Dem Staat entgehen Milliarden, weil Betriebsprüfer fehlen
Der Staat verzichtet auf Steuermilliarden, weil es in Finanzämtern an Personal fehlt. Dabei bringen Prüfer mehr ein, als sie kosten!
Die Ampel streitet über den neuen Haushalt. Bitter war diese Nachricht letzte Woche: Die Steuereinnahmen fallen für den Bund rund elf Milliarden Euro geringer aus als gedacht. Noch mehr Streit ist also vorprogrammiert. Einfache Mathematik: Solange die Schuldenbremse nicht angerührt wird, müssen Ausgaben gekürzt oder Steuer erhöht werden.
Und weil Lindner Steuererhöhungen kategorisch ausschließt, bleibt nur eine unwürdige Kürzungsdebatte. In Talkshows wird allerdings nur über die Krümel für Arbeitslose und Asylbewerber gesprochen – und wie Lindner daraus noch kleinere Krümelchen machen will. Selbst wenn man das machte, blieb aber trotzdem eine Lücke von rund 30 Milliarden Euro. Was also tun?
Wie der Staat auf Geld verzichtet
Worüber in Talkshows nie gesprochen wird: Personalmangel bei den Finanzämtern. Der kommt dem Staat nämlich teuer zu stehen. Fast 7.000 Stellen sind unbesetzt. Fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Seit 2009 wurden außerdem mehr als 5.000 Stellen gestrichen, davon rund 1.000 bei Betriebsprüfern.
Betriebsprüfer, das sind Finanzbeamte, die Steuersündern auf der Spur sind. Sie checken die Bilanzen von Firmen, wühlen sich durch Kassenbelege und durchforsten Buchführungsunterlagen. Plakatives Beispiel: Passen die Einnahmen eines Eisverkäufers zu der Veränderung der Milch- oder Zuckerbestände? Oder die verkauften Türbänder eines Industrieunternehmens zu den veränderten Lagerbeständen und dem eingesetzten Personal? Wenn nicht alle Einnahmen korrekt erklärt wurden, verändern Betriebsprüfer den Steuerbescheid – und bringen dem Staat höhere Steuereinnahmen.
Ein Prüfer kostet das Finanzamt im Schnitt 50.000 Euro pro Jahr, bringt aber eine Million Euro an Steuermehreinnahmen.
Und zwar ganz schön viele Steuereinnahmen. 2009 waren das inflationsbereinigt rund 28 Milliarden Euro. 2013 immerhin noch 22 Milliarden und 2019 rund 18 Milliarden. Doch der Trend ist rückläufig. 2023 waren es nur noch 13 Milliarden Euro an Steuerplus. Okay, zugegeben: „Nur 13 Milliarden“ klingt schräg. 13 Milliarden sind natürlich viel Geld. Sowohl für den Staat als auch für die Betriebe, die sonst 13 Milliarden Euro mehr auf dem Konto hätten.
Zu wenig Personal und falsche Prioritäten
Der Grund für die rückläufigen Mehreinnahmen ist schnell ausgemacht: Es gibt weniger Prüfer und entsprechend weniger Prüfungen. Betriebe und Steuerberater haben leichteres Spiel, wenn der Finanzbeamte bei Großbetrieben im Schnitt nur noch alle sechs statt wie früher fast alle vier Jahre vorbeikommt.
Die Prüfquote ist bei Großbetrieben zwar immer noch größer als bei Klein- und Mittelbetrieben, aber seit 2009 stärker gesunken. Dabei kommt das größte Steuerplus von Großbetrieben und nicht von den Eisverkäufern. Zehn der 13 Milliarden an Steuerplus kamen im letzten Jahr allein von den Großbetrieben. Jede Prüfung bei Großbetrieben hat im Schnitt 292.437 Euro an Mehreinnahmen gebracht, zehnmal so viel wie bei Mittelbetrieben, 14-mal so viel wie bei Kleinbetrieben.
