Bürgergeld: Wie sich die SPD von rechten Hetzern treiben lässt
Die SPD beerdigt das Bürgergeld, weil sie sich von Friedrich Merz und Alice Weidel treiben lässt. Echte Probleme löst das Gesetz nicht.
Vor sechs Wochen sammelte er noch Standing Ovation auf dem Bundeskongress der Jusos ein, jetzt verrät er die Arbeiterklasse und nutzt dafür die BILD. Hubertus Heil, Arbeitsminister, SPD, ließ kurz nach Weihnachten einen Gesetzentwurf an die BILD durchsickern, der das Bürgergeld zu Grabe trägt. Dass er seine Pläne exklusiv von der BILD leaken lässt, lässt tief blicken.
Die Schlagzeile, die er dafür erntete: »Knallhart-Plan von Arbeitsminister Hubertus Heil: Kein Bürgergeld mehr für Job-Verweigerer«. Der BILD gab der Minister auch gleich ein exklusives Statement. Es dürfe nicht sein, dass eine kleine Minderheit das ganze System in Verruf bringe, so Heil. Deshalb werde man die Sanktionen gegen »Totalverweigerer« verschärfen.
Gewonnen haben die Feinde der Arbeiter. Der Arbeitsminister hat Partei für die falsche Seite ergriffen, aber nicht ein einziges echtes Problem gelöst.
Konkret heißt das: Wer »zumutbare« Jobs ausschlägt, kann vom Jobcenter zwei Monate lang das Bürgergeld komplett gestrichen bekommen, allein die Wohn- und die Heizkosten bleiben verschont. Diese Sanktion ist gar noch schärfer als Sanktionen im alten Hartz-IV-System. Was genau »zumutbare Jobs« sein sollen, will Heil nicht definieren.
Was das Bürgergeld wirklich in Verruf bringt
Wie viele Personen zu den »Totalverweigerern« zählen, verschweigt Heil ebenso. Die nackten Zahlen zeigen aber, so viele können es nicht sein. Von den 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfängern wurden ledglich 23.400 Personen mit Sanktionen wegen mangelhafter Mitwirkung belegt – also gerade einmal 0,6 Prozent. Sozialverbände berichten immer wieder, dass es dabei überwiegend um Leute geht, die mit großen Problemen konfrontiert sind, etwa psychische Störungen, Suchtkrankheiten oder anderweitige Schicksalsschläge.
»Aus unserer täglichen Beratungspraxis wissen wir, dass Sanktionen besonders Menschen mit besonderen Problemen hart treffen, zum Beispiel jene, die nicht gut lesen und schreiben können, oder Personen mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen. Zusätzlicher Druck durch Sanktionen verschärft deren Lage nur und trägt nicht zur Lösung ihrer individuellen Probleme bei.« - Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie
Diese 23.400 Personen sollen das Bürgergeld also in Verruf bringen? Vielleicht bei denen, die bei Arbeitslosen nur an Arno Dübel und niederträchtige RTL-Soaps denken können. An allen anderen laufen diese 23.400 Schicksale am Lebensalltag vorbei. Niemandem geht es besser oder schlechter wegen dieser 23.400 Personen. Weder der Wirtschaft noch den Beschäftigten, weder anderen Arbeitslosen noch Rentnern.
Es ist anders, als Heil sagt: Nicht die 23.400 Personen bringen das Bürgergeld in Verruf, sondern sein Gesetz selbst, weil es alle Bürgergeldempfänger unter den Generalverdacht der Faulheit stellt. Und natürlich bringen Friedrich Merz, Alice Weidel, Christian Dürr und alle anderen neoliberalen Hetzer von CDU, AfD und FDP das Bürgergeld in Verruf, wenn sie in jeder Talkshow faktenfrei davon schwadronieren, dass ein aufgeblähter Sozialstaat Deutschlands größtes Problem sei, sich Arbeit nicht mehr lohne oder im Bürgergeld Milch und Honig für ein Leben in der Hängematte flössen.
