Abschiebungen helfen überlasteten Kommunen nicht
Ja, viele Kommunen sind überfordert. Lauter nach Abschiebungen zu schreien, hilft aber nicht, wie die nackten Zahlen zeigen.
In Deutschland werden wieder Turnhallen zweckentfremdet. Plastikplanen trennen kleinen Parzellen provisorisch voneinander, Privatsphäre für die Schutzsuchenden gibt es quasi nicht. Viele Kommunen sind am Limit, die Bürgermeister überfordert mit der Anzahl an unterzubringenden Flüchtlingen. Es fehlt günstiger Wohnraum, es fehlen Kita- und Schulplätze, es fehlt Personal in den Ämtern – und die Stadtkasse ist leer, schon lange.
Im November kommt das Thema wieder auf die Tagesordnung der MPK, der Ministerpräsidentenkonferenz. Im Mai fand dort der letzte Flüchtlingsgipfel statt, die Regierungschefs der Länder wollten für ihre Kommunen mehr Geld vom Bund. Und zwar dauerhaft und abhängig davon, wie viele Menschen aufgenommen werden. Viele Länder haben eine Rückkehr zu den Kopfpauschalen aus 2015 gefordert. Damit es für jeden aufgenommenen Flüchtling zusätzliches Geld gibt, ein »atmendes System«, wie es die Ministerpräsidenten nennen. Vom Bund gab es aber nur pauschal eine Milliarde Euro zusätzlich. Die ist aber bis heute noch nicht geflossen, ja noch nicht einmal das Gesetz dafür geschrieben. Statt das Geld zu überweisen, will Christian Lindner den Kommunen nämlich eine etwas größeren Teil der Umsatzsteuer überlassen. Die Kommunen gehen also gerade in Vorkasse.
Hetze und Scheinlösungen
Derweil läuft in der öffentlichen Debatte ein Unterbietungswettlauf. Merz verklärt Flucht zum Sozialtourismus oder macht Asylbewerber für knappe Zahnarzttermine verantwortlich, Ex-Bundespräsident Gauck fordert Lösungen, »die inhuman klingen« und FDP-Fraktionschef Dürr will Kommunen die Bundesmittel entsagen, solange Asylbewerber Bargeld statt Prepaidkarten bekommen. Und mit der AfD will ich gar nicht anfangen. Neben dem ganzen menschenfeindlichen Geraune werden aber nur Scheinlösungen angeboten, etwa der Ruf nach Obergrenzen oder konsequente Abschiebungen.
Entlarvend: Diejenigen, die Obergrenzen fordern, trauen sich nicht, konkrete Zahlen zu nennen. Und vor allem wollen (und können) sie nicht beantworten, was mit dem ersten Flüchtling passiert, der kommt, wenn die Obergrenze erreicht ist? Gilt der Anspruch auf Asyl aus dem deutschen Grundgesetz oder der Genfer Flüchtlingskonvention dann nicht mehr? Das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof hätten darauf klare Antworten. Asyl ist ein Grundrecht. Jeder, der ankommt und einen Antrag stellt, hat das Anrecht auf ein Asylverfahren. Und bis das Verfahren beschieden ist, was im Schnitt 2022 acht Monate gedauert hat, bringt den Kommunen eine Obergrenze genauso wenig wie stationäre Grenzkontrollen – nämlich gar nichts. Das ist Stammtischgeraune ohne Substanz. Und man sollte sich merken: Dieselben Konservativen, die den Rechtsstaat gegen die Schuldenbremse bis aufs Blut verteidigen, wollen ihn bei einem der grundlegendsten Menschenrechte durchlöchern. Da geben sich Leute in Finanzdebatte staatsmännisch, die in der Migrationsdebatte zu den größten Populisten werden.
Wer also meint, »konsequentere Abschiebungen« seien die Lösung, streut den Leuten Sand in die Augen.
Mythos Abschiebungen
Auch konsequentere Abschiebungen, wie oft lautstark und mit dem Brustton der Überzeugung gefordert, sind eine Scheinlösung für die Kommunen. Das beweist ein nüchterner Blick auf die nackten Zahlen. Gerade leben rund 3,3 Millionen Geflüchtete in Deutschland. Letztes Jahr kamen allein rund eine Million Ukrainer, die vor Putins Krieg geflohen sind. Dieses Jahr kamen bisher rund 200.000 neue Flüchtlinge dazu, neben Ukrainern waren das vor allem Menschen aus Syrien und Afghanistan und der Türkei.