Auch bei den Topverdienern des Landes kommen die Prüfer immer seltener vorbei. Die Zahl der Betriebsprüfungen bei Steuerzahlern mit Einkünften von über einer halben Million Euro pro Jahr (im Verwaltungsjargon genannt „bedeutende Einkünfte“) ist von 1.628 im Jahr 2009 auf aktuell nur noch 876 im Jahr 2023 deutlich zurückgegangen – ein Minus von fast 50 Prozent. Noch bitterer: Weil die Zahl der Betriebe mit solch hohen Einkünften gleichzeitig gestiegen ist, hat sich die Prüfquote von 15,2 Prozent auf 5,8 Prozent fast gedrittelt. Dabei brachte auch jede Prüfung bei Topverdienern im letzten Jahr im Schnitt 85.438 Euro an Mehreinnahmen – vier Mal so viel wie bei Kleinbetrieben.
Offensichtlich fehlt also nicht nur Personal, sondern auch richtige Prioritäten. Und die Schuld trägt diesmal nicht nur der amtierende Finanzminister Christian Lindner, sondern seine Vorgänger (unter anderem Olaf Scholz) und die Finanzminister der Länder. Denn der Personalabbau hat schon vor Lindner angefangen, wurde nicht annähernd mit dem versprochenen Personalaufbau im Bundeszentralamt für Steuern aufgefangen; und für die Ausstattung der Finanzämter sind die Länder zuständig. Das Problem nur auf die Länder abzuschieben wäre falsch. Auch, weil die eingenommenen Steuern an Bund und Länder fließen. Auch Bundesfinanzminister Lindner hat also ein Interesse an gut ausgestatteten Finanzbehörden im ganzen Land.
Die Lösung: Eine große Recruiting-Kampagne für Betriebsprüfern in den Finanzämtern und deutlich mehr Geld für Personal in Finanzämtern. Der Job ist abwechslungsreich, gut bezahlt und mit Beamtenprivilegien versehen. Nachwuchs und mehr Personal findet man also, wenn man nur will. Und im Zweifel muss man den Job eben noch deutlich besser bezahlen. Das lohnt sich, weil sich jeder Betriebsprüfer mehrfach selbst finanziert. Ein Prüfer kostet das Finanzamt im Schnitt 50.000 Euro pro Jahr, bringt aber eine Million Euro an Steuermehreinnahmen. Personalmangel im Finanzamt ist also eine dumme Idee. Erst recht, wenn man gleichzeitig morgens und abends zur Schuldenbremse betet.
Sehr guter Artikel und gut recherchiert. Die Möglichkeiten des zusätzlichen Rekrutierens von Betriebsprüfern in den Finanzämtern (Innendienst) ist heute schon nahezu ausgeschöpft. Der Innendienst kann trotz mehr Digitalisierung und höherer Fallzahlen keine Leute mehr abgeben. Auch muss man ehrlich zugeben, dass sich der Betriebsprüfer täglich Herausforderungen gegenüber sieht, denen nicht jeder Finanzbeamte/Mensch gewachsen ist und damit auch nicht jeder gleich geeignet ist.
Na gut, dann kann man einfach mehr ausbilden. Ich sehe da drei Probleme. 1.) Es ist finanziell einfach zu attraktiv, zu den Big 4 oder Next 6 zu gehen. Es gibt tausende Klagen zu der verfassungswidrigen Bezahlung der Beamten. 2.) Die Qualität und Menge, die sich noch bewirbt, hat sich auch stark verändert. 3.) Es dauert schon eine ganze Zeit sich von den Grundzügen des Steuerrechts bis in die Höhen internationaler Konzernrechnungslegung und Außensteuerproblematiken vorzukämpfen. Aber genau dort gehen die Summen "verloren". Das wird nicht in zwei/drei Jahren machbar sein. "Ein" Satz noch zu den Prioritäten. Als ich gelesen haben, dann müssen mehr die Konzerne geprüft werden, kam sofort ein Störgefühl auf. Die Kleinen werden heute schon sehr selten geprüft, aber auch hier muss weiter geprüft werden. Hier geht es häufig, um Verkürzungen in bargeldintensiven Bereichen, wie die angesprochene Eisdiele, selbst erstellte Schuhkartonbuchführungen, usw.
Tja, es ist wie so oft oder gar immer: "der Staat" hat null Interesse, das Geld dort zu holen, wo es ist. Ich unterstelle vollste Absicht und keine bedauerliche Fehlentwicklung.