Die AfD-Pläne verschärfen Deutschlands Altersprobleme
Weniger Einwanderer, mehr Kinder: Darum sind die AfD-Pläne eine Katastrophe für das alternde Land
Deutschland vergreist. 2035 werden die Babyboomer eine große Lücke auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen, Renten beziehen und immer mehr Pflege brauchen. Immer weniger Erwerbstätigte werden immer mehr Rentner finanzieren, versorgen und pflegen müssen. Die AfD skandalisiert zwar gerne, dass deutsche Rentner zu wenig haben oder Pflegeheime zu teuer sind; Lösungen hat sie dafür aber keine. Im Gegenteil: Was die AfD vorhat – weniger Einwanderer, mehr Kinder – verschärft alle Versorgungsprobleme in einer alternden Gesellschaft.
Die Pflege bricht ohne Einwanderer zusammen
Im EU-Programm der AfD findet man das hier zum Thema Pflege:
„Zu Ärzten, Therapeuten, Apothekern oder Pflegekräften, die sprachliche Defizite aufweisen, kann weder Vertrauen aufgebaut werden, noch können Missverständnisse im Behandlungsablauf ausgeschlossen werden. Die Beschäftigung von ausländischem Personal, das oftmals sprachliche Defizite aufweist, kann somit keine Lösung zur Behebung des Personalmangels im Gesundheitswesen darstellen.“
Die Realität ist: Schon heute herrscht Pflegenotstand. Die Zahlen sind alarmierend. 110.000 Pflegekräfte fehlen, um alle Bedürftigen zu pflegen, schätzt die Gewerkschaft ver.di. Ohne Einwanderer bräche das System morgen zusammen. Denn schon heute hat fast jede vierte Pflegekraft einen Migrationshintergrund, in der Altenpflege sogar fast jede Dritte.
Dazu kommt: In den nächsten 15 Jahren braucht es rund 500.000 Pflegekräfte zusätzlich, schätzt das DIW. Zwei Drittel für die stationäre Pflege, ein Drittel für die ambulante Pflege. Die Herausforderung: Zum einen scheiden Boomer-Pfleger selbst aus dem Beruf aus, zum anderen werden deutlich mehr Menschen pflegebedürftig sein. Das Statistische Bundesamt geht in Hochrechnungen davon aus, dass im Jahr 2055 1,8 Millionen Menschen mehr gepflegt werden müssen als heute. Davon rund eine Million in Pflegeheimen oder ambulanten Diensten.
In den nächsten zwölf Jahren werden aber 18 Millionen Boomer den Arbeitsmarkt verlassen, aber nur 11 Millionen Junge nachrücken. Diese Lücke trifft auch die Pflege. Und das womöglich sogar noch viel eher als andere Wirtschaftsbereiche. Ein Ergebnis des Pflegereports 2021 war nämlich, dass vier von fünf Pflegekräften die Befürchtung haben, wegen höherer Belastung und schlechten Arbeitsbedingungen den Beruf nicht bis zum Rentenalter ausüben zu können. Die Boomer-Pfleger gehen also womöglich eher in Rente als die Boomer-Lehrer und Boomer-Verkäufer – und verschärfen den Notstand.
Wie das alles klappen soll ohne Einwanderer, hat auch Tilo Jung den AfD-Spitzenkandidaten zur EU-Wahl, Maximilian Krah, letzte Woche im Interview gefragt. Seine Antwort: Die Künstliche Intelligenz werde in den nächsten zehn Jahren hunderttausende Menschen in Bürojobs arbeitslos machen, die sollten dann alle auf Pflegekräfte umgeschult werden.
Außer geteilter Wut auf die Ampel hat die AfD nichts zu bieten.
Erstens: Ob Künstliche Intelligenz wirklich so große Produktivitätsschübe bringt, ist ungewiss. In den letzten zehn Jahren lag der Produktivitätsfortschritt bei unter einem Prozent pro Jahr. Digitalisierung, Roboter, leistungsfähigere Computer: Bisher hat nichts davon die großen Produktivitätsversprechen eingelöst. Zweitens: Wie Schadensregulierer zu Pflegekräften werden, erklärt Krah nicht. Sein einziges Konzept ist der Kombilohn, bei dem der Staat die Hälfte der Lohnkosten übernimmt, wenn Firmen Arbeitslose einstellen. Im Zweifel liefe es also so: Der Schadensregulierer wird arbeitslos, die AfD streicht das Bürgergeld zusammen, aber vermittelt ihn dann zu Billiglöhnen unter dem Mindestlohn in private Pflegeheime, die sich die Lohnkosten mit Krahs Kombilohn staatlich subventionieren lassen. Das ist weder ein ökonomischer Plan noch ein populäres Versprechen für die Wähler.
