Analyse zur EU-Wahl: Zahlen lügen nicht
Die wichtigsten Erkenntnisse nach der EU-Wahl zur Klatsche der Ampel, Aufstieg der AfD, Abstieg der Linken, Geburt vom BSW und dem Scheitern von „Wählen gegen Rechts“
Wahlergebnisse sind da, um aus ihnen zu lernen. Zahlen lügen bekanntlich nicht. Und echte Kreuze in der Wahlurne sind mehr wert als Umfragestichproben. Deshalb sind hier 17 schonungslose Erkenntnisse, um das Ergebnis zu verstehen und einen weiteren Rechtsruck zu verhindern.
Die Gesellschaft ist nach rechts gerückt. Konservative und rechtsextreme Parteien haben gewonnen, in Deutschland wie in der EU. Allerdings nicht so stark wie zwischenzeitlich befürchtet. Die AfD ist deutlich unter 20 Prozent in Deutschland und im EU-Parlament bleibt die Mitte-Mehrheit. Bitterste Ausnahme: In Frankreich legten die Rechtspopulisten um Le Pen deutlich zu und brachten Macron sogar dazu, Neuwahlen für die Nationalversammlung auszurufen.
Die Ampel wurde abgestraft. Alle Ampel-Parteien haben verloren, die Kanzlerpartei SPD sogar das schlechteste EU-Ergebnis ihrer Geschichte. Ein Warnschuss vor der Bundestagswahl, denn für 55 Prozent der Wähler war die Bundespolitik wahlentscheidend, nicht die Europapolitik (38 Prozent). Sie hat vor allem Arbeiter und Arme verloren, die in der Krise mal wieder den größten Verzicht üben mussten. Die Ampel muss ihren Kurs ändern. Ob das mit dem geplanten Sparhaushalt funktioniert?
All jene Meinungsführer, Promis und Influencer, die mit bester Absicht zur Wahl gegen Rechts aufgerufen haben, sollten jetzt zur Politik für die ärmere Hälfte aufrufen!
Deutschland ist politisch. Die Wahlbeteiligung war mit 65 Prozent so hoch wie noch nie seit der Deutschen Einheit und sogar 20 Prozentpunkte über 2004 und 2009. Das ist eine gute Nachricht!
Im Wahlkampf ging es viel um Krieg und Migration. Beides gehörte zu den fünf wichtigsten Themen für die Wahlentscheidung. Soziale Sicherheit (Platz 2), Klima (Platz 4) und Wirtschaftswachstum (Platz 5) waren in der Debatte eher unterrepräsentiert. Gerade die soziale Frage war für jeden vierten Wähler entscheidend, 2019 war es nur jeder fünfte. SPD und Grüne haben die soziale Frage vernachlässigt und sind stattdessen der Agenda der Rechten gefolgt. Das wurde bestraft. Auch eine Lehre: In Talkshows sollte man AfDler öfter einladen, wenn es um Wirtschaft, Rente, Wohnen und Mindestlöhne geht; und weniger, wenn es um Russland oder Geflüchtete geht.
Kein Thema hat seit 2019 so viel an Relevanz verloren wie der Klimaschutz. Bei der letzten Wahl war Klimaschutz für 23 Prozent wahlentscheidend, diesmal nur für 14 Prozent. Da erklärt zu großem Teil wohl den Verlust von fast neun Prozentpunkten bei den Grünen, ebenso wie die fast drei Prozentpunkten bei den Linken, die mit ihrer Strategie auf enttäuschte Grünen-Wähler gesetzt hat (Stichwort: Carola Rackete).
Mittelalte Männer, die einen niedrigen Lebensstandard und geringere Bildungsabschlüsse haben, wählen die AfD. Ein Drittel der Arbeiter und der Armen wählen AfD, nicht mehr SPD und noch weniger Linke. Vielleicht gilt also doch der alte Spruch: It’s the economy, stupid. Ein erneuter Weckruf für SPD und Linke.
Die AfD wird deutlich häufiger von Männern (20 Prozent) als von Frauen (13 Prozent) gewählt. Bei keiner anderen Partei ist der Geschlechter-Gap so groß. Außerdem: Bei Wählern, die älter als 70 Jahre sind, schloss die AfD bemerkenswert schlecht ab und holte nur 8 Prozent der Stimmen.
Die Jugend wählt nicht mehr Grüne, sondern AfD und sonstige Parteien. Im Vergleich zur letzten Wahl hat die AfD 17 Prozent der Jugend dazugewonnen, die Grünen 23 Prozent verloren. Die TikTok-Strategie der AfD scheint also zu funktionieren. Auffällig auch: die linksliberale Partei Volt kommt unter Jungen auf neun Prozent, die Linke auf immerhin sieben Prozent – viermal mehr also als im Gesamtergebnis.
Die Linke verliert auch ohne Wagenknecht. Jahrelang wurde in der Linken gestritten. Der Bewegungsflügel erklärte Wagenknecht für den Misserfolg verantwortlich und andersherum. Nun also die erste Wahl nach der Trennung. Die Linke wurde im Vergleich zur letzten Wahl halbiert und liegt unter drei Prozent, BSW kommt aus dem Stand auf über sechs. In Ostdeutschland ist es noch deutlicher: die Linke verliert mehr als die Hälfte und kommt nur noch knapp über fünf Prozent, BSW aus dem Stand auf über 13 Prozent. Die knallharte Frage, die sich aus dem Ergebnis ergibt: Wer hat hier wen ausgebremst?
