSF betrifft. Nicht allerdings, weil dorthin auch Corona-Mittel gebucht wurden, sondern weil das Urteil verlangt, dass mit einer Notlage beschlossene Gelder vollständig in dem Jahr abfließen, in dem die Notlage im Bundestag beschlossen wurde.
Das hat die Ampel 2022 wegen des Krieges und des Energiepreisschocks gemacht, die Schuldenbremse in dem Jahr ausgesetzt und den WSF mit 200 Milliarden befüllt. So weit, so rechtmäßig. 2023 aber eben nicht mehr. Zumindest bisher nicht. Das ist der Knackpunkt. Denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist so zu verstehen, dass für Ausgaben aus dem WSF in 2023 auch die Notlage in 2023 hätte erklärt sein müssen. Ups!
Politische Sackgasse?
Will die Ampel also verhindern, dass Friedrich Merz nächstes Jahr auch gegen den WSF klagt und die Ampel nochmal düpiert, muss sie die restlichen Wochen des Jahres nutzen, um die Schuldenbremse für 2023 auszusetzen und die WSF-Ausgaben mit einem Nachtragshaushalt legitimieren. Die Notfallklausel der Schuldenbremse kann die Ampel problemlos selbst aktivieren, dafür braucht es nur eine einfache Kanzlermehrheit – und keine Zweidrittelmehrheit wie beim Sondervermögen der Bundeswehr oder einer umfassenden Reform der Schuldenbremse.
So einfach das theoretisch wäre, so kompliziert ist das aber politisch. Immerhin erklärt Christian Lindner seit elf Monaten der ganzen Welt, warum es so wichtig sei, die Schuldenbremse in diesem Jahr wieder einzuhalten, warum unsere europäischen Nachbarn sich daran ein Vorbild nehmen sollten und dass die Schuldenbremse gar die Inflation gesenkt habe (was falsch ist, aber: anderes Thema!). Jetzt, kurz vor Jahresende, diese Erzählung aufzugeben, würde Lindner beim FDP-Klientel einen saftigen Imageschaden einbrocken. Blockiert er allerdings die Notfallklausel, gibt es eine Steilvorlage für Merz und einen noch größeren Scherbenhaufen im Bundeshaushalt 2023. Willkommen in der politischen Sackgasse!
Preisbremsen in Gefahr
Außerdem hat die Ampel gerade erst beschlossen, die Preisbremsen für Gas und Strom bis zum März 2024 zu verlängern. Gute Nachricht für die Verbraucher. Nur war bisher geplant, die Bremsen aus dem WSF zu bezahlen, mit Mitteln, die man 2022 durch Aussetzung der Schuldenbremse durch den Bundestag gepeitscht hat. Wenn das Urteil das aber verhindert, muss die Ampel auch 2024 die Notfallklausel der Schuldenbremse aktivieren oder die Ausgaben aus dem normalen Haushalt bezahlen – und dafür woanders einsparen. Hier wird es also richtig heikel.
Für 2023 mag sich Lindner vielleicht noch mit Ach und Krach zur Notfallklausel hinreißen lassen, spätestens für die Jahre darauf ist das aber völlig unrealistisch. Sonst hätte ein Finanzminister Lindner sich über eine ganze Legislatur der Schuldenbremse entledigt. Das ist unvorstellbar, weil das eine politische Vollkatastrophe für die FDP wäre. Die könnten sich ziemlich sicher aus dem Bundestag verabschieden, in Umfragen stehen die Liberalen ja ohnehin schon an der Fünf-Prozent-Marke.
Wie zu erwarten, ist die öffentliche Debatte dieser Tage von vielen falschen Ideen und Mythen geprägt. Fünf davon will ich hier entlarven.
Mythos 1: Die Ampel braucht jetzt neues Geld
Stimmt nicht. Der Ampel ist mit dem Urteil kein Geld im engeren Sinne flöten gegangen, sie muss auch kein ausgegebenes Geld zurückholen, sondern lediglich die rechtliche Legitimation im Haushalt zerbrochen. Es fehlt also kein Geld, sondern nur das Recht, die Gelder auszugeben.
Überhaupt macht es keinen Unterschied, ob Gelder über den »normalen« Haushalt oder ein Sondervermögen ausgegeben werden. Wenn auf Lindners Konto bei der Bundesbank zu wenig Geld ist, um anstehenden Ausgaben zu tätigen, verkauft er dafür Staatsanleihen an Geschäftsbanken und besorgt sich so neue Guthaben bei der Bundesbank. Das passiert mehrmals pro Woche über die Bundesfinanzagentur, zuletzt gestern noch – business as usual.
Es braucht durch das Urteil also keine neuen Steuereinnahmen, wie häufig suggeriert, sondern lediglich einen rechtssicheren Weg, um das Geld auszugeben, das mit dem ohnehin geplanten Verkauf von Staatsanleihen vorgesehen war.
