Ticketfreier ÖPNV - wann?
Das 9-Euro-Ticket ist gut. Tickets komplett abzuschaffen wäre noch besser!
Das 9-Euro-Ticket kommt gut an. Die Ticketkäufer haben die Server der Deutschen Bahn an ihre Grenzen gebracht. Vom 1. Juni bis zum 31. August kommt man mit dem 9-Euro-Ticket durch ganz Deutschland - per Bus und Regionalbahn wohlgemerkt. Die Verkehrsbetriebe fürchten Überlastung. Das Problem: Ticket fällt zwar in die Ferienzeit, in der vergleichsweise weniger Menschen Bus und Bahn fahren, aber leider auch in die Zeit, in die viele Bauarbeiten gelegt werden. Schlechtes Timing! Der Anfangseuphorie droht also Fahrgastfrust zu folgen. Verkehrsminister Wissing wollte deshalb auch vermeiden, dass die Tickets bundesweit gelten. Er schlug vor, die Tickets auf den regionalen Verkehrsverbund zu begrenzen. Die Länder haben sich im Bundesrat aber dagegen ausgesprochen und Wissing letztlich umgestimmt.
Unabhängig von den drohenden Problemen stellt sich aber eine Frage. Wenn die Inflation so schmerzt und wir eigentlich schnellstmöglich das Klima schützen wollen, warum nur ein dreimonatiges 9-Euro-Ticket? Warum nicht 0 Euro? Warum kein ticketfreier ÖPNV? Warum nicht für immer?
Einfach einsteigen? Eigentlich ein No-Brainer!
Die Vorteile liegen auf der Hand. Ticketfreier ÖPNV steigert die Lebensqualität. Man muss sich nicht an ranzige Automaten stellen oder mit schlecht programmierten Apps rumschlagen, wenn man in den Bus oder die Bahn steigen will. Außerdem gibt es keine nervige Ticketkontrolle. Bus- und Bahnfahren wird einfacher, flexibler und angenehmer. Und er wird günstiger! Das ist auch dringend nötig. Und zwar nicht erst seit die Inflation angezogen hat. Für eine Einzelfahrt mit der S-Bahn von Mönchengladbach nach Düsseldorf zahle ich 13 Euro. 13 Euro für 30 Minuten oder 20 Kilometer. Wenn ich zurück will, zahle ich nochmal 13 Euro. Absurd!
Und auch Monatstickets sind gewiss nicht immer günstig. Wenn man nicht gerade Schüler ist, liegt man je nach Verkehrsverbund auch schon Mal schnell bei 100 Euro im Monat. Zum Vergleich: Für 100 Euro könnte ich nur vier Mal zwischen Mönchengladbach und Düsseldorf pendeln.
Die Grafik unterhalb zeigt zudem: Bus- und Bahntickets sind heute fast 20 Prozent teurer als vor 7 Jahren. Ticketpreise sind deutlich schneller gestiegen als der Schnitt aller anderen Preise. Wer schnellen Klimaschutz und die Verkehrswende will, kann sich hier nur an die Stirn fassen. Ein Unding!
Damit kommen wir zu Klimavorteil. Je günstiger die Tickets, desto größer die Nachfrage. Dass der ÖPNV dem Auto in Sachen Klimaschutz überlegen ist, liegt auf der Hand. Günstige Tickets allein reichen allerdings nicht. Das Verkehrsnetz muss auch dringend ausgebaut und modernisiert werden: mehr Busse und Bahnen, mehr Schienen, mehr Personal, bessere Taktung, mehr Fahrkomfort und und und. Es braucht eine Investitionsoffensive. Für viele Fahrgäste ist eine zuverlässige und komfortable Fahrt sicher wichtiger als der Preis. Aber günstige Tickets wären ein guter Anfang, wie der Run auf das 9-Euro-Ticket zeigt.
Und es gibt noch einen ökonomischen Vorteil. Ohne Tickets spart man ganz viele Ressourcen. Ohne Tickets braucht es keine Kontrolleure, keine Ticketinfrastruktur, weniger Schalter, weniger Papier, weniger Personen, die sich um Bußgelder kümmern müssen und weniger von allem, was da noch dran hängt.