Die Strategie der Linken, auf enttäuschte Grünen-Wähler und Aktivisten zu setzen, ist nicht aufgegangen. Lediglich 40.000 Wähler sind von den Grünen zur Linken gewandert. Im Gegenzug sind fast eine Million Wähler zu BSW und 380.000 haben gar nicht mehr gewählt. 150.000 sogar zur AfD (Stichwort Protestwähler). In der Kompetenz „soziale Gerechtigkeit“ hat die Linke drastische neun Prozentpunkte verloren. Das Gesicht dieser Strategie war die Kandidatur der parteilosen Aktivistin Carola Rackete, die es immerhin nach Brüssel geschafft hat. Dass Rackete außerhalb von Berlin Mitte nicht zieht, erst recht nicht bei abgehängten Arbeitern, dürfte allerdings keinen überraschen.
BSW kommt aus dem Stand auf über sechs Prozent, im Osten sogar auf doppelt so viel. Die meisten Wähler kamen allerdings nicht wie vielleicht vermutet von der AfD (nur 160.000), sondern von der Linken (470.000) und der SPD (580.000). Und immerhin 140.000 Nichtwähler haben BSW ihre Stimme gegeben. Was thematisch auffällt: das wahlentscheidende BSW-Thema war mit 37 Prozent „Friedenssicherung“. Für 64 Prozent war die Bundespolitik ausschlaggebend; zum Vergleich: Bundesweit waren es nur 55 Prozent.
AfD und BSW sind Protestparteien, die Linke aber nicht mehr. Die Hälfte der Wähler gaben AfD und BSW aus Enttäuschung ihre Stimme. Bei der Linken waren es nur ein Viertel, bei den Grünen sogar nur 12 Prozent. Als Denkzettel an die Regierung wollten 87 Prozent der AfD-Wähler und 71 Prozent der BSW-Wähler ihre Wahl verstanden wissen, bei der Linken waren es nur 39 Prozent, bei SPD und Grüne sogar nur 22 bzw. 12 Prozent. Auch waren AfD und BSW am erfolgreichsten bei Wählern mit Geld- und Jobsorgen, die Linke mit 17 Prozent deutlich dahinter. Das könnte auch erklären, warum die AfD halbwegs immun gegen Skandale wie Deportationskonferenzen, Putin-Gelder und China-Spione ist.
In Ostdeutschland ist die AfD mit Abstand die stärkste Partei und kommt auf 27 Prozent, in Sachsen sogar auf 31,8 Prozent, in Brandenburg auf 27,5 Prozent und in Thüringen auf 30,7 Prozent. In den drei Ländern stehen im Herbst Landtagswahlen an. Schockierend.
In West- und Süddeutschland hingegen dominieren CDU und CSU, insbesondere in den ländlicheren Gegenden. Überhaupt sieht die Deutschlandkarte nach den stärksten Kräften schwarz-blau aus. Ausnahmen sind nur die Stadt-Staaten. In Berlin und Hamburg sind die Grünen die stärkste Kraft mit rund 20 Prozent, in Bremen die SPD mit 21,5 Prozent.
Die Union lebt von Rentnern und der Enttäuschung über Olaf Scholz. 41 Prozent der Rentner wählen Union, bei den Wählern über 70 Jahre sind es sogar 46 Prozent. Folgerichtig kommt die Union bei jungen Wählern schlechter weg. Nur 17 Prozent der 16 bis 24-Jährigen und 19 Prozent 25 bis 34-Jährigen wählen konservativ. Und auch nur 24 Prozent der Arbeiter, dafür 30 Prozent der Selbstständigen. Interessant: In Sachen Wirtschaftskompetenz hat die Union rund zehn Prozentpunkte verloren.
Die Grünen bleiben die Partei der Wohlhabenden, der Akademiker und der Überzeugten. Bei Rentnern, Armen und Arbeitern schlossen die Grünen dramatisch schlecht ab und holten weit unter zehn Prozent. Dazu passt auch, dass die Europapolitik für Grünen-Wähler wichtiger war als die Bundespolitik. Mehr als eine halbe Million Grünen-Wähler haben dieses Mal gar nicht gewählt, noch etwas mehr wanderten zur Union.
Aufrufe zum „Wählen gegen rechts“ und zur „Rettung der Demokratie“ mobilisieren offensichtlich nicht. Auch wenn sie gut gemeint sind. Sie verfangen in der ohnehin politisierten linksliberalen Blase, aber schwappen nicht darüber hinaus. Womöglich bewirken sie sogar das Gegenteil und mobilisieren AfD-Wähler. Man kann die AfD also nicht wegechauffieren, man muss Politik im Interesse der unteren Hälfte durchsetzen. All jene Meinungsführer, Promis und Influencer, die mit bester Absicht zur Wahl gegen rechts aufgerufen haben, sollten jetzt zur Politik für die ärmere Hälfte aufrufen! Die Rechtsextremen und Nazis bleiben ohnehin bei der AfD, aber man muss ihr die Protestwähler nehmen. Wann fängt man an?
‘All jene Meinungsführer, Promis und Influencer, die mit bester Absicht zur Wahl gegen rechts aufgerufen haben, sollten jetzt zur Politik für die ärmere Hälfte aufrufen!’ !!!
Das Geschenk ist angekommen:
Wie in deinem Beitrag vom 14.12.2023 "Neuer Haushalt: Eine Zumutung für Verbraucher, ein Geschenk für die AfD" beschrieben, reagiert das Wahlvolk auf diese Bundesregierung.
Und ich gebe nicht der SPD und den Grünen die Schuld, sondern Lindners FDP, die aus eigenem machtpolitischen Kalkül eine wirksame Politik verhindert hat, indem sie sich als Opposition innerhalb der Regierung aufgespielt hat.