Mythos 2: Merz ist Schuld
Robert Habeck schiebt der CDU die Schuldkarte in die Tasche, viele Grüne springen auf den Zug auf und halten die Klage der CDU für unverantwortlich. Das ist eine ziemlich schräge Rechtsauffassung.
Zumal das Grundproblem doch dieses ist: Die Ampel konnte sich in den Koalitionsverhandlungen 2021 nicht darauf einigen, die Steuern zu erhöhen oder die Schuldenbremse länger auszusetzen, um Klimainvestitionen zu finanzieren. Zu verlockend war deshalb, die ungenutzten Corona-Kredite (60 Milliarden) aus dem Jahr 2021 in den Klimafonds im Jahr 2022 umzubuchen. Nur so war der Ampel-Kompromiss möglich. Denn mehr Geld für Klima, keine Steuern erhöhen und gleichzeitig Schulden vermeiden, das geht nun mal nicht.
Übrigens: Anders als bei den Koalitionsverhandlungen 2021 geplant, wurde die Schuldenbremse 2022 ja doch ausgesetzt. Wegen des Ukraine-Krieges. Das konnte die Ampel 2021 natürlich nicht absehen. Aber: Hätte die Ampel den KTF 2022 mit 60 Milliarden befüllt, mit Verweis auf die Energiekrise, wären zwei der drei Einwände des Verfassungsgerichtes weggebrochen. Allein das Prinzip der Jährlichkeit und Jährigkeit, Gelder also komplett im Notlagenjahr auszugeben und nicht später, hätte noch gegriffen. Wie beim WSF jetzt.
Dagegen hätte die CDU aber wohl nie geklagt. Denn das gleiche hat die Union in der Groko im Frühjahr 2021 für das Ahrtal gemacht. 30 Milliarden Euro hat die GroKo über die ausgesetzte Schuldenbremse in das Sondervermögen »Aufbauhilfe« gesteckt. Und selbstverständlich sind diese 30 Milliarden nicht komplett im Jahr 2021 abgeflossen, so schnell lassen sich Gebäude nicht reparieren oder gar neu bauen. Der Wiederaufbau läuft ja bis heute. Dieses Sondervermögen widerspricht also im Sinne der Jährlichkeit und Jährigkeit genauso dem Urteil des Verfassungsgerichts wie der KTF und der WSF. Nur wird dagegen nie jemand klagen, auch die CDU nicht. Schließlich würde das am Merkel-Erbe kratzen.
Ökonomisch gesehen ist das Urteil des Verfassungsgerichtes zur Jährlichkeit und Jährigkeit ein Reinfall. Das Beispiel Ahrtal zeigt, warum. Nur weil 2021 die 30 Milliarden in dem Sondervermögen für den Wiederaufbau in den nächsten Jahren reserviert wurden, konnte der Wiederaufbau verlässlich geplant werden. Nach dem neuen Urteil wäre das nicht möglich, denn dann müsste der Bundestag jedes Jahr aufs Neue die Notlage feststellen, damit die Gelder fließen. Die 30 Milliarden, mit denen alle planen, sind nach dem Urteil also abhängig davon, dass auch in Zukunft immer wieder die Notlage im Bundestag festgestellt wird. Wenn aber die Mehrheiten im Parlament wechseln, kann das schnell anders aussehen. Deshalb steht das Urteil mit der so wichtigen Planungssicherheit auf Kriegsfuß. Merz kann dafür aber nichts, sorry.
Mythos 3: Jetzt muss gekürzt werden!
Einige FDPler nutzen die Gunst der Stunde, um Kürzungen am Sozialstaat zu fordern, einige Linke, Jusos und Grüne warnen explizit davor. Das ist allerdings nur politisches Getöse. Kürzungen in Milliardenhöhe bei Renten, dem Bürgergeld oder den klimaschädlichen Subventionen lassen sich erstens nicht über Nacht rechtssicher umsetzen. Und zweitens bringt das keine neuen Mittel für den KTF oder den WSF, sondern entlastete den Kernhaushalt.
Viel mehr geht es jetzt darum, neue Rechtskonstrukte für die Sondervermögen zu finden. Oder eben Ausgaben aus dem KTF, wie etwa die Zuschüsse zur Bahn, über andere Wege an der Schuldenbremse vorbeizumogeln. Zum Beispiel über Eigenkapitalerhöhungen bei der Bahn oder neue Investitionsgesellschaften.
Eine andere Alternative: Die Ampel könnte versuchen, die Sondervermögen KTF und WSF genauso in das Grundgesetz zu schreiben wie das für die Bundeswehr. Dann würden die Schuldenbremse und das Urteil keine Anwendung mehr finden. Selbst das Prinzip der Jährlichkeit und Jährigkeit wäre ausgehebelt. Scholz könnte vorschlagen, daraus ein neues Sondervermögen »Deutschlandpakt« zu machen. Dafür bräuchte es aber eine Zweidrittelmehrheit, sprich: Stimmen von der CDU. Das ist leider unrealistisch.