Eine selbsternannte Arbeiterpartei sollte mit den Fakten gegenhalten, statt dem rechten Getöse nachzueifern. Und die Fakten gehen so: Das Bürgergeld ist weiterhin nur das Existenzminium. Neu ist seit 2023 zwar, dass die prognostizierte Inflation fürs nächste Jahr in den Satz mit einberechnet wird – aber nicht nur für das Bürgergeld, sondern auch für Rentner in Grundsicherung oder Schwerbehinderte. Das war die Lehre aus dem Jahr 2022, als all diese Bedürftigen die großen Preissprünge mit einem um gerade einmal drei Euro erhöhten Regelbedarf bewältigen mussten.
Diese Regelung kam gleichzeitig mit dem Bürgergeld, war aber nicht explizit Teil der Bürgergeldreform, wäre so also auch im alten Hartz-IV-System gekommen. Und trotz der zwölf Prozent Erhöhung zum Jahreswechsel ist der oft beklagte Lohnabstand zwischen Bürgergeld/Hartz-IV und dem Mindestlohn nicht verschwunden, sondern gar gewachsen. Der Mindestlohn ist seit 2015 um 46 Prozent gestiegen, der Satz für Bürgergeld/Hartz-IV aber nur um 41 Prozent.
Gerne wird in Talkshows auch erzählt, immer mehr Beschäftigte kündigten ihren Job, um Bürgergeld zu beziehen. Merz’ Framing dazu geht so: »Die Leute können eben rechnen«. Die Realität ist eine andere. Nach einem Jahr Bürgergeld ist die Zahl derer, die aus einer Beschäftigung in Bürgergeld/Hartz-IV wechseln, so niedrig wie seit zehn Jahren nicht (siehe Grafik).
Anders als häufig behauptet gibt es auch wie schon im Hartz-IV-System noch Sanktionen, lediglich ein bisschen milder. Wer seinen Pflichten beim Jobcenter nicht nachkommt, kann noch immer mit Kürzungen von 30 Prozent belegt werden. Schon bei der ersten Pflichtverletzung werden zehn Prozent gekürzt – vom verfassungsmäßigen Existenzminimum wohl gemerkt.
Die Peitsche der Jobcenter wurde mit dem Bürgergeld nicht abgeschafft, allein ein paar Zuckerbrote waren hinzugekommen. Zum Beispiel der Bürgergeldbonus. Wer eine Weiterbildung macht, etwa einen Sprach- oder Computerkurs, kann 75 Euro Bonus hinzuverdienen. Sorry, richtig wäre: »konnte«, nicht »kann«. Im Zuge der Haushaltsverhandlungen wurde das nämlich gestrichen und steht jetzt als Streichposten in Heils Gesetzentwurf. Weg mit dem Zuckerbrot!
Als das Bürgergeld eingeführt wurde, galt das in der Gesetzesbegründung zum Bonus noch als eine der »Maßnahmen, die für eine nachhaltige Integration von besonderer Bedeutung sind«. Im SPD-Wahlprogramm stand sogar: »Wir werden statt Hartz IV ein unkompliziertes Bürgergeld einführen, das konsequent auf Hilfe und Ermutigung statt auf Sanktionen setzt«. Ermutigung statt (!) Sanktionen, hört, hört! Heil wollte mit dem Bürgergeld »einen neuen Ansatz« wagen und gar eine »Vertrauenszeit« einführen, in der Arbeitslose in den ersten sechs Monaten gar nicht mehr sanktioniert werden.
Das verhinderte die CDU allerdings schon im Bundesrat. Ebenso wie andere Reformen. Von dem Bürgergeld aus dem SPD-Wahlprogramm war also schon vor der Einführung nicht viel übrig geblieben. Den letzten Sargnagel setzt jetzt Hubertus Heil. Die SPD räumt mit dem neuen Gesetz genau die Reformen ab, mit denen sie noch vor zwei Jahren die Abkehr von Hartz-IV beweisen wollte. Jenes Hartz-IV, das als Teil der Agenda 2010 der SPD seinerzeit so viel Wählerflucht und Rufschaden zugefügt hat. Diesmal allerdings nicht, weil sie selbst davon überzeugt ist, sondern weil sie sich von Merz, Weidel und der BILD-Zeitung treiben lässt. Ein politisches Armutszeugnis.