Eine Nebenwirkung dieses Kombilohns wäre außerdem, dass in der gesamten Pflege die Löhne fallen, weil möglichst viele Betreiber die Kosten über dieses Kombilohn-Modell zu drücken versuchen würden. Angebracht wäre das Gegenteil: Bessere Arbeitsbedingen und höhere Löhne, um qualifizierte und motivierte Pflegekräfte in das System zu locken – und nachhaltig dort zu halten. Das Prinzip Kombilohn ist Erpressung der Arbeitslosen und bewirkt ein Race-to-the-Bottom bei den Arbeitsbedingungen.
„Das Rentensystem betrügt alle“
Von der Pflege zur Rente. Auch hier schlägt die Alterung zu. Bald gibt es mehr Rentner mit Ansprüchen, aber weniger Erwerbstätige, die die Wirtschaft am Laufen halten und in die Rentenkasse einzahlen. Krah schimpft bei Tilo Jung: „Das staatliche Rentensystem betrügt alle“, die Jungen müssen zu viel zahlen, die Rentner bekommen zu wenig raus. Dadurch, so Krah, werde Arbeit unattraktiv und Rente zur Armutsfalle.
Damit trifft er sicher einen Nerv bei den Leuten. Aber was ist seine Lösung? Weniger einzahlen und mehr auszahlen, sagt Krah. Woher soll das Geld kommen, fragte Tilo Jung. „Weniger linken Firlefanz“ im Haushalt finanzieren und dann das Geld umschichten, antwortete Krah. Wie viel Geld genau wo genau gekürzt werden soll oder welchen „linken Firlefanz“ genau der ach so linke Finanzminister Christian Lindner von der ach so linken FDP im Haushalt finanziert, verschweigt Krah daraufhin. Die AfD hat keine ökonomische Lösung für das Rentenproblem, das ja längst nicht nur ein finanzielles ist (Woher kommt das Geld, um die Rente zu überweisen?), sondern vor allem ein realwirtschaftliches (Wer stellt die Güter her, die die Rentner kaufen sollen?).
Dann aber schlägt er vor, Familien sollen wieder mehr Kinder bekommen, um die Überalterung zu stoppen. So steht es auch im EU-Programm: „Die AfD will hingegen deutlich mehr junge Paare ermutigen und unterstützen, eine Familie zu gründen und mehrere Kinder zu bekommen“. Auch das ist allerdings zu kurz gedacht. Denn das Versorgungsproblem wird größer, wenn es bald neben vielen Rentnern auch noch viele Kinder zu versorgen gibt. Beide Gruppen konsumieren, ohne zu produzieren. In zehn Jahren müssten dann sieben Millionen weniger Erwerbstätige nicht nur mehr Rentner, sondern auch mehr Kindern versorgen. Ohne massive Produktivitätsfortschritte, die sich Krah herbeifantasiert, und ohne mehr Fachkräfte-Einwanderung, die Krah nicht will, geht das Ganze nicht auf.
Mehr Kinder hießen übrigens auch, dass der Sozialstaat und die Umverteilung, größer werden müssen, nicht kleiner, wie Krah behauptet. Weil ja von den Erwerbstätigen zu den Nicht-Erwerbstätigen umverteilt werden muss. Und dann ist da noch ein Problem: Mehr Kinder würden kurzfristig auch den Pflegenotstand vergrößern. Denn 80 Prozent der Pflegekräfte sind Frauen. Wenn mehr Pflegekräfte in Mutterschutz gehen, braucht es noch mehr Personal.
All das zeigt: Außer geteilter Wut auf die Ampel hat die AfD nichts zu bieten. Krah ist wie viele andere AfDler ein Meister im Skandalisieren, hat aber nicht nur keine Lösungen im Angebot, sondern fordert gar, was die eigentlichen Probleme noch verschärfen würden.
Super Artikel, danke.
Mag ja alles stimmen, dass die AFD ein neoliberaler Haufen ist und die Politik in weiten Teilen auf Rassismus beruht, jedoch ist eine liberale Migrationspolitik wie in der Vergangenheit doch auch problematisch, da diese meist auf Vertreibung und Ausbeutung von ärmeren Ländern beruht.
Es muss definitiv mehr für Familien getan werden. Es kann nicht sein, dass wir die Menschen aus dem Elend in unser Land holen, dabei die heimischen Löhne drücken und die armen Länder in sozialdarwinistischerweise weiter ausbeuten.