Die Brandmauer-Lüge
Warum Merz Ludwig rauswerfen muss und nicht die löchrige Brandmauer die AfD stark gemacht hat, sondern soziale Probleme
„Die Gegensätze zwischen Union und SPD unüberbrückbar machen“, so steht es geschrieben. Darüber ein Bild, auf dem CDU-Kanzler Merz und SPD-Vizekanzler Klingbeil durch einen Blitz getrennt werden. Zu finden in einem internen Strategiepapier der AfD, das vor drei Monaten öffentlich wurde. Ein 53 Seiten langer Masterplan, wie die AfD das Kanzleramt erobern will. Die Strategie in drei Schritten: Linke in einen Kulturkampf verwickeln, die Regierung zwischen Union und SPD spalten, die Brandmauer der Union einreißen. Und die vergangene Woche hat bewiesen: die Strategie läuft.
Sie läuft sogar so gut, dass namhafte CDU-Politiker Schritt zwei überspringen und schon längst dabei sind, die Brandmauer einzureißen. Darunter Ex-Generalsekretär Tauber, Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg (übrigens derzeit in einer Beziehung mit der amtierenden Wirtschaftsministerin Reiche), Bundestagsabgeordnete Ludwig, sowie immer mehr ostdeutsche Politiker. Deren Erzählung ist so falsch wie gefährlich. Sie geht so: die Union werde von der SPD daran gehindert, ihr Programm durchzuziehen; deshalb solle sie als Minderheitsregierung mit der AfD das umsetzen, was sich mit ihr umsetzen lasse. Die AfD hinter der Brandmauer zu isolieren, habe die AfD ja bisher nur immer stärker gemacht.
Solange die Union nicht einsieht, dass dem Erfolg der AfD echte soziale Probleme zugrunde liegen, scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ludwigs und Taubers gemeinsam mit ostdeutschen Landeschefs die ohnehin löchrige Brandmauer niederreißen – und damit das Tor zur Hölle öffnen.
AfD ist der Hauptgegner
An morgigen Sonntag trifft sich die Unionsspitze zur Klausurtagung, um über den Umgang mit der AfD zu beraten. Das ist – offensichtlich – auch dringend nötig. Immerhin grenzt sich Merz in seinem neuesten FAZ-Interview von denen ab, die die Brandmauer in Frage stellen – also den Taubers, Ludwigs und zu Guttenbergs. Die AfD sei der Hauptgegner, sagt er. Sie inszeniere eine ausgestreckte Hand, wolle die Union aber in Wahrheit vernichten. Merz sollte seine Partei am Sonntag an das AfD-Papier erinnern. Wer aus Verzweiflung und Machtgier durch die Brandmauer nach der Hand der AfD greift, paktiert mit Rechtsextremen, Nazis und Verfassungsfeinden – und gefährdet nicht nur die Existenz der Union, sondern der Demokratie. Überall, wo Konservative mit Rechtsextremen paktieren, verlieren die Konservativen und triumphieren die Rechtsextremen.
Merz muss ein Zeichen setzen. Jetzt oder nie!
Konsequent wäre, wenn Merz ein Parteiausschlussverfahren gegen die Bundestagsabgeordnete Ludwig beginnt. Nachdem sie schon im Brandenburger Landeswahlkampf öffentlich eine Koalition mit der AfD in Erwägung zog, forderte sie nun „Mehrheiten für gute Anträge zuzulassen“. Noch im Sommer kursierten dazu Fotos von Ludwig, die sie beim augenscheinlich freundlichen Austausch mit AfD-Chefin Weidel auf einer Veranstaltung der rechten Denkfabrik MCC in Ungarn zeigten. An Ludwig zeigt sich, wie ernst Merz seine Mahnung aus dem Jahr 2021 selbst nimmt. Damals sagte er: „Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“ Ob man die Hand nun hebt oder öffentlich auffordert, die Union solle die Hand geben, ist wahrlich kein nennenswerter Unterschied. Merz muss ein Zeichen setzen. Jetzt oder nie!
Nicht die Brandmauer hat die AfD stark gemacht
Immerhin macht Merz in der FAZ auch deutlich, dass die Erzählung falsch sei, die Union könne mit der AfD „alles durchsetzen, wenn sie nur diese Brandmauer einreißen würden“. Er müsste aber noch weiter gehen. Denn auch ist falsch, zu behaupten, die Brandmauer habe die AfD starkgemacht. Ja, im Jahr 2018 hat die Union die Brandmauer als Parteibeschluss gefasst, der eine Kooperation mit der AfD ausschließt – und, ja, heute ist die AfD größer als 2018. Aus der Korrelation eine monokausale Erklärung zu machen, ist aber irreführend.