Die Konsequenzen: Arbeiter verraten, AfD und BILD beschenkt
Die wichtigste Frage ist aber doch: Welche Probleme löst dieses Gesetz? Gut, wer die Nachrichten verfolgt hat, weiß schon längst, das Gesetz soll bis zu 200 Millionen Euro im nächsten Haushalt einsparen. Nur sind das allerdings 200 Millionen Euro, die sonst eins zu eins von den Empfängern wieder in die Supermärkte getragen worden wären. Sprich: Die 200 Millionen Euro fehlen dann als Konsumnachfrage und lähmen die ohnehin am Boden liegende Konjunktur. Gelöst wird also nur das selbstgemachte Problem durch die Schuldenbremse. Das echte Problem, die schlechte Konjunktur, wird so nicht gelöst, sondern gar verschärft.
Und: Wenn man schon mehr Einnahmen für die Staatskasse will, dann gibt es 99 bessere Wege. Schätzungsweise 100 Milliarden Euro werden von den Großkonzernen und Reichen jedes Jahr an Steuern ertrickst und hinterzogen. Da ist viel mehr zu holen als bei der Stütze der Stadtärmsten.
Was hat das Gesetz sonst zu bieten? Bringt das etwa die Betroffenen in Arbeit? Naja, die Sozialverbände bezweifeln, dass die Sanktionspeitsche die Personen nachhaltig dazu bringt, mit dem Jobcenter zu kooperieren und sich auf neue Jobs einzulassen. Und die Arbeitgeber in der Privatwirtschaft haben an den Leuten ohnehin kein Interesse, weil Disziplinlosigkeit verpönt ist. Fachkräfte sind die Personen zudem in aller Regel auch nicht. Für den ach so großen Fachkräftemangel bringt es also nichts.
Und einen generellen Arbeitskräftemangel gibt es gar nicht, das geben die Zahlen schon nicht her, wie ich hier in diesem Artikel mal aufgedröselt hatte. Noch immer gibt es mindestens drei Mal mehr Arbeitssuchende als offene Stellen. Gerade nimmt ja die Arbeitslosigkeit wegen der schlechten Konjunktur sogar zu. Im Jahresschnitt wuchs die Zahl der Arbeitslosen 2023 um 191.000 Personen, die der Unterbeschäftigten sogar um 264.000. Auch gibt es 70.000 neue Langzeitarbeitslose. Im Dezember wurden so wenig neue offene Stellen gemeldet werden wie zuletzt 2014. Ob man jetzt 23.400 »Totalverweigerer« mit Totalsanktionen drangsaliert oder nicht, ändert an diesem lahmen Arbeitsmarkt genau nichts.
Was sehr wohl aber aus der Drangsalierung folgt, ist eine Botschaft mit erhobenem Zeigefinger an alle Arbeitnehmer, die noch Jobs haben. Die lautet so: Besser ihr klammert euch an eure Jobs, mögen sie noch so unsicher und mies bezahlt sein. Denn in der Arbeitslosigkeit wird es jetzt noch elender. Den Millionen machtlosen Geringverdienern wird damit auch noch das letzte Gramm an Macht auf dem Arbeitsmarkt genommen.
Die SPD macht so Politik für die Arbeitgeber, die mit ihrem Geschäftsmodell auf erpressbare und machtlose Arbeitnehmer angewiesen sind. Das sind die, die von Heils Gesetz profitieren. Okay, und natürlich all die neoliberalen Hetzer, deren Talkshow-Klamauk so bestätigt und belohnt wird. Und die BILD, die aus der Meldung Auflage generiert hat. Und die AfD, denen die zusätzlichen Frustwähler ihre Stimme schenken.