Gesamtgesellschaftlich hat die Kontrolle von Tickets ohnehin wenig Wert. Diese Jobs sind chronisch unproduktiv. Es wird ja nichts produziert, kein Wert geschaffen. David Graeber hätte sie als Bullshitjobs bezeichnet. Die ganze Arbeitskraft, die ganze Energie, die ganze Kapazität kann dann für andere produktivere Tätigkeiten eingesetzt werden. Zum Beispiel mehr Fahrer, mehr Service, mehr Handwerker im Verkehrsbereich. Da ist Arbeit produktiv, bei der Kontrolle nicht. Ein Gewinn für unseren Wohlstand!
Wer soll das bezahlen?
Der Bund! Wie jetzt beim 9-Euro-Ticket auch. Die Kommunen wären damit nämlich finanziell überfordert. Viele haben chronisch leere Kassen und mit Überschuldung zu kämpfen. Der Bund hat die größten finanziellen Schultern. Pragmatismus ist gefragt. Verkehrsminister Wissing hat jüngst vorgerechnet, dass der Bund für das 9-Euro-Ticket 2,5 Milliarden bereitstellt. Das entspräche, so Wissing, einem Viertel der jährlichen Ticketeinnahmen - bundesweit wohlgemerkt. Per Überschlag heißt das: mit läppischen zehn Milliarden Euro pro Jahr könnte der ÖPNV bei gegenwärtiger Auslastung ticketfrei werden. Das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung. 10 Milliarden wären nicht genug, schließlich sollen die Fahrgastzahlen ja steigen - aber immerhin ein erster guter Richtwert.
Rund acht Milliarden Mal wurde der ÖPNV 2021 genutzt. Selbst wenn sich die Fahrgastzahlen verdoppeln, käme man vermutlich mit weniger als 20 Milliarden aus. Denn betriebswirtschaftlich gilt, dass die Grenzkosten mit steigender Menge fallen. Den 300sten Bus zu betreiben ist günstiger als den ersten. Doppelte Fahrgastzahlen bedeuteten also nicht doppelte Kosten. Ohnehin kommt es hier auf Erbsenzählerei aber nicht an, denn der realwirtschaftliche Nutzen überwiegt - ob das nachher Überweisungen von zehn oder 20 Milliarden im Jahr bedeutet. Und selbst unter den Bedingungen der Schuldenbremse wären es klug, die Ausgaben dafür zu priorisieren. Der Nutzen eines ticketfreien ÖPNV ist wohl Größer als Steuersparmodelle für Firmenwagen und Kaufprämien für E-Autos. Warum aber nicht ein Sondervermögen Bus & Bahn, das an der Schuldenbremse vorbei läuft? Anders gefragt: Wo bleiben die 100 Milliarden für Energie- und Verkehrswende?
Jeder Euro in einen gut ausgebauten ÖPNV wäre ein gut investierter Euro. Für den Arbeitsmarkt, das Klima, die Fahrgäste und unsere Produktivitätsstatistik. Auch würde kostenloser ÖPNV das Image der staatlichen Dienstleistungen aufpolieren und das Vertrauen in staatliche Institutionen stärken. Marode Infrastruktur, lahme Behörden und mieser ÖPNV haben jahrelang zum Imageverlust öffentlicher Daseinsvorsorge beigetragen. Auch die Reform die Akzeptanz für Klimaschutz erhöhen. Gerade in Zeiten steigender Tankquittungen und Heizkosten ein wichtiges Zeichen. Ohne breite gesellschaftliche Akzeptanz wird das mit dem schnellen Klimaschutz nichts. Ticketfreier ÖPNV wäre ein guter erster Schritt!
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Man könnte auch sagen, dass das schlechte Image öffentlicher Dienstleistungen im Sinne der FDP ist. Das stützt ihre neoliberale Ideologie und das die privaten das alles besser können.
Ein kostenloser Ticketpreis für den Nahverkehr ist eine geniale und einfache Lösung. Es würde viele indirekte Kosten eliminieren. Hast du Vorschläge für den Fernverkehr? Die derzeitige Situation, wie beispielsweise eine spontane Reise von Hamburg nach München oder von Frankfurt nach Berlin, ist sowohl im Nahverkehr sehr langsam als auch mit Schnellzügen sehr teuer. Eine Senkung der Mehrwertsteuer könnte die Preise leicht reduzieren. weitere Vorschläge Ausbau usw. Mein Vorschlag wäre eine D-Ticket für Nah und Fernverkehr für 100 Euro pro Monat. Spontan einfach überall buchbar. Schlechte oder gute Idee?