Seit 2018 hat sich ganz viel anderes noch verändert. Corona, Ukraine-Krieg, Energiekrise. Die Kaufkraft der Menschen hat stagniert, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, bezahlbarer Wohnraum ist weniger geworden, Pflegeplätze teurer, arme Kommunen ärmer und so weiter. Wer 2018 schon frustriert war und Abstieg- oder Existenzängste hatte, der hat sie 2025 sehr wahrscheinlich immer noch. Nur dass den Leuten von Bundestag bis Lanz rund um die Uhr eingeredet wird, dass daran nicht die Regierung schuld ist, sondern die Geflüchteten und die Arbeitslosen. Statt struktureller Lösungen gab es nur Projektionsflächen. Eine toxische Gemengelage, in der Rechtsextreme mit Populismus punkten, während sich Demokraten in Kulturkämpfen verzetteln, der AfD nach dem Maul reden und selbst verursachte soziale Probleme leugnen.
Merz’ Stadtbild-Rassismus
Das beste Beispiel dafür lieferte Merz diese Woche leider selbst, als er implizierte, man müsse das Stadtbild wieder in Ordnung bringen. Nicht mit öffentlichen Investitionen, nicht mit Förderprogrammen, nicht mit neuen Sozialleistungen gegen Obdachlosigkeit und lange Tafelschlangen, sondern mit: Abschiebungen. Daran würde sein Innenminister Dobrindt mit Hochdruck arbeiten, sagt Merz. Wohlgemerkt: indem Dobrindt mit den Taliban verhandelt, um Afghanen abzuschieben.
Die Stadtbild-Aussage von Merz ist nicht nur diskriminierend und rassistisch, sondern auch eine Anbiederung an AfD-Populismus. Schon 2017 sagte der damalige AfD-Chef Meuthen in der Berliner Runde unmittelbar nach der Bundestagswahl einen ähnlichen Satz: „Ich sehe zum Teil in den Innenstädten, in denen ich mich bewege, nur noch vereinzelt Deutsche. Das kann nicht Ziel unserer Politik sein.“ Anders als Merz, der die Sprache der AfD heute kopiert, konterte Merkel damals: „Ich weiß nicht, was Sie sehen, denn ich kann auf der Straße Menschen mit Migrationshintergrund, die deutsche Staatsbürger sind, und solche, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht haben, nicht unterscheiden“.
Solange die Union nicht einsieht, dass dem Erfolg der AfD echte soziale Probleme zugrunde liegen – besonders in Ostdeutschland –, die sie nur mit konkreter Politik lösen kann, nicht aber mit populistischer und symbolischer Härte gegen auserkorene Sündenböcke (Geflüchtete und Arbeitslose), scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ludwigs und Taubers gemeinsam mit ostdeutschen Landeschefs die ohnehin löchrige Brandmauer niederreißen – und damit das Tor zur Hölle öffnen.
Und was tun wir dagegen? Die amtierenden Politiker in der Regierung wollen ja ums verrecken nicht eingestehen, dass deren aktueller Kurs für die Tonne ist und dass es nunmal, wie du es auch beschreibst, reale Probleme gibt, die die ganzen Bullshit-Debatten über Bürgergeld und Flüchtlinge bei weitem überschatten. Genug Wähler, um eine wirklich progressive Regierung zu etablieren (ohne Bremsklotz-FDP), wird man auch nicht mehr mobilisieren, dazu sind die alle zu sehr in ihrem Fremden- und Arbeitslosenhass drin. Also was sollen wir noch tun? Was können wir tun? Bro ich hab echt Angst, in paar Jahren aufzuwachen und einfach die zweite Runde Faschismus in diesem Land miterleben zu müssen.
Zumal ich jetzt schon weiß, dass ich dann auch in den Knast oder an schlimmere Orte.. oder sogar gleich den Himmel komme, weil ich niemals zusehen könnte, wie irgendwelche Neonazis wehrlosen Unschuldigen auf der Straße Leid antun.
Ich teile Deine Meinung voll und ganz Maurice. Merz versucht immer wieder mit dem Gedankengut der AfD Wähler zu beeindrucken- im Ergebnis werden jedoch die Rechten bestärkt- ja der Merz sieht die Welt wie wir, also haben wir recht. Ich bin immer wieder erstaunt, ja entsetzt wie wenig Weitblick Merz an den Tag legt.