Fazit: Gewonnen haben die Feinde der Arbeiter. Der Arbeitsminister hat Partei für die falsche Seite ergriffen, aber nicht ein einziges echtes Problem gelöst. Das Gesetz ist nur Symbolpolitik für Hetzer.
Herzlichen Dank für die Lieferung dieser Zahlen, wie 0,6% der Bürgergeld Empfänger usw. Herr Höfgen!
Ich habe 8 Jahre mit dieser Zielgruppe gearbeitet, überwiegend psychisch Kranke mit Doppeldiagnose. in Einer Gruppe 1 € Jober von 8 Leuten hatte ich mal zusammengerechnet 50 Jahr Knast und 50 Jahre "Platte Machen". Denen erzählen Sie als relativ junger Sozialarbeiter gar nix mehr, da kann man nur zuhören!
Das Problem ist m.E. dass Minister, Staatsekretäre, und der ganze Troß darunter von dieser Lebenswirklichkeit keine blasse Ahnung haben. Die haben das nie erlebt. ein Jens Spahn hat es angeblich mal drei Monate versucht, von Harz IV zu leben und befand: es geht!
Was er nicht erlebt hat, ist diese Behandlung der "Kunden" in den Jobcentern. Die ist absolut demütigend. Wenn man aktiv nach einer passenden Aufgabe sucht, muss man einfach drei Monate Sperre riskieren, weil die zumutbaren Jobs weit unter dem üblichen Verdienst angeboten werden. Mir ist das gelungen, nach dem Sozialarbeiter Job, aber die Sperre stand kurz bevor. Der psychische Druck, den die Jobcenter ausüben, ist ungeheuer. Den meisten Mitarbeitenden dort ist das vermutlich gar nicht bewusst, die denken, sie würden der Gesellschaft einen Dienst erweisen, Steuermittel sparen oder sowas...
Heute beschäftige ich mich überwiegend mit Menschen in Altersarmut. Dazu vermisse ich Zahlen (Bund, Land, Kreise), keiner outet sich "ich bin Altersarm: Ich hätte Anspruch auf Grundsicherung, aber ich weiss nicht wie das geht"
Das örtliche Sozialamt kann keine Zahlen nennen wg Datenschutz! Der Umzug von Senioren vom Dorf in die Stadt (Pflegeheim) wird statistisch nicht erfasst. Dabei müssten die Landratsämter ein genuines Interesse an Transparenz haben, die Zahlen zu veröffentlichen und Wege zu erarbeiten, wie man Altersarmut eindämmt. Aber auch dafür gibt es bislang keinen "Werkzeugkasten".
Vor einem Jahr fragte ich dazu Vertreterinnen der BpB: "Oh ja Care, nee da haben wir keine Expertise, da haben wir drei Bücher, aber so wirklich hat sich damit noch niemand befasst, weder in Bonn noch Berlin noch in Gera" Dabei dürfte Altersarmut ein gesamtgesellschaftliches Problem werden, wenn immer mehr Boomer in die Rente gehen, und damit auch ein Thema der politischen Bildung.
wir stehen hier in Ostthüringen in 2024 vor wichtigen (Wahl-) Entscheidungen. Leider strebt do Bürger zu einfachen Erklärungen und einfachen Lösungen. Leicht haben es da Populisten, die argumentieren, Kommunen könnten die Deiche nicht erhöhen, weil die Kitaplätze und Bürgergeldempfänger das Geld für Investitionen auffressen, heute erst wieder, so ein bayerischer Landkreistagssprecher. Ist das dumm oder gezielte Hetze?
Bleiben Sie bei Ihrem Kurs Herr Höfgen! Liefern Sie weiter Zahlen, die die Verhältnisse ins richtige Licht setzen.
MfG Stefan Mömkes, Stadtroda, Ostthüringen
Geht gut los, das neue Jahr...