Die entscheidende Zahl: Von diesen 3,3 Millionen sind lediglich 54.330 Menschen »unmittelbar ausreisepflichtig«. Nur diese 54.330 Menschen könnten theoretisch abgeschoben werden. 54.330 von 3,3 Millionen. Das sind Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde oder deren Visum ausgelaufen ist, aber denen keine weitere Duldung erteilt wurde. Das sind nicht einmal zwei Prozent aller Geflüchteten, über die hier geredet wird, als wäre das die große Lösung. Bisher wurden dieses Jahr knapp 8.000 Menschen abgeschoben. Selbst wenn man diese Zahl verdoppeln oder verdreifachen würde, was unrealistisch ist, würden Kommunen damit kaum entlastet. Abschiebungen sind eine Phantomdebatte. Genau wie Obergrenzen!
Unrealistisch ist das außerdem, weil Abschiebungen kompliziert sind. Und teuer. Und oft scheitern, letztes Jahr war das bei Zweidrittel aller Abschiebungen der Fall. Dafür gibt es etliche Gründe: die Betroffenen leisten Widerstand, die Fluggesellschaften stornieren die Flüge, die Papiere sind nicht vollständig oder – eines der größten Hindernisse – die Herkunftsländer weigern sich, ihre Bürger zurückzunehmen. Abschiebungen nach Georgien, Albanien und Serbien funktionieren in der Regel ganz gut, weil Deutschland entsprechende Abkommen mit den Ländern hat. Abschiebungen nach Marokko, Tunesien und Algerien wiederum funktionieren schlecht – und sind häufig auch menschenrechtlich zu hinterfragen. Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan finden nicht statt, weil dort weiterhin ein Bürgerkrieg tobt und in Afghanistan die Taliban regieren.
Wer also meint, »konsequentere Abschiebungen« seien die Lösung, streut den Leuten Sand in die Augen. Die Forderung ist nicht nur moralisch fragwürdig (um das auch mal so klar zu sagen), sondern auch einfach rechtlich und ganz praktisch keine Lösung für die Kommunen.
Was den Kommunen wirklich helfen würde
Stattdessen brauchen die Kommunen endlich mehr Geld, um die Unterbringung besser zu organisieren. Im November muss die Forderung nach einer Kopfpauschale wieder auf den Tisch. Hoffnung darf machen, dass vor allem Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil auf ein solch atmendes System pocht. Unter Merkel bekamen die Kommunen 670 Euro vom Bund, heute müsste es deutlich mehr sein. Klar ist: Wenn der Bund die Länder und Kommunen auf den Kosten sitzen lässt, spielt das am Ende den Rechtspopulisten von CDU und AfD in die Karten.
Außerdem rächt sich heute die jahrzehntelange Unterfinanzierung öffentlicher Infrastruktur. Weil günstiger Wohnraum fehlt, weil Kitaplätze fehlen, weil Lehrer und Erzieher fehlen, entsteht eine Ellbogenmentalität zwischen den Schwächsten der Gesellschaft. Um den klammsten Kommunen daraus zu helfen, sollte die Ampel endlich eine Lösung für die Altschulden finden. Im Koalitionsvertrag hat man sich das vorgenommen, beim sogenannten Deutschland-Pakt hat Olaf Scholz bisher dazu geschwiegen. Leider!
Wie man es auch dreht, auch bei anderen Themen, ohne mehr Geld für sinnvoll verfügbare Ressourcen wird es nicht gehen. Dazu brauchen wir endlich eine Entkopplung des Stastshaushaltes für sinnvolle und nötige Ausgaben - die eben nicht von der Privatwirtschaft geleistet werden (wollen) - von den Steuereinnahmen.
Dann könnte man mit Steuern auch wieder Steuern und niemanden über Gebühr belasten. Wenn man sich dann noch Sorgen um zu viel umlaufendes Geld macht, dann kann man ja statt Steuern eine Abgabe für allgemeine Infrastruktur-, Bildungs- und soziale Projekte einführen, die es jedoch intelligent auszuarbeiten gilt.
Kurzfristig hilft tatsächlich nur mehr Geld. Und mehr Geld ist kein Problem. Auch wenn das dem breiten Publikum derzeit noch schwer zu vermitteln ist. Aber Maurice Höfgen arbeitet da ja kräftig dran.
Mittel- und langfristig müssen die Fluchtursachen beseitigt werden. Und da gibt es für die Bundesrepublik Deutschland jede Menge zu tun. Von der Aufhebung von Sanktionen - gegen Syrien zum Beispiel - über eine grundsätzliche Änderung der EU-Handelspolitik bis hin zu einer friedlichen Außenpolitik des "Westens" reicht der aufgespannte Handlungsrahmen.
Wenn dann noch die Agenda 2030 der UN umgesetzt wird, und zwar so, dass tatsächlich Armut, Hunger, Krieg und die anderen Übel dieser Welt bekämpft werden und nicht nur als Vorwand für Profitmacherei von global operierenden Konzernen dienen, dann gibt es auch keine Ausrede dafür, das Asylrecht im Grundgesetz wieder so auszustatten, wie es ursprünglich mal war. Das bleibt allerdings ein Traum. Fürchte ich.