Mythos 4: Der CO2-Preis muss steigen
Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, hat nach dem Urteil einen höheren CO2-Preis vorgeschlagen, um für mehr Einnahmen im KTF zu sorgen. Lindners Chefberater Lars Feld und die neoliberale Wirtschaftsweise Veronika Grimm schlagen in die gleiche Kerbe. So richtig es ist, dass die Einnahmen aus dem CO2-Preis im KTF landen, so unpopulär und schädlich wäre die Maßnahme.
Denn dann müssten die Verbraucher beim Tanken und Heizen ausbaden, dass die Ampel ihr Haushaltsrecht nicht im Griff hat. Die so dringend erforderliche Akzeptanz für Klimaschutz ginge noch weiter verloren. Zudem krankt die deutsche Wirtschaft ohnehin schon ein einer Konsumschwäche. Eine milliardenschwere Erhöhung des CO2-Preises würde die Wirtschaft nur noch tiefer in die Rezession schicken. Also: keine gute Idee.
Edenhofer schlägt außerdem vor, das Klimageld zeitnah einzuführen, um die unsozialen Folgen des CO2-Preises abzufedern. Nett gemeint, aber: Wenn die Ampel die zusätzlichen Einnahmen wieder mit dem Klimageld ausschüttet, dann ist das ja explizit keine Abhilfe gegen das Urteil; sondern rechte Tasche, linke Tasche.
Wenn wir schon dabei sind: Realistischer ist die Einführung des Klimageldes mit dem Urteil natürlich nicht geworden. Im Gegenteil.
Mythos 5: Die Reichen sollen zahlen
Besonders von Links kommt jetzt die Forderung, die Ampel solle doch ihre Blockade bei der Steuerpolitik aufgeben und endlich das Geld von den Reichen holen. Konkret wird die Vermögensteuer gefordert.
So richtig die Forderung nach einer Vermögensteuer aus vielen Gründen sein kann, so sehr ist das leider ein Griff in das falsche Regal. Denn die Vermögensteuer ist eine Ländersteuer, sie fließt gar nicht in den Bundeshaushalt, kann dort also auch das Urteil nicht ausbaden. Zudem ist die Vermögensteuer nicht über Nacht eingeführt und umgesetzt. Gegen die Haushaltssperre für das Restjahr 2023 hilft sie schon gar nicht. Die Forderung ist linker Bauchgefühl-Populismus, aber kein vernünftiger Lösungsvorschlag.
Und nochmal: Das Urteil erfordert keine neuen Steuereinnahmen, sondern nur neue Rechtskonstrukte, um die Ausgaben zu tätigen, die mit dem Verkauf von Staatsanleihen finanziert würden.
Für Feinschmecker noch einen Artikel-Tipp: Warum die Schuldenbremse nicht nur für Investitionen gelockert werden sollte, wie Gewerkschaftsökonomen fordern, sondern auch für ach so böse Konsumausgaben.
Hallo Maurice,
ich bin echt verzweifelt.
Da streiten sich Politiker um Finanzpolitik anscheinend ohne eine Ahnung von Volkswirtschaft und von dem Wesen des Geldes. Glaubt ein Finanzminister oder ein Oppositionsführer denn eigentlich das, was er von sich gibt, oder ist das alles nur Sand für die Augen der Bevölkerung und Kampf um Machtpositionen?
Oder ist das, was ich bisher über die MMT gelesen habe (Warren Mosler, Randall Wray, Aaron Sahr, Dirk Ehnts, Dein Buch "Teuer") nur eine exotische Außenseitermeinung? Im nächsten Jahr soll ich das Europaparlament wählen, in zwei Jahren eine neue Bundesregierung, doch nirgends sehe ich Ansätze zu einem anderen Geld- und Finanzverständnis. Eine neue Partei wollte ich auch nicht mehr gründen, dafür bin ich mit 69 Jahren ein wenig zu alt.
Mythos: Der Staat ist ein Schuldner (bei wem denn)? oder warum es keine Staatsschulden (in eigener Währung) geben kann!!!
Ein Schuldner ist jemand der von Anderen eine Leistung erhält für die er eine Gegenleistung schuldet. In der heutigen Geld-Wirtschaft ist die Gegenleistung immer ein Geldbetrag also eine Geld-Schuld. Mit der Geld-Zahlung erlischt diese Geld-Schuld. Wie soll der Staat ein Schuldner sein der bekanntermaßen alle empfangenen Leistungen mit Geld bezahlt?
Antwort: Wer Geld schöpft kann niemals zum „Geld-Schuldner“ werden!
Wem jetzt auffällt, dass alle Geschäftsbanken ja auch die Fähigkeit der „Geld-Schöpfung“ besitzen ist auf dem richtigen „Erkenntnis-Weg“!